Kapitel 10: Der Letzte der Mikaelsons

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Ich erwache mit Kopfschmerzen und einem bitteren Geschmack im Mund. Ich richte mich auf, greife neben mich und nehme einen Schluck aus dem Wasserglas, das auf meinem Nachttisch steht. Ich stöhne und lege meine Hand auf die Stirn. Kein Fieber. Ich rapple mich auf und stolpere ins Bad, um mich anzuziehen. Als ich wieder herauskomme, werfe ich einen Blick auf die Uhr. 5:01. Ich suche in meinem Koffer nach Schmerztabletten, aber ich finde sie nicht. Livia schläft noch tief und fest, worum ich sie beneide. Seit ich wieder ein Mensch bin, habe ich regelmäßig Schlafstörungen. Ich wache mit Kopfweh auf und habe dann einen langen, elenden Tag, an dem sie keinen Deut besser werden, erst wieder am Abend. Vielleicht eine Nebenwirkung des Rituals, das die Hexen damals mit mir durchgeführt haben, um mir meine Unsterblichkeit zu nehmen.
 Mein Blick fällt auf die Leinwände, die an der Kommode lehnen. Die Sonne müsste bald aufgehen. Frische Luft soll bei Kopfschmerzen helfen.
 Also packe ich eine Leinwand, Farben und Pinsel und eine Wasserflasche in einen Rucksack und schließe leise die Tür hinter mir. An der Rezeption ist noch niemand. Kurzerhand schleiche ich um den Tresen und hänge meinen Zimmerschlüssel zu den anderen.
 Ich komme gerade rechtzeitig im Park an, um meine Staffelei aufzubauen und die Farben der gerade aufgehenden Sonne einzufangen. Ein strahlendes Gelb, ein knallrotes Orange und dunkle Farben für die Schatten der Bäume und Parkbänke. Ich bin schnell im Malen - das muss man auch sein, wenn man einen Sonnenaufgang in einem Bild verewigen will. Zudem hatte ich eineinhalb Jahrhunderte Zeit, um meine Malkünste auszubauen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass sie sich mit meiner Verwandlung in einen Menschen verschlechtert haben, denn ich bin nicht zufrieden, als ich schließlich vor dem fertigen Gemälde stehe und es mit der Sonne vergleiche, die ein Stück höher am Himmel steht. Ich kann nicht genau sagen, was mir nicht gefällt. Die Farben sind zu matt. Die Linien zu handgeführt.
 Ich habe schon viele Sonnenaufgänge gemalt, und meine Bilder haben immer das genaue Farbspektrum der Sonne und ihren Strahlen wiedergegeben, aber das hier schaut aus wie eine dürftige Skizze. Ich kneife die Augen zusammen und versuche zu erkennen, wo der Fehler liegt. Ich habe das letzte Mal einen Sonnenaufgang gemalt, da bin ich ... ein Vampir gewesen. Daran muss es liegen. Meine Augen haben die Strahlen anders eingefangen, und so konnte ich sie auch besser wiedergeben. Ich weiß noch, dass mir damals die Bilder von vielen Malern zu farblos vorgekommen sind. Das hatte daran gelegen, dass ich ein Vampir gewesen bin.
 Plötzlich werden die Schmerzen hinter meiner Stirn wieder stärker, die ich durch das Malen in den Hintergrund hatte drängen können. Ich rutsche an dem Baumstamm, an den ich mich gelehnt habe, hinab und presse meine Fäuste gegen die Schläfen. Ich schließe die Augen und atme ein und aus, ein und aus, ein und aus, ein und -
 "Bist du wirklich so geschockt? So schlimm ist das Bild doch gar nicht."
 Mein Körper verkrampft sich bei dem Klang der Stimme noch mehr. Nein. Nein, nicht jetzt. Nicht, wo es mir so schlecht geht. "Klaus." Ich wollte seinen Namen eigentlich zischen, aber es kommt nicht mehr als ein gequältes Stöhnen heraus.
 Ich öffne die Augen einen Spalt weit. Das Licht verfängt sich in den blonden Haaren und lässt die Umrisse leuchten. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, weil er direkt vor der Sonne steht und sein Gesicht somit im Schatten liegt. Er hat eine Hand auf das frisch getrocknete Bild gelegt und betrachtet das Gemälde.
 "Als dein Lehrer muss ich sagen, dass das nicht schlecht ist." Er stößt einen amüsierten Laut aus. "Du bekommst dafür keine Extrapunkte, keine Sorge." Klaus geht vor mir in die Hocke und mustert mich. Besorgnis blitzt in seinen Augen auf, allerdings nur so kurz, dass ich mir nicht sicher bin, sie tatsächlich gesehen zu haben. "Als kunstbegeisterter Vampir allerdings ..." Er streckt seine Hand aus, und ich kneife instinktiv wieder die Augen zusammen. Er streicht mir nur sanft über die Wange. "Was ist los?"
 Ich lasse meine Augenlider noch ein paar Sekunden lang ruhen, dann hebe ich sie und versuche, mich stöhnend aufzurappeln. Meine Stirn pulsiert, und mir ist wieder eingefallen, dass Menschen gegen Kopfweh viel Wasser trinken. 
 Klaus drückt mich wieder runter.
 "Lass mich", sage ich schwach.
 "Was hast du?"
 "Kopfschmerzen." Ich erkenne, dass es keinen Sinn hat, mich Niklaus zu wiedersetzen. "Kannst du mir bitte mal die Wasserflasche dort drüben geben?"
 Er tut es und ich führe sie hastig zu meinen Lippen, um in gierigen Schlücken zu trinken. Es hilft nichts. Egal, wie viel Wasser ich trinke, das Kopfweh wird nicht besser.
 "Willst du Blut?", fragt Klaus.
 Ich schaue zu ihm hoch und sehe seine unschlüssige Miene. Er ist es nicht gewohnt, dass andere vor ihm Schwäche zeigen. Erst recht nicht, dass ich vor ihm Schwäche zeige.
 Ich lasse mich ganz zurückrutschen und liege nun ausgestreckt auf dem Boden. Es ist mir egal, was Nik jetzt denken mag. Soll er doch denken was er will. Ich habe Kopfschmerzen und bin deswegen in den Park gegangen, und er ist selbst Schuld wenn er um 6 Uhr morgens hier auftaucht und mich bemerkt.
 "Was machst du hier?", erkundige ich mich und ignoriere seine Frage. Es würde ihm ähnlich sehen, wenn er mir das Genick bräche, sobald sein Vampirblut in meinem Organismus war. Ich will kein Vampir mehr sein. Ich will die Möglichkeiten, die das menschliche Leben zu bieten hat, nicht auslassen.
 Klaus seufzt und krempelt seinen Hemdsärmel wieder vor. "Ich mache mich gleich auf den Weg nach Helena."
 Meine Kopfschmerzen werden langsam schwächer, und ich kann mich wieder etwas entspannen. "Und? Du wolltest mich doch sowieso nicht mitnehmen."
 "Ich brauche die Eisenkraut-Kette schon jetzt."
 Mein Herz macht einen kleinen, entsetzten Sprung. Ich hoffe, dass Klaus nicht gerade meinem Herzklopfen lauscht, das würde mich nämlich verraten. Ich hebe den Kopf, um ihm in die Augen schauen zu können. "Du bekommst die Kette erst, wenn ich meinen Bruder wieder habe. So war der Deal."
 "Ja, so war der Deal. Ich werde dich nicht hintergehen, aber ich brauche die Kette als Bezahlung. Kol hat den Ring an eine Hexe verkauft, und die Kette ist wertvoll genug, dass ich damit den Ring zurückkaufen kann."
 Ich mustere ihn skeptisch. "Warum hebst du nicht ein paar Millionen von eurem Bankkonto ab? Ihr Mikaelsons müsst doch über die Jahre viel angesammelt haben."
 "Die Hexe handelt nur mit Schmuck. Bitte, Chloey, wenn ich dir helfen soll, deinen Bruder zurückzuholen, dann musst du mir die Kette geben."
 Ich richte mich auf und ziehe die Knie an. Mit zerknirschter Miene schaue ich zu ihm hoch. "Die Wahrheit ist, Nik, ich habe die Kette nicht." 
 "Wie bitte?"
 "Ich musste sie bei den Hexen lassen. Als Pfand."
 Nik fährt sich mit den Händen übers Gesicht. Er schaut mich mit einer Mischung aus Ärger und Unglaube an. "Du weißt, dass unser Deal darin bestand, dass du mir die Kette gibst?"
 Ich komme seufzend auf die Beine und beginne, die Pinsel wieder in meine Tasche zu packen. "Das weiß ich. Und du bekommst deine Kette auch. Wenn wir bei den Hexen waren."
 "Die in Irland sind."
 "Genau", stimme ich zu.
 Ein paar Minuten steht er schweigend da und beobachtet mich, während ich meine restlichen Utensilien verstaue.
 "Was machst du jetzt?"
 Er seufzt übertrieben bedauernd. "Nun, es gibt auch andere Wege, zu bekommen was man will."
 Ich runzele die Stirn. "Du meinst töten?"
 Ich brauche mich nicht umzudrehen, um sein Nicken zu registrieren. Ich kenne Nik lange und gut genug, um zu wissen, wie er die größte Zeit des Tages seinen Willen durchsetzt.
 "Nun gut. Dann verabschiede ich mich jetzt, um eine Hexe zu töten. Viel Spaß in der Schule." Nik zwinkert mir zu und verschwindet dann.
 Fassungslos stehe ich da, mein Rucksack hängt halb über meine Schulter. Er kann doch nicht einfach so abhauen! Ich will mit nach Helena. Auch, wenn ich mir für Livia eine gute Ausrede einfallen lassen müsste, aber ich würde mich schon zwei Tage entschuldigen können! Damon ist mein Bruder, also sollte ich auch etwas zu seiner Rettung beitragen.
 Ich drehe mich um und will zurück ins Hotel laufen, da pralle ich plötzlich gegen etwas Festes, Großes. Gegen jemanden.
 "Oh, Entschuldigung", murmle ich und will um ihn herum, als mein Blick auf sein Gesicht fällt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. "Finn?", rufe ich ungläubig. Da war er ja, der Letzte der Mikaelson-Brüder. Wie auf Befehl.
Er blinzelt mich ein paar Sekunden verwirrt an, dann klärt sich seine Miene. "Chloe?", fragt er unsicher.
 "Ja", antworte ich trocken und verschränke die Arme. "Toll, dass du mich auch noch erkennst."
 "Ich dachte, du - du bist tot."
 Ein Lachen entfährt mir. "Schaue ich etwa tot aus?" Ich mache eine kleine Pirouette. "Nein?"
 "Dein ... dein Herz schlägt."
 Auf einmal wird mir dieses Spiel zu langweilig. Finn wird mir zu langweilig. Ich seufze. "Ja. Ich bin ein Mensch."
 Er starrt mich immer noch an. "W -"
 "Okay, Finn", unterbreche ich ihn. "Hast du ein Auto?"
 Er nickt.
"Gut. Kannst du mich nach Helena fahren?"
 "Nach... nach Helena? Nein. Das liegt in Montana, und ich muss in die andere Richtung."
 "In die andere Richtung?"
 "New Orleans ist nur ein Zwischenstopp. Ich war drei Monate hier, übermorgen will ich abreisen."
 "Aber das reicht noch! Bitte Finn!"
 Er schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. "Du warst nie besonders nett zu mir in der Vergangenheit. Warum sollte ich dir einen Gefallen tun?"
 Empört öffne ich den Mund. "Nicht besonders nett? Natürlich war ich zu dir nett! Okay, ich war vielleicht ein paar Mal etwas grob, aber ich war nie gemein!"
 Finn dreht sich um und macht Anstalten, einfach wegzugehen.
 "Halt!", rufe ich. "Finn. Bitte." Meine Stimme klingt so elend, dass ich dachte, er könne gar nicht anders als nachzugeben.
 Doch er schüttelt den Kopf und dann ist er verschwunden, genau wie Nik.

DesideriumWhere stories live. Discover now