Kapitel 5: Ein Deal

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Plötzlich spüre ich seine Lippen auf meinen. Seine Hand liegt in meinem Nacken und zieht mein Gesicht zu ihm hoch. Ich stelle mich auf Zehenspitzen und erwiedere den Kuss. Meine Hände legen sich wie von selbst auf seine Schultern und ziehen ihn näher zu mir heran.
 "Nik", murmele ich in seinen Mund. Er wird drängender und verschlingt mich mit seinen Küssen. Seine Hände gleiten unter den Saum meines Tshirts und streicheln meine Haut. Seine Lippen küssen sich meinen Hals entlang und ich schnappe nach Luft.
 Auf einmal pralle ich hart gegen das Fensterprett. Ich spüre seine Hände nicht mehr auf meine Haut. Ein Schauer überläuft mich. Ich blinzle in die dämmrige Ecke des Raumes, dorthin, wo die Sonnenstrahlen nicht hinkommen. Dort steht er. Er steht kerzengerade da und starrt mich sprachlos an.
 "Nik...", sage ich und mache einen Schritt auf ihn zu.
 Da verändert sich seine ungläubige Miene und sein überlegenes Grinsen liegt auf seinen Lippen, die Lippen, die vor Sekunden noch die meinen geküsst haben. Er schüttelt gespielt enttäuscht den Kopf. "Ts ts ts. Ach, Chloey, du empfindest immer noch etwas für mich. War mein Auftritt 1887 etwa nicht genug, um all deine Gefühle, die du jemals für mich empfunden hast, in Hass zu verwandeln?"
 Ich kenne Klaus gut genug, um zu wissen, was er gleich tun wird. Ich fasse mir an die freie Stelle an meinen Hals, an der ich meine Kette zu tragen gepflegt habe.
 Klaus bemerkt meine Bewegung und lächelt. "Hast du deine Eisenkraut-Kette verloren? Wie blöd für dich."
 "Klaus", sage ich beschwörend. "Manipulier mich nicht."
 "Nenn mir einen vernünftigen Grund." Er klingt gelangweilt.
 "Ich brauche meine Erinnerung."
 "Und wozu?"
 "Um meinen Bruder zu befreien."
 Klaus schnaubt amüsiert. "Deinen Bruder? Stefan? Den habe ich doch schon vor Jahren in einen Sarg gesteckt. Bei lebendigem Leibe."
 Ich balle die Hände zu Fäusten. "Du weißt genau, wen ich meine. Damon. Er wurde von den irischen Hexen gefangen genommen, und sie lassen ihn nur wieder frei, wenn ich ihnen das bringe, wonach sie verlangen."
 "Warte ab. Irgendwann wird er ihnen so auf die Nerven gehen, dass sie ihn freiwillig gehen lassen."
 "Das geht nicht!", schreie ich. Ich bin wütend, dass Klaus so mit mir spielt. Er muss wissen, wie ernst die Lage ist, wenn ich in seine Stadt komme und mein normales Leben damit zerstöre. Tränen schwimmen in meinen Augen und nehmen mir die Sicht. "In neun Tagen töten sie ihn, wenn ich ihnen den Gegenstand nicht bringe." 
 "Was ist das für ein Gegenstand?"
 "Ich weiß es nicht", gebe ich leise zu und wische mir über die Augen. "Sie sagen es mir erst, wenn ich vor dem Geheimfach stehe."
 Sekundenlang herrscht Stille. Klaus starrt mich während der Zeit ununterbrochen an, als überlege er, was er nur mit mir machen sollte.
 "Scheint, als würdest du in einem ziemlichen Dilemma stecken."
 Ich nicke, denn mir bleibt nichts anderes übrig. Er hat ja Recht.
 "Zum deinem Glück ..." sagt er gedehnt, "habe ich auch etwas, was ich von dir brauche."
 Ich werde hellhörig. "Und zwar?"
 Klaus grinst, jetzt ist er wieder der alte, gerissene, überlegene Psychopath. Der Psychopath, in den ich mich verliebt habe. "Ich schlage dir einen Deal vor: Ich öffne dir das Geheimfach, du nimmst den Gegenstand raus und gibst mir, nachdem du Damon befreit hast, die Eisenkraut-Kette."
 Jetzt wird mir wieder unwohl. "Wozu brauchst du die Kette?"
 "Das lass mal meine Sorge sein. Bist du einverstanden?" Nik steht auf einmal vor mir und streckt mir seine Hand hin.
 Ich überlege. Ich habe die Eisenkraut-Kette nicht. Die Kette, die mich vor Vampirmanipulationen schützt, die Vampiren bei Hautkontakt extreme Schmerzen zufügt, habe ich zwar nicht, wie Nik gemeint hat, verloren. Ich habe sie den irischen Hexen geben müssen, als Versicherung, dass ich auch wirklich zurückkäme, sollte mir mein Bruder nicht so viel bedeuten wie angenommen. Denn woher auch immer wissen diese Hexen, dass die Kette mir viel bedeutet, zwar nicht so viel wie Damon, aber trotzdem viel. Im Moment verrostet sie wahrscheinlich in irgendeiner Truhe in ihrem Tempel. Aber ich brauche den Gegenstand, was auch immer es ist. Und sobald ich den habe, kann ich nach Irland zurück, Damon befreien, ich bekomme meine Kette, kann meine Schulden bei Klaus begleichen und enziehe mich wieder jeglichen übernatürlichen Einflüssen.
 Ich ergreife seine Hand und nicke. "Einverstanden."
Nach einem Blinzeln steht er an der Tür und öffnet sie. Er lächelt mich galant an. "Sehr gut. Ich erwarte dich heute abend um achtzehn Uhr vor meiner Haustür."
 Und damit war er verschwunden.

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