Kapitel 12: Um ein Haar ...

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Ich starre ihn an und weiß für einen Moment nicht, ob ich ihm glauben soll. "Rebekah?", frage ich geschockt, verwirrt und begeistert. Woher weiß sie, dass ich hier bin? Sie ist doch in Montana, und Nik kann sie unmöglich schon erreicht haben. Oder vielleicht doch? Vampire brauchen ja keine Zwischenstopps während dem Autofahren.
 Elijah hält mir einen Zettel hin und ich nehme ihn entgegen. Ich kann nicht verhindern, dass meine Hand ein wenig zittert. Von Rebekah habe ich schon seit mehr als hundert Jahren nicht mehr gehört. Ich werde wahrscheinlich total aufgeregt sein, wenn ich ihr das erste Mal seit so langer Zeit wieder gegenüber stehen werde. Wenn ich es überhaupt tun werde.
 Ich entfalte den Zettel und erkenne sogleich ihre Handschrift: Chloe, ich freue mich, dass du dich wieder unter Vampire gewagt hast. Bleib ja in New Orleans, bis ich auch da bin. Bis bald, Rebekah.
 
Ein Stück darunter hat Nik in seinen kunstvollen Buchstaben etwas hinzugefügt: Das hast du mir zu verdanken, Chloeylein. Ich habe den Ring bald, mach dich für die Abreise fertig. Nik.
 
Die Tatsache, dass er mit 'Nik' unterzeichnet hat, lässt mich die Stirn runzeln. Er will mich wahrscheinlich nur provozieren. Aber warum hat er nicht einfach auf meinem Handy angerufen? Die Nummer hat er über das Malseminar bestimmt schon längst.
 "Niklaus hat mich vor einer halben Stunde angerufen und gesagt, dass er gleich in Helena ist. Wir können also davon ausgehen, dass er irgendwann heute Nacht heimkommt", meint Elijah, während ich den Zettel wieder zusammenfalte und in meine Hosentasche schiebe. Ihn hat er also angerufen, aber bei mir hält er es für witziger, einen Zettel zu schreiben.
 "Wenn Nik noch gar nicht in Helena war, wie kann er dann auf den Zettel geschrieben haben?"
 Der Vampir seufzt. "Du kennst ihn doch. Wahrscheinlich ist er schon in Helena und will es uns nur nicht wissen lassen."
 Ich lache trocken. "Stimmt, seine Paranoia hatte ich ganz vergessen."
 Auf einmal schaut mich Elijah aus ernsten und auch traurigen Augen an. Ich weiß, was jetzt für ein Thema kommt, und ich weiche abwehrend zurück. "Du hast auch seine guten Seiten vergessen, Chloe. Du hast den Grund vergessen, warum du ihn geliebt hast. Warum du ihn richtig  geliebt, warum du ihn mit all seinen Fehlern und Makeln noch immer geliebt hast."
 Ich stöhne. "Du meinst abgesehen von seinem Aussehen und der ab und an charmanten Art?"
 "Ja, genau. Du hattest einen Grund damals, ihn zu lieben, den du mir aber trotz meiner ganzen Fragen nie genannt hast." Ich erinnere mich an die vielen Diskussionen anfangs, zwischen Elijah und mir. Er hat mir immer wieder eingetrichtert, dass Nik gefährlich ist, ein Psychopath, der seine Liebe nicht in Sicherheit behalten kann. "Als er dich hatte, war er ein anderer. Er war gnädiger, mitfühlender und weniger aufbrausend. Er hat auf das gehört, was du gesagt hast."
 Ein Seufzer entfährt mir. Ich wende mich ab und streife meine Jacke über. "Hör zu, Elijah, das ist ja alles schön und gut. Aber wenn das ein Versuch sein soll, dass ich wieder mit ihm zusammenkomme, dann kannst du gleich aufgeben. Den Grund, ihn zu lieben, habe ich schon vor Jahren verloren und selbst wenn ich wollte, er liebt mich nicht mehr. Dazu habe ich ihm zu große Schmerzen zugefügt."
 "Ich bin mir sicher, dass Niklaus ... Was hast du vor?", unterbricht er sich, als ich mit einem Schuhlöffel in meine Chucks schlüpfe und mich im Spiegel betrachte.
 "Ich gehe zu deinem Haus", erkläre ich und schiebe mit den Händen meine Haare über die Schultern.  "Da werde ich auf Rebekah warten."
 Ich öffne die Tür und gehe auf den Flur raus, aber ehe ich einen Schritt machen kann, ist Elijah in Lichtgeschwindigkeit zu mir hinübergeflitzt und hat mein Handgelenk umfasst. Schmerzlos natürlich, er will mich nicht verletzen.
 "Das kannst du nicht machen", widerspricht er.
 Ich hebe eine Augenbraue. "Und wieso nicht?"
 "Gerade sind Finn und Kol zu Hause. Finn trinkt seit Wochen nichts mehr außer Blutbeutel und Kol ist seit der Auseinandersetzung nicht gut auf Niklaus zu sprechen. Beide würden nicht zögern, dich auszusaugen."
 Ich schüttle seine Hand ab. "Blödsinn. Ich bin Finn heute Morgen begegnet und da war er ganz normal. Nur weil er auf frischem-Blut-Entzug ist, heißt das nicht, dass er mich gleich umbringen wird."
 "Aber du bist ein Mensch, Chloe. Du riechst nach etwas, und dieses Etwas ist verlockend."
 "Elijah, du weißt genauso gut wie ich, dass ich gehen werde. Also kannst du dir das hier auch sparen."
 "Ich will nur, dass du nicht stirbst!", ruft Elijah auf einmal laut, und ich zucke zusammen. "Du bist kein Vampir mehr."
 "Das weiß ich selbst ganz genau!", schreie ich zurück und hole Luft, um noch weitere Wörter zu brüllen. Warum geht es einfach nicht in seinen Kopf hinein, dass ich mich seinem Willen nicht beugen werden? Das habe ich noch nie gemacht. "Das letzte Mal war mein Blut auch kein Problem, und ich bin Finn und  Kol begegnet. Ach ja, und deinem Bruder, dem blutdurtigen Psychopathen. Und wie du siehst, bin ich am Leben! Ich atme noch, und das ist die Hauptsache. Ich verstehe nicht, warum du dir plötzlich solche Sorgen machst! Du hast doch gar kein -" Ich halte inne, als Elijahs Blick zu etwas hinter mir schweift und seine Augen sich kaum merklich weiten. Ich schnelle herum, rechne damit, irgendein gefährliches Monster zu sehen, doch was ich sehe, ist noch viel schlimmer.
 "Livia", japse ich. Meine Freundin steht wenige Meter entfernt am Treppenabsatz. Anscheinend ist sie gerade erst nach Hause gekommen. Sie starrt mich mit offenem Mund an und es hat ihr ganz offensichtlich die Sprach verschlagen. "Wie viel hast du mitbekommen?" Ich drehe mich zu Elijah um. "Warum hast du nichts gesagt? Du musst doch gehört haben, dass jemand die Stufen hochkommt!"
 "Darauf habe ich nicht geachtet ..." Elijah tritt auf Livia zu und sie weicht ein paar Schritte zurück. Verwirrung und Angst stehen in ihren Augen.
 "Wer sind Sie? Und worüber sprecht ihr?", fragt sie.
 "Livia, ich ...", setze ich an, doch Elijah unterbricht mich.
 "Sie müssen Chloes Freundin sein, Livia, oder irre ich mich?" Er streckt die Hand aus. "Ich bin Elijah Mikaelson, ein ... alter Freund ihrer Mitbewohnerin. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen."
 Livia starrt den dunkelhaarigen Vampir an, als wäre er verrückt geworden. Er hätte sich wenigstens für diesen Moment seine Höflichkeit verkneifen können. Das ist nun wirklich nicht die richtige Zeit.
 Doch anscheinend wirkt es. Livia ergreift vorsichtig seine Hand und starrt ihm dabei die ganze Zeit in die Augen. "M-mich freut es auch, Sie kennenzulernen. Sind Sie - Sind Sie der Bruder von Klaus Mikaelson?"
 Elijah nickt lächelnd. "Das bin ich. Aber das werden Sie gleich vergessen. Vergessen Sie, dass es dieses Gespräch und das davor jemals gegeben hat. Vergessen Sie -"
 "Nein, Stopp! Elijah, das kannst du nicht machen!" Ich reiße Livia von ihm weg und stelle mich schützend vor sie. Ich bin schon lange kein Vampir mehr, und deswegen habe ich auf die Schnelle nicht daran gedacht, was er tun könnte, wenn sie sich gegenseitig in die Augen schauen. "Du darfst sie nicht manipulieren! Sie ist meine beste Freundin!"
 Der Vampir hebt eine Augenbraue. "Gibt es irgendein Gesetz, das besagt, dass man beste Freundinnen nicht manipulieren darf?"
 "Nein, das nicht, aber ... sie könnte Schäden davontragen!"
 Elijah seufzt und ist mit einem Augenschlag hinter mir, wieder bei Livia. Sie ist noch in der Trance gefangen und schaut ihm nur allzu gerne wieder in die Augen. "Du hast das schon so oft gemacht, ich habe es schon so oft gemacht. Wir wissen beide, dass es keine Schäden davonträgt. Also lass mich das machen."
 Widerwillig überlasse ich ihm Livia und schaue zu, wie er sämtliche Erinnerungen an die letzten fünf Minuten aus ihrem Gedächtnis löscht. Ich weiß, dass es das Beste für sie ist. Die Welt, in der ich lebe, ist zu gefährlich für sie. Und deswegen werde ich auch bald nicht mehr darin leben. Wenn ich meinen Bruder befreit habe.
 Und dennoch, ein kleiner Teil meines Verstandes will etwas dagegen unternehmen, als Livia Elijah's Worte nachspricht. Es wäre danach einfacher für mich gewesen. Ich hätte sie nicht mehr anzulügen brauchen. Ich hätte ihr die Wahrheit über mich und meinen Aufenthalt hier sagen können.
 Aber wie gesagt, es ist zu gefährlich und ich will sie da nicht mit reinziehen. Deshalb warte ich geduldig ab, bis Elijah fertig ist und er, während Livia einmal blinzelt, gleich einem Luftzug verschwunden ist.

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