Kapitel 15: Mord

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Die Tatsache, dass mein Outfit für einen Club nicht mehr daneben hätte sein können, hat Rebekah nicht gestört. Ihre Ausrede war: "Da sind sowieso alle dicht" und damit ist die Sache beendet gewesen. Mit Klaus auf eine Party zu gehen, hat mir am Anfang etwas Unbehagen bereitet, aber sobald wir den Club betreten hatten, war er wie vom Erdboden verschluckt gewesen und ist erst wieder aufgetaucht, als wir nach Hause fahren wollten. Ich vermute, er hat irgendwelchen hübschen Mädchen das Blut ausgesaugt.
 Schweigend verbringen wir die Heimfahrt und kurze Zeit später setzen die zwei Mikaelson-Geschwister mich vor meinem Hotel ab. 
 "Wir sehen uns morgen im Kurs, Chloey", meint Klaus, als ich aus dem Wagen steige. Ich schaue ihn irritiert an. Ich habe angenommen, dass wir morgen gleich aufbrechen werden, aber da habe ich mich anscheinend geirrt. Über den Ring haben wir noch gar nicht gesprochen.
 "Ja ..."
 Er zwinkert mir zu und legt den Gang ein.

"Ich sehe dich auch morgen, aber ganz sicher nicht in einer Schule."

 Ich winke Rebekah zu und wende mich dann dem Hotel zu. Es ist später geworden, als ich erwartet habe. Wir haben fast Mitternacht. Und Livia hat die Zimmerschlüssel. Ich werde sie wecken müssen, sofern sie noch nicht schläft.
 Im Foyer treffe ich auf den netten Mann, der normalerweise hinter der Rezeption steht. Er sieht aufgewühlt aus und läuft, mit einem Handy in der Hand, auf und ab.
 "Ähm, entschuldigen Sie bitte", sage ich und trete auf ihn zu. "Könnten Sie mir bitte den Ersatzschlüssel für Zimmer 42 geben? Meine Freundin hat unseren und ich glaube, sie schläft ... Was ist denn los?"
 Der Mann ist, während ich gesprochen habe, nur kurz stehen geblieben, aber dann wieder weitergelaufen. Wie unhöflich.
 Jetzt bleibt er tatsächlich für drei Sekunden stehen um mich anzublinzeln, dann läuft er wieder seinen Weg ab. Wäre der Fliesenboden Wald, wäre er schon völlig aufgewühlt.
 "Ja ja ... Es ist schlimm. Wirklich schlimm. So etwas darf bei uns eigentlich nicht passieren. Wenn das-"
 Ich unterbreche ihn ungeduldig. "Was ist denn passiert?" Der Mann ist ja komplett durch den Wind.
 "Einer unserer Gäste - Riley Sanders - er ist ... er ist ..." Er schlägt die Hände vors Gesicht und plötzlich habe ich Angst, dass er gleich anfängt zu weinen. Ich gehe vorsichtig zu ihm hin und berühre sachte seine Schulter. "Was ist er?"
 "Er ist ... TOT!" Der Mann schüttelt meine Hand ab und läuft wieder seine Bahnen.
 Ich starre ihn an. "Was?"
 "Seine Leiche wurde vor vier Stunden in seinem Zimmer aufgefunden. Der Zimmerservice hat sich verspätet und ... er lag da, mit aufgerissener Kehle."
 "Sie meinen ... ihm wurde die Kehle durchgeschnitten?"
 "Nein! Sie wurde ihm aufgerissen! Als hätte jemand reingebissen und ..." Er legt wieder sein Gesicht in seine Hände und murmelt vor sich hin. "Wenn das an die Öffentlichkeit kommt ... wir sind alle geliefert ..."
 Ich höre ihm gar nicht mehr zu, zu schlimm ist die Befürchtung, die sich mir aufdrängt. Ich bin mir sicher, dass Klaus mit Rebekah ins Hotel gekommen ist, aber dann war er kurz weg. In dieser kurzen Zeit könnte er hoch ins Zimmer geschlichen sein und ... aber warum hätte er das tun sollen? Um seine Blutgier zu stillen, ganz sicher nicht. Er würde sich nicht den Aufwand machen und extra in ein Hotelzimmer einbrechen. Er würde denjenigen manipulieren.
 "Wer war dieser Riley Sanders?", hake ich nach.
 "Oh, er war ein Gast unserers Hotels."
 Ich winke ungeduldig ab. "Das haben Sie schon erwähnt."
 "Er war ... er müsste ungefähr so alt gewesen sein wie Sie, vielleicht etwas jünger. Anfang Zwanzig. Er hat sich hier eingemietet, um an so einem Seminar teilzunehmen. An irgendeiner Universität hier in der Nähe...."
 "Moment, meinen Sie vielleicht ein Malseminar?"
 "Ja! Ja, das war es. Ein Seminar für Malarbeiten. Wissen Sie, wir haben hier viele Leute, die daran teilnehmen. Unsere Preise sind nicht zu teuer und für Stundenten ist das genau das richtige. Aber wenn das jetzt an die Öffentlichkeit kommt ... oh nein, was soll ich nur meinem Vorgesetzten erzählen?"
 Er ist also in unserem Malseminar gewesen. Riley Sanders, der Name ist mir noch nie untergekommen. Doch weshalb sollte Klaus ihn töten? Er ist Dozent im Kurs gewesen, also hatte er vielleicht einen Grund für den Mord ...
 Mein Herz setzt einen Schlag aus, als mir ein Gedanke kommt. Da war dieser Junge, der immer in den Unterricht reingerufen und Nik das Wort genommen hat ... Ein einfacher Dozent würde ihn natürlich nicht gleich deswegen umbringen, aber Klaus war kein einfacher Dozent ... genau genommen war er gar kein Dozent.
 Ich eile mit einer gemurmelten Entschuldigung an dem Mann vorbei und hoch zu unserem Zimmer. Ich klopfe stürmisch gegen die Tür. "Livia, mach auf! Ich bins, Chloe!"
 Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sich die Türe und eine verschlafen dreinschauende Livia gähntmir entgegen. "Chloey?", fragt sie mit einer rauen Stimme. "Warum zum Teufel kommt du erst jetzt ?"
 Ich dränge mich an ihr vorbei und lasse mich auf mein Bett fallen. Draußen höre ich schon die ersten Polizeisirenen. Livia tapst zum Fenster und zieht den Vorhang ein Stück zu Seite. "Was ist da draußen los?"
 Ich seufze und fahre mir über die Augen. Erst jetzt spüre ich, wie mich all die angesammelte Energie verlässt und mein Körper von Müdigkeit übermannt wird. "Es wurde jemand ermordert", sage ich leise. "Riley Sanders, jemand aus unserem Kurs."
 Livia dreht sich erschrocken zu mir um. "Was? Hier im Hotel?"
 Ich nicke.
 "Das ... wow."
 Sie steht schweigend am Fenster und beobachtet das Treiben der Polizei und des Notarztes, der eigentlich völlig fehl am Platz ist. Auch, als ich wieder aus dem Bad komme und mich unter meine Bettdecke kuschle, steht sie noch am Fenster wie eine Schlafwandlerin und schaut nach draußen. Wahrscheinlich hat sie so etwas noch nie erlebt, einen Mord.
 Ich schon, und zwar mehr als einmal. Hunderte Male, wenn nicht sogar tausend. Ein Jahrhundert hat mich zur Mörderin gemacht, zu einem kaltblütigen Vampir. Selbst als Mensch schrecke ich davor nicht mehr zurück. Es berührt mich nicht, weil es für mich normal geworden ist. Aber wenn ich das Livia erzählen würde, würde sie mich als Psychopathin darstellen.
 Dabei bin nicht ich der Psychopath, sondern der Mann, der für den ganzen Trubel da draußen verantwortlich ist.

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