Kapitel 24: Ich hasse Flugzeuge

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Mit Kopfschmerzen und einem Nachklingen meiner Schreie in den Ohren gehe ich hinter Niklaus her an Bord des Flugzeuges.

Wir haben drei Sitze nebeneinander. Yuhu.
Klaus lässt mich zuerst durch, und obwohl ich es schon jetzt unerträglich finde, lasse ich Stefan ans Fenster, womit wir kurzzeitig jede Menge Stau verursachen.
Als wir dann schließlich alle Platz genommen haben, Klaus am Gang und ich in der Mitte, eingeklemmt zwischen meinem psychopathischen, gewaltsamen und paranioden Exfreund und dem blutdurstigen Ripper von Bruder, wage ich es nicht, mich auch nur ein Stück zu entspannen. Bei jeder unabsichtlichen Berührungen Klaus', sei es auch nur sein Ellbogen, der mich versehentlich beim Hinsetzen berührt, zucke ich unwillkürlich zusammen. Kein Wunder, vor einer Stunde hat er mich auf dem Boden zusammengeschlagen.
Stefan hat von alldem nichts mitbekommen; entgegen meiner Befürchtungen hat die Manipulation gehalten.
"Bitte stellen Sie sicher, dass Sie ihre Sicherheitsgurte angelegt haben. Das Flugzeug startet in Kürze", erklingt eine mechanische Stimme aus den Lautsprechern.
Ich taste nach dem Gurt und lasse ihn einrasten. Danach zeige ich Stefan, wie es geht.
Das Flugzeug kommt langsam ins Rollen, wird immer schneller und schneller, und der Druck in meinen Ohren nimmt zu. Ich kneife die Augen zusammen, als ich spüre, wie das Flugzeug abhebt, und mein Magen einen Satz macht. Meine Finger krallen sich in die Armlehnen. Nur wage bekomme ich mit, wie Stefan nach meiner Hand tastet und sie umklammert, als hinge sein Leben davon ab. Was bei einem Vampir verdammt weh tut, aber das lenkt mich wenigstens von dem Schwindelgefühl ab.
Ich öffne die Augen wieder und zwinge mich, meinen Bruder anzulächeln. "Das ist nur ein Flugzeug. Eine Maschine, die fliegt. Du musst keine Angst haben."
Stefan mustert mich einen Augenblick lang ausdruckslos, dann ziehen sich seine Mundwinkel leicht nach oben. "Ich weiß."
Ich stoße die Luft aus, die ich angehalten habe, und wackle mit der Hand. "Könntest du den Druck bitte etwas verringern? Das tut echt weh."
Er schaut nach unten auf seine weißen Fingerknöchel. "Tut mir leid", murmelt er und lässt meine Hand los, als hätte er sich verbrannt.
Ich lehne mich zurück gegen die Kopfstütze und konzentriere mich auf einen Punkt an der Decke. Seit dem Vorfall mit dem Kellner scheint Stefan sich zu bemühen, netter ... offener zu mir zu sein. Ich habe das Gefühl, dass er es wieder gut machen will. Mein kleiner Bruder ...
Das Flugzeug macht einen Satz und mir wird augenblicklich wieder schlecht. Flughäfen, Flugzeuge - ich hasse sie alle. Es fühlt sich an, als würde ein dicker Klumpen in meinem Magen sitzen und bei der kleinsten Bewegung der Maschine die Gravitationskraft außer Acht lassen und wieder den Weg zurück durch die Speiseröhre nehmen. Zittrig atme ich ein und versuche, mich mit etwas abzulenken. Ein Lied. Was für Lieder kenne ich? Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away. Zum Teufel, warum muss ausgerechnet dieses Lied in meinen Kopf schießen? This year, to save me from tears ...
"Ist alles in Ordnung?", höre ich plötzlich die Stimme, nicht weit von meinem Ohr entfernt.
Ich reiße die Augen auf und starre Klaus entgeistert an.
Als er meine Miene sieht, presst er nur kurz die Lippen zusammen und ich meine, einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen. "Du könntest mir wenigstens dafür danken, dass ich mich erkundigt habe."
Ein paar Sekunden braucht es mich, um diese Worte zu verdauen, in denen Klaus sich wieder weggedreht hat und in einem Magazin blättert. "Danken", wispere ich. Der Klumpen in meinem Magen wird größer und drückt unangenehm, doch ich komme nicht umhin, wütend zu werden. Ich weiß, ich habe es verdient ... ich habe mich selbst dafür gehasst ... aber dass er so eine Unverschämtheit besitzt! "Ich soll dir dafür danken, dass du dich erkundigt hast, wie es mir geht, nachdem du mich zusammengeschlagen hast?", zische ich. "Du - du hättest alles mit mir anstellen können, du hättest mich zu einem Vampir machen können -"
"Denke nicht, dass das Thema schon vom Tisch ist, Liebes." Klaus hat die Augen zusammengekniffen. "Du hast blass ausgesehen. Und tust es ehrlich gesagt immer noch. Ich habe mir Sorgen gemacht-"
"Sorgen gemacht." Ich verdrehe die Augen und starre auf die Rückenlehne vor mir. Oh oh, es wird schlimmer. Ich hätte mich nicht aufregen sollen. Mein Puls geht schneller und mir ist schlecht - so furchtbar schlecht. Ein Schmerz blitzt hinter meiner Stirn auf.
Ich befreie mich vom Gurt und stehe mit einem Ruck auf. Ich dränge mich an Klaus vorbei. "Entschuldige kurz." Jede Wut ist aus meinem Ton verschwunden und ich kämpfe mit mir, um nicht in Tränen auszubrechen. Diesen Teil an Menschsein hasse ich. Der Körper hat seinen eigenen Wille, wenn er krank ist, kann ich nichts dagegen machen, außer mich ihm zu fügen.
Vor der Toilette ist keine Schlange - die kommt erst, wenn das Flugzeug seinen Höhepunkt erreicht hat.
"Miss, bitte gehen Sie wieder auf Ihren Platz. Wenn Sie es noch fünf Minuten länger aushalten können-"
Mit einem Kopfschütteln dränge ich mich an der Stewardess vorbei und reiße die Toilettentür auf. Keuchend hänge ich über dem Waschbecken und warte, dass etwas kommt. Der Klumpen ist abgeschwollen, aber das Gefühl ist nicht gegangen. Mein Kopf brennt.
"Chloey." Ich spüre eine Hand auf meine Rücken und dann höre ich, wie jemand die Tür von innen abschließt.
"Geh raus."
Anstatt meiner Aufforderung zu folgen, streicht Klaus mir zärtlich die Haare aus dem Gesicht und hält sie in meinem Nacken zusammen.
"Das habe ich alles schon gesehen. Du musst dich nicht schämen."
Ein Krächzen entweicht mir, das eigentlich ein Lachen hätte sein sollen. Ich schließe die Augen. "Ich schäme mich nicht. Ich will nur nicht mit dir allein sein."
Eine Weile sagt er nicht. Ich atme schwer, doch es kommt nichts. Mein Magen beruhigt sich wieder. Die gedämpfte Stimme verkündet, dass das Flugzeug nun seinen Höhepunkt erreicht hat und man die Gurte jetzt lösen darf.
Ich stütze mich am Waschbecken ab und starre in den Abfluss. Ja, der Schwindel ist vorbei. Der Schmerz in meinem Kopf abgeklungen.
"Geht's wieder?"
Ich nicke.
Klaus dreht mich zu sich herum und nimmt mein Kinn in die Hand. Nicht grob wie beim letzten Mal, sondern sanft. Mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann, sieht er mir in die Augen. Stumm.
Ich lache zittrig. "Du bist merkwürdig, Klaus. Von einer Sekunde auf die andere wirst du von dem selbstlosen Helfer zum ..." Mir fallen keine anderen Worte ein, und so schlecht ich mich auch dabei fühle, bringe ich sie doch über die Lippen. "zum blutrünstigen Hybriden, und jetzt wieder zu dem Niklaus, der du früher warst. Kannst du dich nicht endlich mal entscheiden?" Es bleibt mir keine andere Wahl, als grob zu ihm zu sein - andernfalls wären die Tränen gekommen.
Klaus sagt nichts, er beugt sich zu mir herunter und drückt seine Lippen auf meine. Sie sind feucht, als hätte er geweint. Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich nicht überrascht, ich bin alles andere als überrascht. Das ist richtig, so passt es und nicht anders. Seine Lippen an meinen, seine Hand an meiner Wange. Es hätte niemals anders sein dürfen.
Er scheint auf etwas zu warten, denn er nimmt nicht das volle Potential aus dem Kuss. Mit einem leichten Nicken gebe ich ihm die Erlaubnis.





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