Kapitel 30: 3. November 1887

2.9K 158 7
                                    

Freya wird ein Winterkind.
In weniger als einem Monat ist es soweit. Neben unserem Schlafzimmer steht ein Kinderzimmer bereit, das auf Freyas Geburt wartet. Nik hat ein altes Mobile aus seiner Kindheit gefunden und über das Bett gehängt. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Haufen Schrott an Fäden, aber bei genauerem Hinsehen erkennt man die Feinheit, mit der jedes Stück gearbeitet worden ist. Die Steine stellen verschiedene Tiere da. Als ich Nik gefragt habe, wer sie herausgemeißelt hat, zuckte er nur mit den Schultern und sagte: "Irgendein alter Wikinger aus unserem Dorf."
Ich glaube, es steckt mehr dahinter. Warum sollte er es sonst all die Jahre aufgehoben haben? 
 Freya wird ein Blutkind, das ist mittlerweile nicht mehr zu vermeiden. Hunderte sind in den letzten Wochen gestorben. Nik konnte die Kriege nicht mehr vor mir und seiner Familie verheimlichen. Freya wird inmitten von Kampf geboren werden, es sei denn, ein Wunder geschehe noch in der kurzen Zeit.
 Vampire und Hexen bekämpfen sich aufs Neue. Ein Fehler der einen, die Rache der anderen. Um beide Parteien wieder unter einen Hut zu bringen, um über beide Parteien zu herrschen, darf Nik sich weder gegen die einen, noch gegen die anderen erheben. Das ist das Problem. In der Nacht, in der er mich vor den Vampiren gerettet hat, hat er sich gegen den Vampirclan gestellt. Sie sind nun seine Feinde. Hätte er sich vor fünf Monaten an den Hexen wegen diesem Zauber gerächt, hätte er nun zwei Feinde.
 Jeden Tag kann ich mich mehr an die Nacht erinnern, die ich für einen Traum gehalten habe. Der Blutzauber. Die Höhle. Genevieves Stimme. Ich will dir helfen. Deine und Klaus' Beziehung festigen. Die Worte habe ich niemand anderem anvertraut. Nik denkt, die Hexen wären auf seiner Seite, aber ich bin mir nicht sicher. Ich kann mir keinen Reim auf Genevieves Handeln machen. Sie ist wütend auf ihn wegen einer zerbrochenen Beziehung. Warum sollte sie wollen, dass wir ein Kind haben?
 "Wie geht es dir?" Nik sitzt auf der Bettkante und streichelt zärtlich meine Schläfe.
 In letzter Zeit verbringt er ganze Tage außerhalb des Anwesens, streift durch die Stadt, versucht, Allianzen zu schließen. Versucht, sich abzulenken, nur um abends völlig aufgewühlt und besorgt nach Hause zu kommen und sich an mein Bett zu setzen. Er ist innerlich zerissen. Er würde am liebsten weit weg von hier sein, um mein Leiden nicht mitanzusehen, doch gleichzeitig will er mich keine Sekunde aus den Augen lassen, aus Angst, was mir zustoßen könnte.
 Ich lege die Hand an seine Wange. Angesichts seiner besorgten Miene muss ich lächeln. "Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht es gut. Das ist normal, wenn man schwanger ist." Ich hoffe es jedenfalls. Ich kenne niemanden, der schonmal schwanger war, deshalb kann ich nur vermuten, was normal ist und was nicht. Zumal bei der Schwangerschaft eines Vampires so ziemlich nichts normal ist.
 Nik erwidert mein Lächeln nur leicht. Tiefe Furchen graben sich jedes Mal in seine Stirn, sobald er unser Schlafzimmer betritt. Kol und Rebekah wechseln jeden Nachmittag meine Bettwäsche, damit er die blutigen Laken und Tücher nicht zu Gesicht bekommt.
 "Elijah sagt, dass du heute schon weniger Blut gespuckt hast." Seine Stimme ist rau, müde. Er schläft schon lange nicht mehr. Und wenn doch, nicht bei mir. Es bringt ihn um, mich leiden zu sehen und niemand Verantwortlichen zu haben, den er dafür töten kann.
 Ich will nicken, doch plötzlich überkommt mich ein Hustenanfall und ich halte mir das frische Tuch, das Elijah mir gebracht hat, vor den Mund. Als ich es wegnehme, ist es befleckt mit roten Sprenkeln.
 Die Furchen auf seiner Stirn vertiefen sich noch mehr, wenn das überhaupt möglich ist. Er senkt sich herab und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. "Ich liebe dich."
 Meine Stimme ist kratzig, als ich erwidere: "Ich liebe dich noch mehr."
 Jetzt muss er doch lächeln. Er nimmt meine Hand und küsst sie. "Ich liebe dich mehr als Sterne am Himmel stehen."
 Kaum liegt die Erwiderung auf meiner Zunge, werde ich von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt. Das ist normal, sage ich mir. So verlaufen Schwangerschaften.
 "Du musst das nicht mitanschauen, Nik." Ich studiere seine Wagenknochen, seine Lippen, seine Augen. Sein Blick trieft vor Schmerz. Ich weiß nicht, was passiert, wenn er mich noch weiter leiden sieht.
 "Natürlich muss ich das. Ich darf dich nicht alleine lassen."
 Leicht drücke ich seine Hand. "Du darfst deine Stadt nicht alleine lassen. Bring das mit den Vampiren wieder in Ordnung, und ehe du dich's versiehst, bin ich wieder gesund. Vertrau mir." Bei den letzten Worten schnüren Tränen mir die Kehle zu. Blöd nur, dass Vampire nicht weinen können.
Zoey sagt, dass alles gut werden wird. Dasselbe sagen Elijah und Rebekah und Kol. Selbst Finn, auch wenn er mich nicht besonders gut leiden kann. Sie sind meine Familie. Ich vertraue ihren Worten, genauso wie Nik jetzt meinen vertrauen muss.
 "Versprich mir, dass du dir keine Sorgen mehr um mich machst." Unter anderen Umständen hätte ich ihn dabei geküsst, um ihm das Versprechen leichter abzunehmen, aber ich bin zu schwach, um mich zu erheben. "Versprich es mir."
 Nik senkt den Kopf. Führt meine Finger zu seinen Lippen. Nach einer Weile, in der sich keiner von uns regte, sagt er schließlich: "Ich verspreche es. Unter einer Bedingung." 
 Trotz meines Zustandes gelingt es mir, die Augenbraue zu heben und einen spöttischen Ton anzulegen. "Und die wäre?"
 "Du nimmst mein Geschenk an."
Er greift in seine Manteltasche und nimmt ein kleines Kästchen heraus. Es ist schwarz, mit weichem Stoff überzogen. Er klappt es auf und dreht es so, dass ich es sehen kann.
 Mir funkelt ein silberner Ring entgegen, übersäht mit Ranken und Blumen. Auf die Vorderseite ist das Zeichen der Mikaelsons geprägt, einer Blüte, aus der ein Blutstropfen fällt.
 Mit einem Lächeln lasse ich mir den Ring an den Finger stecken. Er passt perfekt. Die silbernen Ranken schlingen sich um meinen Ringfinger, als würden sie zu ihm gehören.
 Nik lächelt auch. "Ich habe ihn von einer Hexe anfertigen lassen. Er beschützt dich vor meinen Feinden, sowohl gegen körperliche Gewalt als auch gegen geistige Angriffe. Das ist das einzige, das ich für dich tun kann. Dich vor der Außenwelt zu beschützen."
 "Nik", flüstere ich, gerührt. "Ich liebe dich so sehr." Ich ziehe ihn zu mir hinunter und küsse ihn. Das Blut auf meinen Lippen spielt keine Rolle. Wir lieben uns. Und das ist das einzige, was zählt.

DesideriumWhere stories live. Discover now