Kapitel 18: Schlachtplan

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Am Samstag Abend sitze ich mit vier Vampiren in der Küche und trinke Kaffee.
 Das alles wäre nicht so verrückt gewesen, wenn mich nicht einer ununterbrochen diabolisch angrinsen, ein anderer jeden Kontakt mit mir meiden, der dritte mich nicht dauernd fragen, ob ich mich wohl fühle oder ob er schnell Plätzchen besorgen soll, und die vierte Vampirin derweilen nicht ihre Fingernägel feilen würde.
 Davon abgesehen findet es meine menschliche Nase plötzlich extrem ekelig, wenn sich jemand Blut in den heißen Kaffee kippt und es unterrührt.
 Das sind allerdings leider nicht unsere Hauptprobleme. Ich hatte am Anfang ja gar kein Problem gehabt, aber kaum kommt Klaus, verkompliziert sich die Sache.
 Vorsichtig, ohne den dunkelhaarigen Vampir aus den Augen zu lassen, setze ich die Tasse an meinen Mund und nippe an der dampfenden Flüssigkeit. Ohne Milch schmeckt sie grauenhaft, aber Milch ist nun mal nicht das, was Vampire durchgehend trinken.
 Schließlich gebe ich es auf und seufze. "Kol, kannst du das bitte lassen? Das ist gruselig."
 Kols Grinsen wird nur noch breiter, sodass seine makellosen weißen Zähne zu sehen sind. "Ich weiß gar nicht, was du meinst, mein Engel."
Elijah kommt mir zu Hilfe. "Kol, bitte gehe Chloes Bitte nach und hör auf sie anzustarren."
 Kol verdreht die Augen, wendet seinen Blick aber von mir ab. Sein Grinsen verschwindet nicht, aber das kann mir jetzt egal sein. Früher war mir egal, wie der jüngste Bruder sich verhalten hat, aber jetzt nicht mehr. Vor allem nicht mehr seit seinem Streit mit Klaus und Elijahs Warnung. Je weniger Kol mich beachtet, desto besser.
Wenigstens ist Finn nicht mehr da, und das ist auch der Grund warum alle Blutbeutel in ihren Kaffee kippen, und kein Rinnsal aus einer frischen Ader hineinlaufen lassen: Die Vorräte im Kühlschrank müssen aufgebraucht werden.
 Klaus hat unsere Wortaustausch schlichtweg ignoriert. Die Prise Aufmerksamkeit, die er mir heute im Unterricht geschenkt hat, scheint ihm wohl für zwei Tage genug zu sein. Aber er kann keinen Schlachtplan entwerfen, in dem es um mich und meinen Bruder geht, ohne mich mit einzubeziehen.
 Der dunkelblonde Vampir sitzt vor einem leeren Blatt Papier und dreht den Bleistift in seinen Händen. "Ich habe es euch schon erklärt, also lasst die Fragerei", setzt er seinen Monolog fort. Vorhin hat Rebekah gefragt, was die Hexen haben wollen, und das war seine Antwort. "Ursprünglich war geplant, dass Chloe und ich alleine hingehen", bei dieser Aussage ziehe ich eine Augenbraue hoch, aber wie es zu erwarten war, schaut er mich nicht an. ", aber die Pläne haben sich geändert. Auf der Fahrt nach Helena und zurück hatte ich viel Zeit zum Nachdenken." Rebekah klatscht abfällig mit ihrer Feile gegen den Tischrand. "Uh, Nik hat nachgedacht." Dafür erntet sie von ihrem Bruder einen bösen Blick.
 "Der irische Hexenzirkel will den Ring, den ich ... der gegen geistige sowie körperliche Angriffe schützt. Wenn der Ring diesen verrückten Hexen in die Hände fällt, die es obendrein noch geschafft haben, Damon Salvatore gefangenzunehmen, dann können sie wer weiß was machen. Irland ist eine Wiege der Magie, und verfügt über sehr alte Zaubersprüche. Es ist zu riskant, ihnen den Ring auszuhändigen."
 Ich seufze. "Was schlägst du als Ersatz vor? Die Hexen wollen diesen Ring, und sie werden Damon erst freilassen, wenn sie ihn haben."
 Klaus wirft mir einen kurzen Blick zu. "Natürlich werden wir eine identische Kopie anfertigen lassen."
 "Ach, dass ich daran nicht gedacht habe", erwidere ich sarkastisch.
 "Woher willst du eine Kopie bekommen?", fragt Elijah.
 "Eine befreundete Hexe kann mir eine machen, wenn sie das Original vor sich hat."
 "Du meinst eine Hexe, die du zuerst bedrohst und danach umbringen wirst."
 Klaus lächelt. "Weißt du, Schwesterchen, ausnahmsweise liegst du nur halb daneben. Ich werde sie nicht bedrohen, aber umgebracht werden muss sie trotzdem."
 "Die Hexen werden eine Kopie von dem Original unterscheiden können", wirft Kol gelangweilt ein. "Sie spüren die Magie."
 Ich seufze leise, lehne mich zurück und nehme einen Schluck von meinem Kaffee. Warum muss Klaus sich unbedingt einmischen? Ursprünglich wäre ich einfach hingegangen, hätte dem Zirkel den Ring gegeben, und er hätte mir Damon und meine Eisenkraut-Kette ausgehändigt. Aber nein, machen wir die Sache komplizierter.
 Während ich zum Fenster hinausschaue, schweifen meine Gedanken zu dem Hexenzirkel ab, der mir vor vier Jahren meine Untersterblichkeit genommen hat. Es war irgendwo in Mittelamerika gewesen. Ich hatte meine Menschlichkeit abgeschaltet, wegen ... wegen der Sache mit New Orleans. Die Hexen hatten mich in einem Dorf gefunden, das ich in der Stunde zuvor blutleer getrunken hatte. Kein einziger lebender Körper war noch zu finden gewesen. Sie haben mich mit einem Zauber betäubt und dann auf einem großen Platz angekettet. Gegen Nacht bin ich wieder zu mir gekommen. Alles war von dem gigantischen Lagerfeuer in der Mitte erhellt gewesen, und ich war so nah dran, dass Funken auf mich übergesprungen sind... Ich litt in dieser Zeit unter Todesängsten. Dann haben die drei ältesten einen Sprechgesang angestimmt, mir Blut abgenommen und einem kleinen Jungen neben mir zum Trinken gegeben. Er war leichenblass, auf seiner Haut waren  überalll rote Furunkeln gewesen ... er hat schrecklich ausgesehen, und war dem Tod nahe gewesen. Die Hexen haben meine Unsterblichkeit, mein Vampirdasein auf diesen kleinen Jungen übertragen, und mich dann als Mensch mitten in der Wildnis zurückgelassen. Irgendwie bin ich in eine besiedelte Gegend gekommen und habe realisiert, was passiert ist. Meine Menschlichkeit war plötzlich wieder da. Und auf einmal war ich unheimlich froh, kein Vampir mehr zu sein. Von den Hexen und dem Jungen habe ich nie wieder etwas gehört, aber das hat mich gelehrt, dass die alten Hexenzirkel, die mit einer unendlich langen Ahnenreihe, immer noch über Zauber verfügen, die den "normalen" Hexen unbekannt sind.
 Und das verstärkt Klaus' Befürchtung über die irischen Hexen in mir.
 Ich stelle die Tasse wieder auf den Tisch und rufe über das Stimmengewirr der inzwischen streitenden Geschwister hinweg: "Klaus hat Recht, die Hexen dürfen den Ring nicht bekommen." Alle sind still geworden und schauen mich, sogar Klaus. Vielleicht ist er so überrascht von meiner Zustimmung, dass er ganz vergisst mich aus einem mir unbekannten Grund zu ignorieren.
 "Aber sie werden auch eine Täuschung erkennen. Also haben wir nur noch zwei Möglichkeiten: Meinen unbeschreiblichen Charme oder Gewalt."
 Klaus stößt ein trockenes Lachen aus. "Du meinst deinen unbeschreiblichen Charme, der, seit du ein Mensch geworden bist, stark abgenommen hat? Dann ja wohl eher mein Charme."
 Ich will schon zu einer Gegenrede ansetzen, als Elijah dazwischenfährt: "Wir werden mit niemandes Charme den Hexen gegenübertreten. So ungern ich es auch sage, wir müssen uns der Lösung mit Gewalt nähern."
 Kol reibt die Hände zusammen, ein diebisches Funkeln in seinen Augen. "Das höre ich gerne."
  "Du, Kol, wirst nicht mitgehen. Genauso wie ihr alle anderen."
 Ich hebe empört eine Augenbraue. "Was?", frage ich Klaus, im selben Moment wie Rebekah protestierend die Stimme erhebt: "Das entscheidest nicht du."
 "Dich habe ich nicht gemeint, Chloe", sagt Klaus, die Proteste seiner Geschwister übergehend. "Du kommst natürlich mit. Und dein Bruder."
 Ich runzle die Stirn. "Damon ist bei den Hexen, schon vergessen?"
 Er winkt ab. "Den mein ich doch nicht. Dein kleiner Bruder, der blutdurstige Ripper."
 Ich schnappe überrascht nach Luft und kann Klaus nur anstarren. Mein Mund öffnet sich, aber Worte wollen nicht kommen.
 Mit einem Ruck steht Klaus an der Tür und hält mir einen Arm hin. "Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss Salvatore?"
 "Silver", verbessert Rebekah ihn. Mir ist gerade egal, wie Klaus mich nennt, und gehe an ihm vorbei durch den Gang.
 Ich stapfe mit aufgebrachten Schritten voraus, bis ich vor einer Abzweigung inne halten muss. Treppe runter oder den Gang weiter entlang?
 "In den Keller", weist Klaus mich an und ich marschiere die Treppe hinunter.
 Am Treppenabsatz wirble ich jedoch herum und verschränke die Arme.
 "Was fällt dir ein?", zische ich wutentbrannt. "Du willst mir jetzt doch nicht sagen, dass Stefan bis jetzt in deinem Keller verbracht hat? Versteinert? Seit 128 Jahren!" 
 Klaus geht an mir vorbei und macht mir mit einer Handbewegung deutlich, dass ich ihm folgen soll. Ich schnaube, aber letzendlich bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm nachzulaufen.
 Wir machen vor einer Stahltür Halt, die ich zuletzt vor 128 Jahren gesehen habe. Mit einem Schlüssel, den er um seinen Hals trägt, schließt er die Tür auf und ich stürme an ihm vorbei in den dämmrigen Raum. Ich muss warten, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, bis ich etwas sehen kann. Und da ist er: Eine reglose Gestalt, grau wie das Gestein um ihn und mit versteinerten Adern überzogen. Ich knie vor ihm, wage es aber nicht, ihn anzufassen. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, hat er versucht, mich zu töten. Nik hat ihn daraufhin in dieses Loch gesteckt, und ich habe ihn Monate lang darum gebeten, ihn gehen zu lassen. Dann, als ich ihn fast so weit hatte, hat er mich verbannt. Und seitdem ist Stefan hier.
 Ich streiche sanft über die kalte Wange aus Stein. Er ist noch am Leben, nur versteinert. Er lebt noch, er lebt noch, beruhige ich mich in Gedanken. Dein kleiner Bruder ist hier, bei dir, und lebt, Chloey.
 Auf einmal spüre ich wieder die Liebe, die ich für ihn empfunden habe, als wir noch Kinder waren. Ich war fünf Jahre alt, Damon elf und Stefan drei. Auf seinen Kleinkinder-Beinen ist er uns beim Spielen auf der Wiese immer hinterhergetappst, hat versucht, seine älteren Geschwister zu fangen. Ich habe mich nicht erwischen lassen, aber Damon hat ihn nach kurzem immer auf die Schultern genommen und ist mir hinterhergelaufen. Kreischend bin ich davongerannt, aber sie haben mich jedes Mal eingeholt. Natürlich. Wenn es Sonntag war, gab es immer Apfelkuchen, nachdem wir mit dem Spielen fertig waren und Stefan hat mein Essverhalten nur zu gern immitiert. Dann hat unser Hausmädchen ihm auf die Finger geschlagen und gesagt, dass er Manieren zeigen soll. Das gleiche meinte sie dann zu mir. Damon hat nie Ärger bekommen, obwohl er ein Stück seines Apfelkuchens immer an unseren Hund verfüttert hat. Wir haben so viel gelacht, damals, als wir noch klein waren. Aber mit den Jahren ist es immer weniger geworden.
 Ich merke, dass mir eine Träne entwichen ist, und trockne sie schnell mit dem Ärmel meines T-Shirts. Als Vampir habe ich so gut wie nie geweint, und kaum bin ich ein Mensch, weine ich bei jeder Gelegenheit. Wie ich mich dafür hasse.
 "Willst du nur dasitzen und ihn anstarren?", fragt eine Stimme hinter mir gelangweilt.
 Ich zucke zusammen; ich habe ganz vergessen, dass Klaus auch noch da ist. Stumm starre ich weiter auf meinen versteinerten Bruder.
 Seufzend lässt sich Klaus neben mir nieder und schaut mich einige Sekunden lang an, bevor er leise, fast sanft, meint: "Wir brauchen Stefan mehr als du denkst. Meine Geschwister können seinen Part in meinem Plan nicht ersetzen."
 Ich hebe meinen Blick und schaue Klaus fragend ins Gesicht. Seine Züge sind weicher geworden. "Welcher Plan?"
 Langsam streckt er eine Hand aus und wischt eine Träne von meiner Wange, die mir entgangen ist. Bei seiner Berühung erstarre ich. Er fühlt sich an wie damals; warm und rau. Seine Hände riechen nach Farbe, als hätte er vor kurzem gemalt.
 "Ihr seid Geschwister, du, Damon und Stefan. Zwei von euch sind vereint, nur einer fehlt noch."
 "Und?" Ich schiebe seine Hand weg, die sich nicht von der Stelle auf meiner Haut gerührt hat.
 Er grinst kurz, bevor er erklärt: "Ich habe es bei meinen Geschwistern und mir gesehen, wenn auch eher selten: Wenn wir zusammen sind, haben wir am meisten Kraft. Wir geben uns gegenseitig Energie und Mut, und egal wie sehr wir uns nun hassen, wir sind füreinander da. Du musst den Hexen gegenübertreten, und das schaffst du nicht alleine. Ich kann mich nicht blicken lassen, ehe du nicht mit ihnen geredet hast. Also muss Stefan mit; er ist dein und Damons Bruder und dazu noch ein Vampir. Er kann dich beschützen und dir den nötigen Mut geben."
 So vieles macht keinen Sinn: Mir Mut geben? Für was? Was für einen brillanten Plan hat Klaus sich da ausgedacht? Aber das, was ich frage, ist etwas anderes. "Mich beschützen?", wiederhole ich mit einem kleinen Lächeln.
 Klaus runzelt die Stirn und nimmt mein Handgelenk. "Darf ich?", fragt er, während seine Reißzähne aus dem Versteck gleiten und sich Adern um seine Augen bilden.
 Geschockt starre ich ihn an und will meinen Arm zurückziehen. "Nein."
 "Ist nicht für mich", sagt er und beißt meine Haut auf. Mein Schrei bleibt in der Kehle stecken, als er mein Handgelenk an den Mund des Steinvampirs drückt. Die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf, als ich spüre, wie sich die Lippen teilen und etwas Spitzes in meine Hauptschlagader sticht und mehr Blut heraussaugt. Ich beiße die Zähne zusammen und schließe die Augen, bis es vorbei ist.
 Als Klaus meinen Arm wieder wegzieht, blinzle ich und sehe dort, wo zuvor nur eine Steinpuppe war, Stefan. Aus Fleisch und, mehr oder weniger, Blut.
 Seine Augen scheinen erst mich, dann Klaus zu scannen, dann den Raum um uns herum. Schließlich gleitet sein Blick wieder zu mir und er schenkt mir vorsichtig ein blutverschmiertes Lächeln.

DesideriumWhere stories live. Discover now