Kapitel 8: Hindernisse

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Ich stemme die Hände in die Hüften und frage: "Wie kommst du auf die Idee, dass es Kol war? Der Ring kann auch einfach nur verloren gegangen sein."
 Niks Blick schweift von Kol zu mir. "Er hat es gerade eben zugegeben, Liebes."
 "Ach ja? War das wieder in einer eurer Geheimsprachen der Mikaelsonfamilie, die ich nicht verstehe?"
 Kol steht auf einmal vor mir und grinst. In einem schuldbewussten Ton, der so gar nicht zu dem Funkeln in seinen Augen passen will, sagt er: "Ich muss dir was gestehen, mein Engel. Dein psychopatischer Exfreund hat Recht. Ich habe den Ring genommen, weil du ihn anscheinend nicht mehr gebraucht hast."
 Ich runzle die Stirn. "Aber wie? Und warum zum Teufel solltest du es zugeben?"
 "Ich bin eben ehrlich!" Er kommt immer näher, bis ich mein Spiegelbild in seinen Pupillen sehen kann. "Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der du Blut gespuckt hast? Nik war natürlich sofort zur Stelle gewesenund hat dir geholfen, das durchzustehen. Ich musste auch helfen ... ich und Beks durften das Blut entsorgen."
 Langsam geht mir ein Licht auf.  "Du hast etwas davon genommen und es später benutzt, um das Geheimfach zu öffnen."
 Kol lächelt anerkennend. "Ganz richtig, mein Engel. Du bist klug." Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr und wandert mit seinen Fingern meinen Hals entlang, nur wenige Millimeter Haut trennen ihn von meiner Hauptschlagader. Ich ziehe scharf die Luft ein.
 "Lass sie in Ruhe, Kol", sagt Nik. "Gib mir lieber den Ring."
 Kol zieht seine Hand zurück und dreht sich zu ihm um. "So gern ich es auch tun würde, ich hab ihn nicht."
 "Und wo ist er?"
 "In Montana."
 "Was?", rufe ich. "Das ist mehr als einen Tag entfernt!" Ich schaue Klaus flehend an. "So viel Zeit habe ich nicht! Livia wird misstrauisch, wenn ich so lange weg bin!"
 Klaus steht still da, er verzieht keine Miene. "Kol, ich würde mir jetzt an deiner Stelle aus den Augen gehen. Bevor hier noch jemand einen Dolch ins Herz bekommt."
 Die Tür geht einmal auf und wieder zu und Kol ist weg. Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen schießen. Wenn Livia nicht hier wäre, würde es gerade noch gehen. Aber ich kann nicht zwei Tage weg fahren, und sie mitnehmen kann ich auch nicht. In neun Tagen wird Damon getötet, wenn ich den Hexen den Ring nicht bringe. Einen Tag nach Montana. Mehr als einen Tag. Einen Tag zurück. Einen Tag zum New Yorker' Flughafen. Zwei Tage, bis die Fluggesellschaft es über den Atlantik geschafft hat. Und das alles ohne Verzögerungen gerechnet, ohne Stau oder der einfachen Tatsache, dass ich den Ring erst suchen muss. 
 Ich tupfe mir mit dem Saum meines Shirts die Tränen aus den Augenwinkeln, und fange dann an, nervös im Zimmer hin und herzulaufen. "Was mach ich denn jetzt?", sage ich mehr zu mir selbst als zu Klaus. "Ich muss diesen Ring finden, und zwar so schnell wie möglich! Warum musste Kol ausgerechnet das aus der Schatulle nehmen, das die Hexen haben wollen? Hätte er nicht auch ein anderes Schmuckstück rausnehmen können? Und warum musste er ihn nach Montana bringen? Warum hat er ihn nicht einfach hier im Haus gelassen? Ich kann Damon nicht sterben lassen! Er ist mein Bruder, den einzigen den ich noch habe!" Meine Stimme wird immer panischer, mein Redefluss immer schneller. "Was ist, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe? Wenn ich zu spät komme? Wenn sie Damon schon vor der Frist töten, weil sie denken, dass ich nicht mehr komme? Was mache ich dann? Er ist doch mein Bruder!"
 Auf einmal spüre ich Klaus Mikaelsons Arme um mich, wie er meinen Kopf sanft gegen seine Brust drückt und mir beruhigend über die Haare streicht. "Schhh. Alles wird gut, Liebes." Ich schluchze und vergrabe mein Gesicht in sein Tshirt. Ich ziehe seinen Geruch ein. Er riecht nach Asche und Zitronengras, einem Geruch, der mir so vertraut ist wie mein eigenes Gesicht. Einen Moment lang verliere ich mich in dem Augenblick, vergesse, dass seitdem 128 Jahre vergangen sind und genieße es, von Nik getröstet zu werden.

 Dann wird mir die Realität wieder bewusst und ich stoße Klaus von mir weg. "Warum machst du das?" Meine Tränen haben versiegt und ich funkle ihn wütend an.
 "Warum sollte ich was machen?", fragt er mit ruhiger Stimme.
 Ich raufe mir die Haare, drehe mich um, gehe ein paar Schritte zum Fenster, entscheide mich dann anders, gehe wieder ein paar Schritte zurück. Das macht er absichtlich. Er will mich provozieren. Aber ich lasse mich nicht provozieren. Ich darf einfach nicht mehr auf seine Tricks hineinfallen.
 "Warum manipulierst du mich nicht?", frage ich leise. "Das wäre doch viel einfacher für dich. Du könntest mich so manipulieren, dass ich auf das höre, was du sagst und nichts gegen deinen Willen tue. Warum hast du das nicht schon damals gemacht?"
 Klaus geht langsam zu einem Bild hinüber, das in der Nähe des Fensters an der Wand hängt, und betrachtet es. "Dann hätte ich meine kleine Chloey nicht mehr gehabt, die alles was ich sage und tue in Frage stellt. Dann wärst du nur eine von vielen Marionetten gewesen", sagt er mit rauer Stimme und erinnert mich in diesem Moment so sehr an den Nik, der er früher zu mir gewesen ist. Vorsichtig streicht er mit den Fingerspitzen über seine alten Pinselstriche.
 "Du hättest keinen Ärger wegen mir gehabt. Ich habe in so kurzer Zeit so viel getan ... und trotzdem hast du mir immer wieder verziehen."
 "Ich hatte auch ohne dich Ärger. Aber keinen, den ich nicht mit einer paar Morden hätte auslöschen können."
 Ich verschränke spöttisch die Arme und stelle mich neben ihn. "Tja, bei mir hast du es auch ohne Morde geschafft." Mein Blick fällt auf das Gemälde, das Klaus betrachtet, und mein Atem stockt. Es ist das Porträt, das Nik 1886 von mir gemalt hat. Er hat ein bisschen geschummelt und meinen undefinierbaren Haaren, die zwischen Braun und Schwarz schwanken, einen Schwarzton verliehen. Meine eisblauen Augen, die ich von meiner Mutter geerbt habe, erinnern mich unangenehm an Damon. Er hat die gleichen Augen, die gleichen dichten Wimpern, nur sein Blick ist anders. Kräftiger. Bedrohlicher. Und eine Spur mehr selbstsicherer.
 "Stimmt, dieses Mal warst du die Mörderin."
 Erschrocken drehe ich mich zu ihm um und starre ihn geschockt an. "Das ist nicht wahr!"
 Nik ist nun wieder vollständig verschwunden und sein Klaus-Grinsen liegt auf seinen Zügen. "Und ob das wahr ist. Frag Elijah. Rebekah. Wen du willst. Frag deinen Bruder."
 Ich beiße die Zähne zusammen und gehe zur Tür. "Gut, das werde ich auch machen. Gleich nachdem ich Kol ausgequetscht habe und den Ring aus Montana geholt habe."
 Ich stapfe wütend aus dem Raum, und laufe direkt in Elijah hinein.
 "Chloe!" sagt er mit einem besorgten Gesichtsausdruck. "Was ist los?"
 "Nichts", presse ich hervor. "Klaus Mikaelson ist los."
 "Niklaus?", fragt Elijah und richtet den Blick auf jemanden hinter mich. Zweifellos Nik, der in der Tür steht und grinsend zusieht.
 "Ja, Bruder?", höre ich seine spottende Stimme. "Möchtest du mir Hausarrest geben, weil ich gemein zu deinem Lieblingsmenschlein war?"
 Elijah schaut Klaus an, mit diesem für ihn typischen Was-soll-ich-nur-mit-dir-machen-damit-du-verstehst-was-ich-meine-Blick, mit dem er Klaus regelmäßig zur Vernunft zu bringen versucht. "Vorsicht, Niklaus, sonst werde ich noch wie Vater. Und das willst du doch nicht."
 Ich schaue Klaus neugierig an, der bei Elijahs Worten sofort das Gesicht verzogen hat. "Siehe da, Chloe, hier hast du deinen Beschützer." Er wendet sich um und schlägt die Tür seines Ateliers hinter sich zu.
 Elijah schaut noch einen Augenblick mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die geschlossene Tür, dann lächelt er mich freundlich an. "Komm mit, meine Liebe. In diesem Haus sind nicht alle so verkommen wie Klaus."
 Ich lächle vorsichtig zurück und folge ihm in die moderne Küche. Er öffnet den Kühlschrank. "Hm", macht er nachdenklich. "Wir haben nur Blutbeutel, tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst..."
 "Schon gut, Elijah", winke ich müde ab und lasse mich auf einen Stuhl fallen. Der Vampir schließt den Kühlschrank wieder, ich höre ein Rauschen und eine Sekunde später stellt er vor mich ein Glas Wasser. "Hier. Du bist bestimmt durstig."
 "Danke." Ich nehme das Glas und trinke begierig. Erst jetzt merke ich, wie durstig ich bin. Das kühle Wasser rinnt meine Kehle hinunter, ähnlich wie das Blut, von dem ich mehr als ein Jahrhundert gelebt habe, aber doch so anders. "Wer trinkt von euch aus Blutbeuteln?", frage ich, nachdem ich das Glas wieder hingestellt habe. Nicht einmal ich habe aus Blutbeuteln getrunken, als ich noch ein Vampir war. Ich habe es frisch aus der Ader bevorzugt, genauso wie Damon und Nik.
 "Mein Bruder Finn. Rebekah hat es auch für ein paar Wochen gemacht, aber länger hat sie es nicht ausgehalten."
 "Wo ist Rebekah?", frage ich. "Ich würde sie gern wiedersehen."
 "Ich bin mir sicher, sie dich auch. Aber meine Schwester hält sich gerade in Helena auf, um dort das College zu besuchen. Ihr ist das Leben hier in New Orleans zu langweilig geworden."
 "Moment mal... Helena? Liegt das nicht in Montana?" Ich werde hellhörig.
 "Ja", stimmt er mir zu. "Es liegt in Montana. Niklaus will morgen hinfahren, um sie zu besuchen."
 Wenn das stimmt, wäre das der größte Zufall überhaupt. Ich suche einen Ring, der sich irgendwo in Montana befindet, und Nik fährt am nächsten Tag nach Montana.
 "Das...das wäre perfekt", sage ich.
 Elijah sieht mich fragend an. "Habe ich irgendetwas verpasst?"
 Mir fällt ein, dass Elijah nicht so wie seine jüngeren Geschwister ist und nicht bei Gesprächen anderer mithört. Wenn alle Vampire so wären wie er, wäre die Welt perfekt. Nur leider sind nicht alle wie er.
 Klaus kommt herein. "Sieht ganz so aus, Bruder."
 "Klaus, kannst du mich mitnehmen?", frage ich ihn hoffnungsvoll. Der Streit von vorhin ist für diesen Moment vergessen.
 Er lacht. "Ganz sicher nicht. Was wäre ich denn für ein Dozent, wenn ich meine Schüler von ihrem Unterricht fernhalte?"
 "Niklaus", meldet sich Elijah zu Wort. "Warum ist Montana so wichtig?"
 "Kol hat dort meinen Ring hingebracht", erkläre ich düster. "Warum auch immer. Und ich brauche ihn. Sonst bringen die Hexen meinen Bruder um."
 "Deinen Bruder? Damon? Warum haben die Hexen ihn?"
 Ich seufze. "Das ist eine lange Geschichte. Er ist ihr Druckmittel. Wenn ich ihnen in neun Tagen den Ring nicht bringe, stirbt er."
 Elijah erhebt sich. "Von welchem Ring sprechen wir gerade?"
 "Den, den ich bei der Hexe habe anfertigen lassen", sagt Klaus an meiner Stelle. "Bei Fiona."
 Erstaunt hebt Elijah eine Augenbraue. "Was haben die Hexen mit so einem mächtigen Ring vor?"
 Ich zucke die Schultern. "Keine Ahnung. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht." Hauptsache, Damon kommt endlich frei. Dann ist immer noch Zeit, um sich Sorgen zu machen.
 "Wohin genau hat Kol ihn gebracht?", fragt er interessiert.
 Wieder zucke ich die Schultern. Klaus macht es sich leicht. Er brüllt: "Kol!"
 Einige Augenblicke verstreichen, dann brüllt eine Stimme zurück: "Ich komm nicht jedes Mal, wenn du rufst, Bruder!"
 Klaus' Miene verdüstert sich. Er lächelt uns kurz an. "Entschuldigt mich einen Moment." Dann ist er weg und ich höre einen Stock höher eine Tür knallen, dann ein dumpfer Schlag. Wahrscheinlich hat Klaus gerade Kol gegen die Wand geworfen.
 "Ich glaube, du gehst jetzt lieber", meint Elijah.
 "Ja, glaube ich auch."
 Er begleitet mich zur Tür. "Es war schön, dich zu sehen, Chloe. Wenn es nach mir ginge, könntest du öfter vorbeischauen, aber ich weiß nicht, ob Niklaus damit einverstanden wäre."
 Ich grinse schwach. "Macht nichts. Wenn ich das hier erledigt habe, schließe ich endgültig mit allem Übernatürlichen ab. Ich habe ein Zuhause in Irland, wo ich mich wohl fühle."
 "Es zeugt von Stärke, wenn du das Leben verlässt, das du schon immer haben wolltest, nur um deinen Bruder zu retten."
 "Ich würde es eher kontraproduktive Geschwisterliebe bezeichnen."
 Er lächelt. "Ja, so kann man es auch nennen." Er schaut mich einen Moment lang an, dann schüttelt er mir die Hand. "Auf Wiedersehen, Chloe. Ich hoffe es jedenfalls."
 "Auf Wiedersehen, Elijah."
 Ich gehe die Stufen hinunter und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren. Es ist schon dunkler geworden, und ich will schnell im Hotel sein. Ich drücke auf Zufällige Wiedergabe und lausche einigen Augenblicken dem Lied. So I won't let you close enough to hurt me. Ich muss lächeln, über die Ironie, die diese Worte mit meinem Leben verbinden. Ich bin damals gegangen, weil Klaus es so befohlen hat und nach einigen Jahren war ich auch froh darüber. Er hatte einen schlechten Einfluss auf mich gehabt, obwohl Elijah immer behauptet hat, ich hätte einen guten Einfluss auf ihn. Klaus hat mich schon zweimal aus der Fassung gebracht, einmal heute Morgen, als er mich geküsst hat und dann gerade eben, als er mich getröstet hat.
 Aber darauf lasse ich mich nicht noch einmal ein. Nach dem ersten Mal war mein Herz nicht nur gebrochen gewesen, sondern zerstört und zu Staub gemahlen.This time I'll be braver, I'll be my own savior standing on my own two feet.

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