45. Kapitel

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Ich taste mit meinem Schuh vorsichtig den Boden ab, bevor ich einen weiteren Schritt gehe.

Er fühlt sich fedrig an und ich kann spüren, wie der Schnee mir durch die Sohle die Socken durchweicht. Ab und an trete ich auf einen Zweig, der knacksend zerbricht.

Wir sind im noch Wald, oder?

Die Jäger haben mir beim Verlassen der Stadt eine Augenbinde umgelegt und der Stoff scheuert an meiner Haut.

Ich zittere, vor Angst und vor Kälte. Meine feuchte Kleidung presst sich an meinen Körper und versucht ihm den letzten Rest Wärme zu entziehen. Die wilde Schneeballschlacht mit den anderen erscheint mir trotzdem unendlich weit weg.

Ich wische mit dem Fuß über den Untergrund und zögere meinen nächsten Schritt möglichst hinaus. Nicht nur meine Unsicherheit darüber, mit verbundenen Augen durch den Wald zu stapfen, lässt mich den Boden besonders sorgfältig überprüfen.

Tief in mir pocht noch immer die Hoffnung, dass die Jungs mein Fehlen bemerken, mich suchen kommen und finden. Auch wenn ich schon gefühlte Ewigkeiten durch die Dunkelheit tapse.

Ich spüre, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln, aber der Stoff der Augenbinde saugt sie auf, bevor sie mir die Wangen hinunterfallen.

„Hey, beeil dich!", der Jäger hinter mir stößt mich gegen die Schulter und ich strauchele und falle beinahe. Einzig die Hand des zweiten Jägers, die mein Handgelenk umklammert hält, stoppt meinen Fall. „George", flüstert dieser jetzt entrüstet: „Pass besser auf. Du musst sie ja nicht verletzten!"

George schnaubt bloß als Antwort. Ich schnaube gleich mit.

„Als ob George hier darauf achten würde, mich nicht zu verletzen. Er hat mich ja schließlich auch entführt!" Ich spüre wie sich der Griff um mein Handgelenk verengt und dann lockerer wird.

Gut, einfach weiterreden. Wenigstens Jäger Nr. 2 scheint noch so etwas wie ein Gewissen zu haben.

„Wollt ihr Geld? Meine Eltern haben nicht viel, aber sie werden euch sicherlich bezahlen, wenn ihr mich zurückbringt!"

Ich lege meine zitternde Hand auf die des Jägers und flehe weiter: „Bitte! Meine Eltern machen sich bestimmt schon sorgen. Ich sollte nur kurz in die Stadt, ich muss zurück!"

„Hör nicht auf dieses Biest, Leon. Sie versucht bloß dich weich zu klopfen.", schaltet George sich in mein beschwörendes Flehen ein.

„Sie ist doch nur ein Mädchen. Sie kann doch gar kein Biest sein... Ist das wieder wegen deiner Wahnvorstellungen?", Leon hört sich hin und her gerissen an, aber sein Griff löst sich immer weiter von meinem Handgelenk.

„Das sind keine Wahnvorstellungen! Ich hab es gesehen! Diese... Monster verwandeln sich, in riesenhafte Wölfe und zerfleischen uns! Ich muss es nur beweisen, aber sie, sie ist eine von denen!"

Ich höre George nicht weiter zu, wie er mit einer manischen Überheblichkeit in der Stimme Leon seine kranken Gedanken erklärt. Naja, mit einer Sache hat er ja recht, aber der Rest? Totaler Schwachsinn!

Ich packe Leons Hand, die nur noch lose auf meinem Handgelenk ruht und reiße mich vollends los. Dann drehe ich mich zur Seite und stürze vom Weg in den Wald.

Ich hab keinen Plan, wo ich bin, aber je weiter weg von den Jägern desto größere Chancen habe ich zu überleben.

Ich kämpfe mit der Augenbinde, meine Finger sind halb erfroren und bewegen sich nicht, wie ich es will. Steif und verkrampft schaffen sie es im gleichen Moment, das Tuch herunterzuziehen, in dem ich gegen einen Baum laufe.

„Scheiße!"

Die Rinde gräbt sich mir tief in die Stirn und als ich mein Gesicht zur Seite wende, spüre ich die Haut reißen. Blut strömt mir aus der Stirn und ich blinzle hektisch, damit es mir nicht in die Augen läuft.

Mein Kopf pocht und schmerzt und alles an meinem Körper tut weh.

Ich wische mir mit dem Ärmel meiner Jacke über die Stirn und presse den Stoff der Augenbinde gegen die Wunde.

Die Stirn blutet immer so viel, oder?

Schwarze Flecken tanzen vor meinen Augen und ich taumele mühsam um den Baum herum.

Ich komme noch etwas zehn Schritte weiter, bevor sich eine Hand mit eisernem Griff um meine Schulter schließt.

Ich heule frustriert auf und fahre um mich schlagend herum.

„Bist ja nicht gerade weit gekommen", George grinst mir fies ins Gesicht und ich hole aus, um in nochmal auf die Nase zu schlagen. Aber George lernt scheinbar aus seinen Fehlern und er packt mich am Handgelenk, bevor ich sein Gesicht erreiche.

Hinter ihm steht Leon, der beschämt zur Seite sieht.

Beschämt, weil er nicht auf George gehört hat oder beschämt, weil ihm nicht gefällt, was George macht?

Eigentlich egal, er wird nicht handeln.

Ich schreie verbittert auf und klammere mich mit meinem letzten Rest Hoffnung daran, dass Silas es vielleicht hört. Oder Lyall meiner Fährte folgt.

Daran, dass Eric gleich aus den Büschen springt und mich rettet.

Der Gedanke an Eric, presst mein Herz schmerzhaft zusammen. Göttin, warum tut es so weh, wenn er nicht bei mir ist? Ich will ihn bei mir, er soll mich halten und trösten.

Er soll mich retten...

Ich merke erst, dass ich weine, als mir George über die Wange streicht.

„Tränen? Kämpfst du immer noch um unser Mitleid, Biest? Vergiss es!", George zieht mich wieder zum Weg. Das Einzige, das mir mein Fluchtversuch gebracht hat, ist offene Augen. Und natürlich eine schmerzende Stirn.

Leon folgt uns unsicher.

Es dauert keine fünf Minuten bis wir vor einer heruntergekommenen Hütte stoppen.

George schiebt mich zur Tür, die nur Sekunden vor dem Zusammenbruch zu stehen scheint.

Ich lasse mich widerstandslos in den einzigen baufälligen Raum führen. Ich bin zu müde, um diese Gebäude zu kommentieren. Und auch wenn ich es ungern zugebe, ich habe Angst.

Furchtbare Angst.


Und die Jäger haben Namen!

Ich hatte keine Lust mehr, sie Jäger 1 und 2 zu nennen, deswegen: George und Leon. Basically, die ersten Namen, die mir eingefallen sind ;)

Bis zum nächsten Mal 😊


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