4. K hinter den Spiegeln

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Aus Taktgefühl sprachen die anderen kein Wort, sondern verständigten sich über stumme Blicke, wie es nur gute Freunde konnten. Ich starrte währenddessen in meine leere Teetasse. Neugier und Furcht fochten in meinem Inneren einen erbitterten Zweikampf aus.

Auf der einen Seite brannte ich darauf zu erfahren, wer ich wirklich war. Immer wenn ich versuchte, mich an etwas aus der Vergangenheit zu erinnern, breitete sich stattdessen eine grässliche Leere in meinem Verstand aus. Damals konnte ich das Gefühl nicht richtig beschreiben, aber heute, viele Jahre später, würde ich es mit der Traurigkeit nach dem Verlust eines geliebten Menschen vergleichen. Man spürt einfach, dass dort an Stelle der Leere etwas sein sollte – ein Bild, ein Geräusch, ein Geruch – und es zerriss mir fast das Herz, mich nicht daran erinnern zu können. Ich sehnte mich danach, Menschen vor meinem inneren Auge sehen zu können: meine Eltern, Freunde, von mir aus auch Feinde, aber die wenigen Fetzen, die sich dort bildeten, zeigten nur leere, sterile Räume und ausgestorbene Plätze. Ohne diese Erinnerungen konnte ich nie ein ganzer Mensch sein, das wusste ich. Um vieles mehr als meine frühere Gestalt vermisste ich jene glücklichen Momente, an die man sich in dunklen Zeiten klammern konnte wie ein Ertrunkener an eine Schiffsplanke.

Auf der anderen Seite, der Seite der Furcht, hallten die Worte Robin Blix' als vieltausendfaches Echo in meinem Kopf herum. Andere Stimmen gesellten sich dazu. ›Du bist selbst ein Mitglied der Organisation‹, wisperte eine. ›Willst du wirklich wissen, wie viele Leben du in gestohlener Gestalt zerstört hast?‹ – ›Was für einen Charakter muss man haben, um sich aus freien Stücken der Seite der Machtgierigen anzuschließen!‹ – ›Gewiss warst du in deinem früheren Leben ein Dieb!‹ – ›Ein Schläger!‹ – ›Ein Mörder!‹

»Aufhören!« brüllte ich aus voller Kehle und presste die Hände auf meine Ohren. Die anderen mussten mich bei diesem Anblick für verrückt halten. Evelyn sah mich besorgt an, Blix fragte, ob alles in Ordnung sei, und selbst Jerry, der mir gegenüber noch keine einzige menschliche Regung gezeigt hatte, hob eine Augenbraue.

»Ich muss mich entschuldigen«, sagte Blix. »Wir haben dir für den Anfang etwas zu viel zugemutet. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, welche Wirkung diese Menge an Informationen auf dich haben muss. Wir belassen es am besten erst einmal für heute.«

»Nein, es ist gut«, erwiderte ich und stand auf, um Stärke zu demonstrieren. »Ich habe mich entschlossen. Ich möchte wissen, wer ich bin.«

»Einverstanden«, nickte Blix. »Wir werden dich dabei so gut es geht unterstützen.«

Evelyn wollte sogleich zum Tunnel aufbrechen um Spuren in einer ›Nachstellung‹, wie sie es nannte, zu sammeln, doch Jerry äußerte den berechtigten Einwand, dass sich die Agentur gewiss auch gerade dort befinden würde. Also beschlossen wir, erst einmal ein paar Tage ins Land ziehen zu lassen, bis wir an der Stelle aufkreuzten. Ersatzweise führte mich Evelyn durch die Räumlichkeiten der Villa, die, wie sie mir erzählte, dem Detektiv Robin Blix gehörte.

»Herr Blix ist wohl sehr reich?« fragte ich, als sie mir gerade ein prunkvolles Badezimmer mit einem riesigen Whirlpool zeigte.

»Normalerweise würde ich bei so einer Frage sehr wütend werden«, meinte sie verschmitzt, »aber da du dein Gedächtnis verloren hast, will ich mal nicht so sein. Robin ist sehr berühmt. Er hat von Anfang an seine Fälle im Internet veröffentlicht, was ihm nach und nach eine große Fangemeinde einbrachte. Bald konnte er von den Werbeeinahmen allein leben und auf Honorar verzichten.«

»Und ihr seid seine Assistenten?«

Evelyn lächelte. »Naja, nicht ganz. Wir kennen uns erst seit der Mimesis-Geschichte, da hat er uns engagiert.«

»Engagiert?«

»Nun ja...« Sie kratzte sich verlegen am Kopf. »Jerry und ich sind selbst so etwas wie Detektive. Wir hatten sogar mal eine eigene Detektei.«

Ich bin Kحيث تعيش القصص. اكتشف الآن