6. cd K:\

410 54 4
                                    

Wenn ich eine Liste der Orte erstellen müsste, wo ich mich als Hacker verstecken würde, dann würde sich darauf das Parlamentsgebäude sehr weit unten wiederfinden. Wenn man regelmäßig in die Server von Regierungsinstitutionen einbricht, machte man sich schließlich nicht gerade zum Freund der Staatsorgane. Es gehörte schon eine ordentliche Portion Dreistigkeit dazu, sie direkt unter ihrer Nase auszuspionieren. Aber doch führten mich Jerry und Evelyn in den rechteckigen Betonbau, der mit den beiden zusätzlichen Stockwerken an den Ecken wie ein ›W‹ aussah. Am Eingang, wo wir einen Metalldetektor passieren mussten, nickte ein Mann im schwarzen Anzug in unsere Richtung. Die Frau neben ihm führte daraufhin ihre Hand zum Mund und flüsterte etwas in ihren Manschettenknopf.

»Die sind von Diana«, raunte mir Evelyn zu, als sie meinen Blick verfolgte. »Sie interessieren sich besonders für dich, oder besser gesagt für Blix.«

»Was hat die Tagwacht denn überhaupt damit zu tun?« fragte ich.

»Das wissen wir noch nicht genau. Komm, es geht weiter.«

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl bis ganz nach oben und gelangten schließlich durch labyrinthartige Gänge und verwinkelte Treppen zu einer Reihe von Türen, hinter denen sich Büros von Abgeordneten befanden. Evelyn öffnete eine davon, ohne vorher anzuklopfen.

Die Einrichtung des Raumes als minimalistisch zu bezeichnen wäre noch untertrieben. Außer einem Schreibtisch mit Glasplatte und einem roten Chefsessel war das Zimmer vollkommen leer, jedenfalls soweit ich das bei der schummrigen Beleuchtung erkennen konnte. Ein dickes schwarzes Tuch vor dem Fenster hielt das Tageslicht draußen, und nur eine armselige Glühbirne, die an ihrem Kabel von der Decke hing, strahlte auf uns herab. Der Tisch wurde von drei riesigen Monitoren in Beschlag genommen. Dahinter verborgen tippte jemand lautstark auf einer Tastatur, doch die Person hörte damit auf, als wir eintraten, und ging rasch auf uns zu.

»Robin, schön dich zu sehen«, behauptete der Mann, aber sein Gesicht, das von roten Koteletten eingerahmt wurde und mich wegen der flachen Nase sofort an einen Mops erinnerte, wirkte angespannt. Obwohl er mir gerade einmal bis zur Schulter reichte, umarmte er mich zur Begrüßung, und ich konnte mich in seiner Glatze spiegeln, die von seinem letzten Rest an Haaren eingekringelt wurde. Ich war so überrascht, dass ich die Geste mit ausgebreiteten Händen hilflos über mich ergehen ließ.

Ich hörte, wie Evelyn hinter uns die Tür schloss und einen Schlüssel umdrehte. »Sind wir sicher?« fragte sie. Der Rotbart nickte. »Dann mach dich auf was gefasst. Das hier ist nicht Robin, sondern ein Shifter.«

Der Mann lachte ein hölzernes, stakkatohaftes Lachen. »Netter Scherz. Also, warum seid ihr hier?«

»Es stimmt aber«, sagte Evelyn und nickte mir zu. »Zeig ihm deine Fähigkeit, K.«

Ich starrte dem Mann direkt in die Augen und konnte dabei beobachten, wie sein Mund sich vor Staunen während meiner Verwandlung immer weiter öffnete. Langsam hatte ich den Dreh raus; es gelang mir leichter, den Prozess zu beginnen, und übel wurde mir auch nicht mehr. Naja, höchstens ein bisschen. Leider erwies sich Blix' Kleidung als viel zu weit, und ich musste mit einer Hand den Gürtel festhalten, damit die Hose nicht rutschte. Mein Gegenüber hätte es sicher peinlich gefunden, wenn Jerry und Evelyn ihn in Unterhose sähen.

»Das ist... Das ist...«, stotterte der Mann entsetzt. Dann fasste er sich und brüllte: »Das ist vollkommener Wahnsinn, ihn hierher zu bringen! Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Wo habt ihr ihn überhaupt aufgegabelt?«

Jerry berichtete in der Kurzfassung von meinen bisherigen Erlebnissen. Der Rotbart schüttelte bei jedem zweiten Satz heftig mit dem Kopf und schlug sich am Ende mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Und euch ist nicht eine Sekunde in den Sinn gekommen, dass er ein Spion für die Kinder sein könnte?«

Ich bin KWhere stories live. Discover now