27. Ein offenes Geheimnis

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 Yella ließ ihren Löffel vor der glibberigen, ockerfarbenen Masse auf dem Tablett vor ihr kreisen, als würde sie diese hypnotisieren wollen. »Was zum Drachen ist das?«

»Haggis«, erklärte Max mit gequältem Blick und setzte sich auf die Bank gegenüber. »Es besteht aus Haferschleim, Stinkfrucht, Braskknolle, Luftwalhirn...«

Sie schüttelte sich angewidert. »Stopp, oder ich kotze auf deinen Teller!«

Ich beäugte misstrauisch den körnigen Brei. »Glaub' das würde optisch keinen großen Unterschied machen.« Für das nächste Wochenende musste ich mich auf jeden Fall mit belegten Broten eindecken.

Die anderen Kinder im Speisesaal schienen ähnlich begeistert zu sein, und unterhielten sich lieber, anstatt zu Mittag zu essen.

Timo war der einzige von uns vieren, der das Zeug anrührte. »Es schmeckt köstlich!«, jauchzte er und schaufelte eine Ladung nach der anderen in sich hinein.

Wir erzählten Max von dem Vorfall mit Duncan, doch er war nicht besonders beeindruckt. Im Gegenteil: er schien die Sache sogar äußerst komisch zu finden.

»Herrlich, er denkt sich jedes Mal was Anderes aus, um die Neuen auf Trab zu halten. Aber keine Sorge – Ich glaube, unter dem Geländer ist ein Vorsprung für Wartungsarbeiten am Aufzug, dem Mädchen wäre also nicht wirklich was Schlimmes passiert.«

»Sag if dof«, pflichtete ihm Timo mit vollem Mund bei.

Ich schnaubte wütend. »Du findest es also normal, jemandem Todesangst einzujagen?«

»Normal im Allgemeinen vielleicht nicht«, sagte Max und schielte unauffällig über unsere Köpfe hinweg, »aber normal für Duncan? Absolut.«

Wir folgten seinem Blick und sahen Duncan, der von Tisch zu Tisch ging und nach den Salzstreuern frage. Dann kehrte er mit einem guten Dutzend davon an seinen Platz zurück, schraubte die Deckel ab und entleerte einen Streuer nach dem anderen auf seinem Essen.

Max senkte seine Stimme. »Angeblich kann er nicht richtig schmecken. Aber keine Ahnung ob das stimmt. Das sind nur Gerüchte, genauso wie die Sache mit den Schätzen in seinem Turm.«

Yella horchte auf. »Schätze?«

»Da er für die Sicherheit der Kirche verantwortlich ist, kann er nach Belieben alles konfiszieren, was die Mitglieder bei sich tragen. Klar ist da auch häufig was Wertvolles dabei. Angeblich bewahrt er die Sachen im Turm am Heck der Plattform auf.«

»Den Turm haben wir gesehen«, sagte ich. »Passt irgendwie nicht zum Rest des Aerodoms.«

»Noch so eine Eigenart von ihm. Die anderen hochrangigen Mitglieder schlafen alle wie wir in den Kabinen des Hauptgebäudes. Nur Duncan hat in dem seltsamen Steinturm Quartier bezogen. Es heißt, die ersten Novizen unter seiner Amtszeit mussten den Turm von Hand errichten.« Max gab seiner Stimme einen geheimnisvollen Klang. »Manche sagen, ein Novize wurde zur Strafe für sein Vergehen mit eingemauert, und man kann seinen Geist nachts in den Gängen des Aerodoms heulen hören. – Ahuuu!«

Timo ließ vor Schreck seinen Löffel fallen. Ich warf Yella einen vielsagenden Blick zu. Wenn Duncan den Anhänger an Bord gebracht hatte, würde er ihn bestimmt in seinem Turm aufbewahren. Vielleicht gab es eine Gelegenheit, ihn zurückzustehlen.

»Was hat es eigentlich mit den roten Bändern auf sich?«, fragte Yella.

Max hob eine Augenbraue. »Habt ihr die Regeln in eurer Kabine nicht gelesen?«

»Klar, man darf nicht mit ihnen sprechen, und umgekehrt. Aber wer trägt diese Bänder, und warum?«

»Wer die Vorschriften missachtet, muss bis zum nächsten Wochenende hier bleiben und Arbeiten verrichten. Das Schweigegebot der roten Bänder ist eine zusätzliche Bestrafung. Es gibt schließlich nichts schlimmeres, als von der Gemeinschaft getrennt zu werden.«

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