5. Eisenwaren Yggdrasil

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Es war bereits hellichter Tag, als ich in meinem Himmelbett erwachte. Sonnenstrahlen fluteten durch die breiten Fenster des Zimmers und kitzelten meine Nase. Ich sah kurz nach draußen auf die schneebedeckten Tannenspitzen, dann begab ich mich nach unten. Aus dem Speisezimmer schallte mir bereits das Klappern des Frühstücksbestecks entgegen. Gerade, als ich die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte, fühlte ich, dass die drei über mich sprachen, und hielt in der Bewegung inne.

»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, hörte ich Evelyn sagen. »Du willst ihn in die Höhle des Löwen schicken? Da kannst du ihm ja gleich eine hübsche Schleife umbinden und ihn vor der Haustür abliefern! Wir können ihm das nicht antun!«

»Er ist unsere beste Chance«, erwiderte Blix ernst. »Bei dieser Sache solltest du deine Gefühle aus dem Spiel lassen. Wir müssen endlich in diesen Vault.«

»Aber er wäre dort ganz ohne unsere Hilfe! Was, wenn sie ihn enttarnen?«

Nun meldete sich auch Jerry zu Wort. »Das ist höchst unwahrscheinlich. In der Form eines Menschen gleicht sie bis auf den letzten Buchstaben ihrer DNA dem Original. Außerdem werden wir sie zumindest am Anfang unterstützen können, sonst schafft sie es nie bis zum Weltenzweig.«

»Wieder klar, dass du Robin nach dem Mund redest«, sagte Evelyn wütend. »Ich bleibe dabei, wir sollten unseren ursprünglichen Plan...«

»Guten Morgen zusammen«, sagte ich betont laut und trat ein. »Ich hoffe, ich störe nicht euer Gespräch.«

Die drei fühlten sich eindeutig ertappt. Jerry senkte den Blick auf sein Käsebrötchen, während Blix nervös den Löffel in seinem Tee kreisen ließ. Evelyn setzte ein breitmundiges falsches Grinsen auf und sagte: »Aber nicht doch! Wir haben gerade darüber spekuliert, wer die Baseball-Liga gewinnt. Ich glaube ja, dass die Downtown Devils das Feld nochmal von hinten aufräumen werden. Was meinst du?«

»Ich interessiere mich nicht für Baseball«, antwortete ich und nahm Platz. Dann setzte ich hinzu: »Glaube ich zumindest.«

»Gut geschlafen?« fragte Blix, dem Evelyns Lügengeschichte sichtlich Unbehagen bereitete.

»Doch schon«, gab ich zurück. Den Alptraum wollte ich vorerst nicht erwähnen. Dieses Spiel des Schweigens konnte man auch zu zweit spielen.

»Freut mich. Lang nur kräftig zu, du wirst die Kräfte brauchen. Wir werden nach dem Frühstück einen längeren Ausflug machen.«

»Zu diesem Eisenwarengeschäft?« fragte ich und biss in einen Toast mit Kunsthonig.

»Auch, aber vor allem wollten wir dir ein wenig die Stadt zeigen.«

Evelyn nickte mir aufmunternd zu. »Jerry hatte die Idee, dass du vielleicht das Viertel wiedererkennst, aus dem du stammst. Das wäre schon ein guter Anhaltspunkt.«

»Meint ihr wirklich, das nützt etwas?« fragte ich skeptisch. »Ich habe doch gestern bei den Bildern auch nicht viel wiedererkannt.«

»Das Gedächtnis speichert nicht nur Bilder ab«, meinte Jerry. Beim Reden hob er sein Messer mitsamt einem Butterstück an der Spitze wie einen verlängerten Zeigefinger nach oben. »Wir verbinden unsere Erinnerungen auch mit Gerüchen oder Bewegungen. Möglicherweise musst du wirklich vor Ort sein, um sie zu reaktivieren.«

Blix grinste und boxte Jerry schelmisch in die Seite. »Unser kleiner Küchenneurologe hier hat die ganze Nacht über in der Enzyklopädie gelesen. Jetzt hält er sich für einen Experten für Amnesie.« – »Das ist nicht wahr!« protestierte Jerry sofort. Aber auch seine Schwester grinste ihn an und sagte: »Wie ich dich kenne, konntest du den Verweisen in den Artikeln nicht widerstehen und hast dich von einem zum nächsten durchgeklickt.«

Ich bin KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt