24. 520 km/h

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Unsere Sorgen, dass ich im Seminar auffliegen könnte, blieben unbegründet. Die Kinder der Saat hatten keine Shifter am Eingang postiert, um uns zu ›durchleuchten‹, und auch Rock Diamond verhielt sich wie immer – wenn er von den Vorkommnissen wusste, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. Dennoch musste ich in nächster Zeit mehr Vorsicht walten lassen. Meine Verwandlungen beschränkte ich auf das Nötigste. Das bedeutete auch: keine Treffen mehr mit Narcisa an öffentlichen Plätzen. Das hielt sie nicht davon ab, mich weiterhin in ihr Apartment einzuladen, damit wir uns die restlichen zwölfzig Teile von ›Jack Bärlando‹ auch noch ansehen konnten. Dabei fühlte ich mich immer wie ein Insekt unter dem Mikroskop, weil Narcisa die meiste Zeit über mehr Augen für mich als für den Film hatte.

Von diesen unangenehmen Begegnungen abgesehen stellte sich in meinem Leben eine gewisse Routine ein, und die Tage und Wochen flogen förmlich dahin. Ich besuchte die Seminare, ließ mich von Varksha und Gabriel läutern, und versuchte mit Timo zusammen neue Mitglieder zu werben.

Bei ihrer Tätigkeit in der Rechtsabteilung der Kirche hatte Yella leider keine neuen Erkenntnisse über Echo Yggdrasil gewinnen können. Ihr anfänglicher Tatendrang ebbte nach dem Jahreswechsel rasch ab. Sie verwendete ihre Energie viel lieber dazu, sich auf das Maglev-Rennen im Frühling vorzubereiten, und versuchte uns mit ihrer Begeisterung für die Hintergründe zum Sport anzustecken – mit durchwachsenem Erfolg. Timo, der bis dato noch kein einziges Rennen gesehen hatte, löcherte sie mit Regelfragen, aber interessierte sich ansonsten genauso wenig wie ich für die Statistiken, die Yella wie ein lebendiger Sportalmanach herunterratterte. Wir zwei freuten uns eher über das, was die meisten zum Zuschauen bewegte: ein großartiges, buntes Spektakel und ein spannendes Rennen.

Einen Tag vor dem Rennen brachte Yella einen großen Pappkarton mit und deckte uns am Ende des Seminars mit Fanartikeln daraus ein.

»Damit ihr morgen gut vorbereitet seid«, sagte Yella, und legte eine regenbogenfarbene Drehrassel in meine Hand, um danach Timo eine rote Schirmmütze falsch herum auf den Kopf zu setzen, sodass der Aufdruck ›Schnell, Schneller, Pfeilschnell‹ nach hinten zeigte. Sie selbst stülpte sich überdimensionierte Handschuhe über. Damit winkte sie Rock Diamond zu und rief: »Hey, Doc! Suchen Sie sich doch auch was aus!«

Diamond kam lächelnd auf uns zu und setzte sich auf die Tischkante. Nach kurzem Wühlen in der Kiste hatte er eine Scherzbrille in der Form eines Mags gefunden. »Na, wie sehe ich aus?«, sagte er und blinzelte uns durch die beiden Löcher, die die Seitenscheiben darstellen sollten, hindurch an. Yella und ich tauschten verstohlene Blicke aus. Dann konnten wir das schallende Gelächter nicht mehr zurückhalten. Der Anblick war einfach zu dämlich.

Diamond stimmte in unser Lachen ein und wechselte wieder zu seinem Modell mit den Dreiecksgläsern. Er wartete, bis wir uns beruhigt hatten, und drückte uns dann so unvermittelt, dass wir uns gar nicht wehren konnten, nacheinander an seine Brust. »Hach, ich bin ja so stolz auf euch, meine kleinen Saatkörnchen!«

»Stolz weswegen?«, fragte Yella misstrauisch, während sie sich aus seiner Umarmung zu befreien suchte.

»Eigentlich ist es erst morgen offiziell, aber ich will euch die gute Botschaft nicht vorenthalten: ihr seid jetzt offiziell Rosen! Wir sind von eurem Einsatz für die Gemeinschaft schwer beeindruckt.«

Timo strahle über beide Ohren, und auch Yella schien sich zu freuen. Diamond gab jedem von uns eine Faltbroschüre. »Ich habe euch schon nächste Woche im Aerodom unterbringen können, wo ihr von nun an die Lehren Goldschies studieren werdet. Trotzdem seid ihr natürlich jederzeit im Seminar willkommen.«

»Weinen Sie etwa, Doc?«, fragte Yella.

Diamond schob die Sonnenbrille höher. »Papperlapapp. Ich freue mich einfach für euch. Ihr erinnert mich an meine eigenen Anfänge. – Also dann, gute Saat, und bis morgen!«

Ich bin KWhere stories live. Discover now