26. Der Aerodom

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 »Hättest du die Güte, dich zu beeilen?«, drängelte Narcisa. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Wir saßen zu dritt im Automobil, das eine Straßenecke vom Westhafen entfernt parkte, von wo aus die Fähre zum Aerodom startete.

Yella stöhnte genervt auf. »Jetzt verstehe ich, was du vorhin gemeint hast, K.«

»Wieso? Was hat K über mich gesagt? Pass mal gut auf.« Sie beugte sich vom Rücksitz zu mir vor. »Ich muss das nicht machen. Ich könnte jetzt schon in El Capital sein und die neue Kollektion von Claudio Banali ausprobieren.«

»Das weiß ich doch, und ich bin dir sehr dankbar, dass du uns deine Zeit opferst.« – »Hmpf.«

Ich nahm die Kapuze ab, mit der ich meine Normalform in der Öffentlichkeit verbarg, und sah ihr tief in die Augen. Dann ging ich zu Yella über und zum Schluss noch einmal Narcisa. Wir hatten das ganze Prozedere bereits erfolgreich am Vortag geprobt. Es funktionierte wie erwartet, aber auch die Zeit jeder Gestalt war so knapp bemessen wie befürchtet. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel stieg ich aus dem Fahrzeug.

»Dann viel Spaß beim Shoppen«, wünschte Yella mit einer süffisanten Betonung, die Narcisa nicht bemerkte, oder nicht bemerken wollte.

Am Pier hatte sich bereits eine Traube an Kindern versammelt, die an einem geschlossenen Eisentor darauf wartete, dass das Boarding der Fähre begann. Auf dem Bootssteg hinter der Absperrung, quasi vom Pöbel der niedrigeren Ränge getrennt, plauderten drei Kirchenobere, die ich an ihren Abzeichen erkannte – und der Tatsache, dass sie alle diese lächerlichen Sonnenbrillen trugen, trotz bewölktem Himmel. Leider war einer davon Duncan, von dem ich gehofft hatte, ihn nie wiedersehen zu müssen. Yella ballte die linke Faust, als sie ihn auch entdeckte, sagte aber nichts. Neben ihm stand ein weißhaariger alter Mann, der die Hände vor der Brust faltete, sowie eine quirlige kleine Frau mit gegerbten Gesichtszügen.

Wir machten Timo in der Menge aus, der sich für das Kirchenoutfit aus weißen Hemd und schwarzer Hose entschieden hatte, obwohl es auf diesem Trip keine Kleidervorschriften gab. Damit war er heute in guter Gesellschaft. Nur eine Minderheit der Kinder trug Straßenkleidung wie wir. Timo war anzusehen, wie sehr er sich auf den Aerodom freute.

»Willst du heute noch zum Kontinent reisen?«, fragte Yella und nickte in Richtung Boden, wo ein prall gefüllter Seesack zu Timos Füßen lag.

»Naja, ich wusste nicht, was ich alles brauche«, sagte Timo verlegen.

Ich grinste. »Also hast du alles mitgenommen?«

»Nur das Nötigste. Zahnpasta, Kleidung zum Wechseln, Toaster, Arboretik, ...«

»Einen Toaster?«, frage ich ungläubig.

Er sah zu Boden und hüstelte. »Ich esse morgens immer zwei Scheiben Toast.«

»Ich denke doch, dass sie vor Ort einen Toaster haben werden.«

»Aber keinen, der als Motiv die Raumschiffe Sequentia und Quaestio hineinbrennt. – Ja, lacht nur, ich habe mich halt dran gewöhnt!«

Amüsiert schulterte ich meinen – im Vergleich zu Timo – bedeutend kleineren Rucksack ab und sah mir die Menge genauer an. Es mochten gut und gerne zweihundert Personen sein. Erst jetzt fiel mir auf, wie jung alle Anwesenden waren. Sah man einmal von den Kirchenoberen ab, gehörten Yella und ich, das heißt Narcisa, zum ältesten Semester. Die überwiegende Zahl waren Jugendliche in Timos Alter, also vierzehn bis sechzehn Jahre alt.

Meine Blicke trafen die eines schlaksigen Jungen mit krausen schwarzen Haaren und dem kläglichen Versuch, mit den noch spärlichen Barthaaren einen Schnauzer wachsen zu lassen. Er schien bemerkt zu haben, dass ich ihn ansah, denn er löste sich von seiner Gruppe und kam geradewegs auf uns drei zu.

Ich bin KWhere stories live. Discover now