8. Fisch sucht Haken

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Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich mit dem Rücken an einen harten Gegenstand gefesselt. Nachdem die Welt vor meinen Augen zu drehen aufgehört hatte und die Doppelbilder verschwanden, sah ich, dass man mich in die Eingangshalle der Villa gebracht hatte. Ich saß auf dem Marmorfußboden und lehnte, mit dem Kopf in Richtung Treppe, an eine der Säulen. Außerhalb meines Blickfeldes schien Robin Blix mit jemandem zu telefonieren: »Sie sind sich sicher? – Gut, ich schau mal, was ich finden kann.« Dann waren Schritte zu hören und die schwere Tür fiel geräuschvoll ins Schloss.

Verdammt, sie waren schneller gewesen. Ich musste mir schnell etwas überlegen, um mich aus dieser gefährlichen Lage zu befreien. Jetzt, da sie wussten, dass ich ihren Plan durchschaut hatte, würden sie mich sicher nicht mehr lange am Leben lassen. Mein Messer lag nur eine Armlänge entfernt auf einer der Treppenstufen, aber solange meine Hände gefesselt waren, hätte es genauso gut auch am anderen Ende der Stadt sein können, das machte keinen Unterschied. Also blieben mir nur Worte als einzige Waffe – ich musste Jerry und Evelyn irgendwie überzeugen, mich freizulassen.

»Hey, könntet ihr mich bitte losmachen? Die Fesseln tun mir weh.« Ich versuchte, meiner Stimme einen freundlichen Unterton zu verleihen, was mir schwer fiel, da in mir der Hass auf die Zwillinge schwelte.

»Tut mir leid«, sagte Evelyn, »aber das können wir erst, wenn wir sicher sind, was mit dir nicht stimmt.« Sie trat ins Sichtfeld und beugte sich zu mir herunter. »Wir haben keine Lust, von dir aufgeschlitzt zu werden.«

Ich hob meinen Kopf, um ihr in die Augen zu sehen, und wurde sofort von Ekel gepackt, denn anstelle eines Menschen sah ich mich einer fürchterlichen Kreatur gegenüber. Blaue Adern zogen sich kreuz und quer über Evelyns Gesicht; anstelle der Zöpfe sprossen aus ihrem Schädel schleimige grüne Fäden, die ihr bis zur Hüfte gingen und zuckten, als ob sie ein Eigenleben besäßen; ihre Augen traten unnatürlich stark aus ihren Höhlen hervor und waren mit einer weißgoldenen Schicht aus Perlmutt überzogen; und ihre Haut erschien gläsern und wulstig wie das Fleisch einer speckigen Made.

Entsetzt gab ich einen kieksenden Laut von mir und ich versuchte, so viel Abstand wie möglich von dem Alien zu gewinnen, indem ich mich an die Säule drückte. »Weg! Geh weg!« schrie ich, doch das Wesen ließ nicht von mir ab und streckte seine Krallenhände nach mir aus. Es öffnete den Mund und sprach mit Evelyns Stimme, doch ich hörte nicht zu, da ich nun in einen zahnlosen faulen Schlund hineinsah, aus dem drei graue Zungen hervortraten und hungrig über die Lippen des Monsters leckten. Meine Glieder gefroren vor Angst und mein Verstand war nur noch von einem einzigen Wunsch erfüllt: Friss mich nicht... Bitte friss mich nicht...

Glücklicherweise wurde das Alien in letzter Sekunde von einer Hand weggezogen, aber nur, um einem noch größeren Schrecken Platz zu machen. Der, der einst Robin Blix gewesen war, baute sich vor mir auf. Er glich dem anderen Ungeheuer, wirkte aber durch seine enorme Größe um einiges bedrohlicher. An Armen und Beinen waren seine Muskeln grotesk angewachsen – mich etwas kräftiger zu packen würde schon ausreichen, dass ich wie eine Fliege zerquetscht würde. Er holte eine Pappschachtel aus einem Jutebeutel hervor und entnahm daraus eine braune Flasche mit Sicherheitsverschluss. Dann goss er etwas davon in ein Glas und verdünnte die klare Flüssigkeit mit Wasser. »Trink das!« sagte er, und presste das Glas an meine Lippen. Ein stechender Geruch zog in meine Nase, der mich sofort an Krankenhäuser erinnerte.

Ich weigerte mich meinen Mund zu öffnen und wandte meinen Kopf ab, aber es half nichts. Mit Bärenkräften riss er meinen Kiefer gewaltsam auf und zwang mich, die Flüssigkeit zu schlucken. Es brannte wie Feuer in meiner Kehle, und ich konnte spüren, wie es sich sich die Speiseröhre hinab in den Magen fraß. Die Monster ließen von mir ab und warteten darauf, dass ich an dem Gift krepierte. Nichts dergleichen jedoch geschah. Im Gegenteil, ich fühlte vielmehr, wie sich mein Verstand aufklarte. Das vielstimmige Flüstern der vermeintlichen Diener der Vernunft verstummte, und auch Blix und Evelyn schienen sich wieder in ihre menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Zum ersten Mal seit mehreren Stunden konnte ich wieder richtig denken.

Ich bin KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt