17. Von der Motte und dem Licht

301 36 4
                                    

Am nächsten Tag durchforstete ich die Klatschseiten in der Befürchtung, unser Besuch auf dem Set wäre an die Öffentlichkeit gedrungen. Ein Bericht über ein perfektes Double würde die Kinder der Saat hellhörig werden lassen. Zwar hatte ich den Kommissar überzeugen können, Narcisas Daten aus dem Polizeicomputer zu löschen, aber sie könnten sich immer noch vor Ort umhören und an eine Beschreibung ihres Aussehens gelangen. Glücklicherweise fand sich keine einzige Erwähnung des Vorfalls.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, innerhalb der Kirchenhierarchie zur ›Blüte‹ aufzusteigen. Dafür musste man neben einer schriftlichen Prüfung zu den Glaubensgrundsätzen und Lehren des Gründers Goldschie eine bestimmte Anzahl Seminarbesuche nachweisen. Um die Sache zu beschleunigen, würde ich von nun an regelmäßig jede Woche die beiden Termine am Dienstag und Donnerstag wahrnehmen. Was die Prüfung anging, blieb mir leider nichts anderes übrig, als dafür wirklich zu büffeln. Die Kirche hatte die notwendige Literatur nach Entrichtung einer ›kleinen‹ Schutzgebühr von 150 Credits unverzüglich an ein Postfach unserer Wahl geschickt. Von nun an verbrachte ich fast jede freie Minute in Blixens Villa und lernte Jahresringtabellen, die fünf Formen der Dimensionsstabilität, den wahren Baumpfad, die Kanalisierung der Wurzelenergie und weitere absurde Konzepte auswendig. Dabei half mir Jerry, der mich die Begriffe wie Vokabeln einer alten Erdensprache abfragte.

Am Dienstag kehrte ich wieder in das Seminar zurück, dessen Teilnehmerzahl sich seit dem letzten Mal deutlich reduziert hatte. Es blieb ein harter Kern von sieben Personen, mich eingeschlossen. Meine Gespräche mit den übrigen gingen allerdings aus verschiedenen Gründen nicht über ein ›Hallo‹ hinaus. Dass ich kein Wort mit Francois wechselte, versteht sich von selbst. Dann wären da noch Everett Whyte, ein jährzorniger Mann, der keinen Widerspruch duldete und Meinungsverschiedenheiten am liebsten mit der Faust löste; Maria Larsdottir, fünfzigjährige Besitzerin eines Autohauses, zwar nett, aber leider besaßen wir keine gemeinsamen Interessen; Gabe Niemand, ein stiller Zeitgenosse, welcher der Ansicht war, dass sein ganzes Leben bereits vorherbestimmt sei, und Smalltalk darin nicht vorgesehen war; und schließlich Miho Takahashi, die schrullige Zauberwürfeldame, deren wache Momente leider zu selten waren, und sie häufig nur den Würfel an die Lippen legte und mit ihm flüsternd kommunizierte.

Blieben also nur Yella und Timo, und letzterer schien heute noch nicht eingetrudelt zu sein. »Er ist doch bei der Rehabilitierung«, erinnerte mich Yella, ohne von einem Pad aufzusehen, in das sie eifrig tippte.

»Ach ja«, sagte ich und setzte mich neben sie. »Was genau passiert da eigentlich?«

Yella zuckte mit den Schultern. »Es ist ein geheimer Ort, wo Mitglieder der Kirche Hilfe erhalten, wenn sie vom rechten Pfad abgekommen sind. Ich denke mal, Timo muss da sich zu Tode langweilen in stundenlanger Meditation.«

Ich warf einen Blick auf das Pad. »Was schreibst du da eigentlich?«

»Ach, nichts«, sagte sie und zog den Bildschirm an sich, damit ich ihn nicht sehen konnte, aber ich war schneller und stahl ihr das Pad aus der Hand.

»›Die Pfefferbaronin von Selena Pialy‹«, las ich laut den Titel der Datei vor. Yella errötete und strich sich eine violette Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das ist mein Roman, beziehungsweise der Anfang davon. Lies es bitte nicht, es ist noch sehr unausgereift!«

»Worum geht es?«, fragte ich aufrichtig interessiert. Während der einsamen Stunden in meiner Hütte war ich eine regelrechte Leseratte geworden und las regelmäßig bis spät in die Nacht alles, was ich gerade online finden konnte.

»So genau weiß ich das noch nicht. Die Geschichte spielt zur Zeit der Stabkriege. Elisabeth – das ist die Hauptfigur – stammt aus gutem Haus, aber ihre Mutter starb bei ihrer Geburt. Eines Tages kommt dann ein Brief, dass ihr Vater als Offizier im Krieg gefallen ist. Als älteste Tochter muss Elisabeth von da an den Pfeffergroßhandel ihres Vaters leiten. Dann gibt es da ihren Gegenspieler, der Gewürzmagnat Jefferson, ein skrupelloser Geschäftsmann, der ihre Plantagen in Brand setzen lässt. Aber er hat sehr gute Manieren und ein schönes Gesicht...«

Ich bin KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt