9. Die Legende

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Als ich auf den Berg zurückkehrte, warteten die drei bereits gespannt am Zauntor der Villa auf meine Meldung.

»Ich bin drin«, sagte ich. Evelyn lächelte mich an, während mir Blix anerkennend auf die Schulter klopfte. Dabei hatte ich bisher doch noch gar nichts erreicht!

»Gib mir das Funkgerät«, befahl Jerry. Nachdem ich das Kabelwirrwar aus meiner Kleidung gezogen und ihm das Gerät gegeben hatte, entnahm er daraus einen kleinen Chip, brach diesen entzwei und ließ die Hälften in den Schnee fallen. »Du benutzt ab jetzt für jedes Gespräch mit uns eine neue Karte und schaltest dein Handy nur ein, wenn es sein muss. Die Tagwacht soll dich nicht anhand deiner Mobilfunksignale verfolgen können.«

»Kommt, besprechen wir den Rest drin«, sagte Blix und führte uns in den altbekannten Salon im Erdgeschoss, wo bereits drei Tassen randvoll gefüllt mit heißer Schokolade warteten. Ich ließ mich in einen der Sessel fallen und verwandelte mich in meine Normalform zurück. Irgendwie fühlte ich mich in dieser am wohlsten; eine andere Gestalt gab mir immer das Gefühl, mich verstellen zu müssen.

Blix griff unter seinen Sessel, um von dort drei schmale Gegenstände zu holen und auf den Kaffeetisch zu legen: Ein silbernes Handy, eine Kreditkarte und eine AR-Brille. Zuerst übergab er mir das Mobiltelefon. »Das ist ab jetzt Narcisas offizielles Handy, jedenfalls für die Kinder der Saat. Du benutzt es nur, wenn du nicht im Seminar bist. Für die Schlapphüte sieht es dabei so aus, als ob du dich in der Wohnung von Narcisa und Evelyn aufhalten würdest.«

»Verstanden.«

»Das wird schon bald klingeln und man wird dich in ein Antistressseminar einladen. Wenn man Internetforen Glauben schenken darf, ist das nur belangloses Blabla. Aber es ist kostenlos, und deswegen gehen viele Leute hin. Wenn du dich da ordentlich benimmst, wird man dich fragen, ob du der Gemeinschaft beitreten möchtest. – nun zur Kreditkarte.«

Kaum bekam ich sie in die Hand, hielt ich die Karte (vermutlich aufgrund einer Gewohnheit meines früheren Ichs) an das Handy, um den Aufladestand zu prüfen. Als die Zahl mit den vielen Nullen auf dem Display erschien, ergänzte diese mein Mund noch um eine weitere Null – eine, die er vor Erstaunen formte. »600.000? Das werde ich doch niemals...«

Ein Lächeln umspielte Blixens Lippen. »Glaub mir, du wirst das Geld brauchen. Die Mitglieder der Kirche werden mit allen Mitteln geschröpft, und wer mehr zahlt, steigt schneller auf. Schließlich wollen wir dich ja im Schnelldurchlauf in die hohen Ränge bringen. Mal ganz abgesehen von deinen Ausgaben für Verpflegung und so weiter.«

Ich nickte und schwieg. Wenn dir jemand das Gehalt von dreißig Jahren auf einmal überreicht, fragst du besser nicht zweimal nach.

»Und schließlich die Brille. Das war eine Idee von Jerry, ich bin nicht ganz glücklich damit...«

Jerry zeigte mir, wie ich die Brille anschalten und mit einfachen Gesten bedienen konnte. Auf magische Weise erschienen farbige Würfel und Pyramiden mitten in der Luft, die ich mit meinen Fingern durch die Gegend schubsen konnte. Es machte einen Heidenspaß dabei zuzusehen, wie die virtuellen Formen an den Gegenständen im Raum abprallten. Ich wusste es natürlich nicht mit Sicherheit, aber ich glaube, dass ich so ein Ding noch nie auf der Nase hatte.

»Du lässt die Kamera am Besten immer an«, unterbrach Jerry mein kindisches Spiel. »Husar hat das Aufnahmelicht entfernt. Keiner wird mitbekommen, dass du filmst. Die Aufnahmen aus dem Seminar und der Zeit danach können uns helfen, deine soziale Strategie zu planen.«

»Meine was?« fragte ich.

Evelyn legte den Kopf schief. »Jerry meint, dass er mit seiner Küchenpsychologie Wege findet, wie du Freunde unter den anderen Seminarteilnehmern gewinnst. Aber ich kann verstehen, wenn du Einwände hast. Mir ist auch nicht wohl bei dem Gedanken, dass wir andere Menschen permanent überwachen...«

Ich bin KOnde histórias criam vida. Descubra agora