2. Kapitel

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Hailey

Augenrollend schüttle ich den Kopf.
„Das Kleid ist schlimm, sorry Sydney, aber du musst dich wirklich nicht verstecken. Du hast eine tolle Figur und darfst das ruhig zeigen", kommentiere ich das weite, viel zu weite, Kleid, welches meine beste Freundin Sydney gerade anprobiert.

„Pff", ist Sydneys Antwort und sie verschwindet wieder hinter dem dunklen Vorhang.

Ich hole mein Handy aus meiner Handtasche und scrolle gedankenverloren durch meine Kontakte. Traurigerweise sind sie sehr überschaubar. Bis auf ein paar Freunde und meiner Mutter haben ich keine sozialen Kontakte. Sydney zieht den Vorhang zur Seite und ich blicke auf.
Das Kleid ist kurz und eng, die rote Farbe passt jedoch nicht zu ihren Haaren. Aber das ist schon besser als das vorige - meiner Meinung nach. 

„Ich fühle mich ... irgendwie nackt", murmelt sie und wird rot.
„Dann nimm lieber eins, indem du dich wohl fühlst. Kann ich das mal anprobieren?", frage ich und streiche eine braune Locke aus meinem Gesicht.

„Klar", lächelt Sydney und ich folge ihr in die Kabine.
Wir haben uns heute entschieden shoppen zu gehen, weil ich bemerkt habe, dass Sydney ein paar tolle Kleider braucht. Nicht das sie keine Kleider hat. Um ehrlich zu sein war uns nur langweilig.

„Wow. Das Kleid steht dir", meint Sydney und ich fahre den Stoff nach. Das Kleid ist wirklich toll, schlicht und doch sexy. Und es passt zu meiner etwas dunklen Hautfarbe. Meine beiden Eltern sind Mexikaner und man sieht mir meine Wurzeln an. Das dunkle volle Haar, das sich manchmal kaum bändigen lässt, die langweiligen braunen Augen und die Gesichtszüge meiner Mutter.

„Und wie steht mit das?"

Ich drehe mich zu Syd und muss lächeln. Sie sieht einfach ... süß aus. Das lange olivfarbene Kleid passt zu ihr.

„War der Einkauf doch ganz erfolgreich", lächelt Sydney als wir an der Kasse stehen um die beiden Kleider zu bezahlen. Ich nicke lachend.

Es ist mittlerweile schon früher Abend und langsam wird es dunkel. Sydneys Handy gibt einen Ton ab und sie liest die angekommene Nachricht durch. „Nate hat mich eingeladen in eine Bar zu ihm und ein paar Freunden zu kommen. Wollen wir da hin?", fragt sie und streicht sich durch ihre bronzefarbenes Haare.

„Klar."

Wir machen einen Stopp bei Sydney, um uns umzuziehen. Wenn ich mir schon ein Kleid gekauft habe, möchte ich auch darin gesehen werden. Danach schreibt Sydney Nate, dass wir mit dem Bus bald da sein werden. Weder Syd noch ich haben einen Führerschein.

Natürlich besteht Nate als perfekter Freund darauf uns abzuholen, damit seine Liebste nicht den Bus nehmen muss. Sydney ist meine beste Freundin, wir haben uns im letzten Jahr kennengelernt und angefreundet. Nachdem sie mit Nate zusammengekommen ist, hatte sie große gesundheitliche Beschwerden. Aber zum Glück geht es ihr mittlerweile besser. Sie muss sich noch etwas schonen, aber im großen und ganzen geht es ihr gut. Sydney ist auch, auch wenn sie es selber nicht immer glaubt, hübsch. Ihre grünen Augen stechen einen sofort in den Blick und das bronzefarbene Haare lässt sie aus einer Menschenmenge hervorstechen.

Nate ist auch nett und kümmert sich rührend um Syd. Die beiden sind echt süß zusammen, aber für mich persönlich wäre das einfach nichts. Eine Person alles anzuvertrauen, meine tiefsten Ängste und Geheimnisse, einfach alles, macht mir irgendwie Angst. Ich habe so viele Fehler und ich will niemanden mit meinen Dämonen belasten. Außerdem bezweifle ich, dass jemand mein Verhalten und meine Vergangenheit verstehen würde. Da ist es einfachere sich auf keine tiefere Bindung einzulassen.
Wir warten vor dem Haus von Sydneys Familie auf Nate. Ich erinnere mich daran zurück als ich das letzte Mal in Mexiko in einer Bar war. In Amerika ist alles irgendwie anders.
Damals war ich mit meinen besten Freunden unterwegs und ich wusste damals schon, dass ich sie verlassen würde.

Ob sie jemals wieder an mich gedacht haben? Oder haben sie mich vergessen, so wie es meine Familie getan hat?

Werde ich sie irgendwann mal wiedersehen? Wahrscheinlich nicht. Ich habe mir geschworen nie wieder in meine Heimatstadt zu gehen. Nie wieder.

„Da ist er ja schon", reißt Sydney mich aus meinen Gedanken. Ich blicke zu Nate, der aus dem Wagen steigt und Sydney in eine Umarmung zieht.
Ich gucke zur Seite, während die beiden sich ... naja ... nennen wir es begrüßen.
„Hey Hailey", begrüßt mich Nate und ich lächle ihm leicht zu. Sydney setzte sich neben Nate auf den Beifahrersitz und ich rutsche auf die Rückbank. Während die beiden sich unterhalten, schaue ich aus dem Fenster.

Ich habe mich mittlerweile ganz gut eingelebt, zwar vermisse ich mein Zuhause ... nein. Ich vermisse meine Mutter, nicht mein Zuhause oder ... ich will gar nicht an ihn denken. Vielleicht sollte ich Ma anrufen, sie wird sich bestimmt Sorgen machen. Aber andererseits besteht die Gefahr, dass sie mich finden könnten. Ich beginne an meinem Fingernagel zu kauen, eine schlechte Angewohnheit. Ich könnte mir morgen ein billiges Handy holen und Ma anrufen. Danach werde ich es sofort entsorgen ... Ich lächle. Ja, das werde ich machen. Ich vermisse Ma unglaublich und ihre Stimme zu hören, würde mir gut tun.

Wir halten vor einem vollen Bürgersteig. Aus der Bar höre ich laute Musik und ich blicke auf. Eine lange Schlange hat sich vor der Bar gebildet und innerlich stöhne ich auf. Eine Stunde müssen wir mindestens warten, wenn die überhaupt noch Leute rein lassen.
„Gehen wir wo anders hin, ich habe keine Lust lange zu warten", meint Syd und ich nicke zustimmend. Nate lächelt leicht und nimmt Sydneys Hand. Ich folge ihm genauso verwirrt wie Sydney. Bei dem Türsteher steht die Person, auf die ich ehrlich gesagt keine Lust habe. Und er lächelt mich an.

London.

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