49. Kapitel

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Vorletztes Kapitel .... ist irgendjemand genauso traurig wie ich es bin? :(

Das letzte Kapitel kommt morgen um 15 Uhr!

***

Hailey

Vor zwei Jahren

„Ich habe gekleckert", flüstert mir Rosie zu und ich drehe mich zu ihr. Ihr schönes weißes Kleid hat einen großen roten Fleck.

„Oh nein", sage ich und blicke zu Vater. Er mustert Rosie mit einem missbilligenden Blick und ich ziehe sie schnell in Richtung Toilette. Mit einem nassen Stück Klopapier versuche ich vergeblich den roten Fleck aus ihrem Kleid zu bekommen. Das Schlimmste kann ich beseitigen, aber es bleibt ein großer hellorangener Fleck vorhanden.

„Besser krieg ich es nicht weg", sage ich achselzuckend und nehme ihre kleine Hand in meine. Zusammen gehen wir zurück zu unserem Tisch und ich ermahne Rosie, jetzt besser aufzupassen. Auch Vater tadelt sie und Rosie senkt schnell den Kopf.

„Das Kleid war sehr teuer, Rosalie. Achte auf dein Essen, dass Essen hier ist ebenfalls nicht billig. Du sollst es genießen und nicht auf dein Kleid schmieren", schimpft mein Vater und ich verdrehe die Augen. Niemand hat ihn gebeten, Rosie ein teures Kleid zu kaufen. Er muss sich nicht aufregen, sie ist immerhin noch ein Kind.
Rosie nimmt seine Kritik jedoch ernster. Sie ist vollkommen konzentriert auf ihren Teller und die Gabel. Ich wende mich ebenfalls wieder meinem Essen zu und so trifft mich der Knall vollkommen unerwartet. Erst denke ich, es wäre eine fehlgeschlagene Autozündung, aber dann merke ich was es wirklich war ...

Ein Schuss.

Ich zucke heftig zusammen und erwarte den Schmerz in meinem Körper. Aber der Schmerz bleibt aus. Ich bin nicht getroffen. Automatisch blicke ich neben mich. Und schreie laut los.
„Nein, nein", schreie ich geschockt. Ich ducke mich unter den Tisch als ein zweiter Schuss abgefeuert wird und rutsche zu ihr. Nein, nein, nein ...

„Ich brauche Hilfe", brülle ich und versuche vergeblich ihre Blutung zu stoppen.
„Guck mich an, du musst atmen. Bleib bei mir", flüstere ich und streiche ihr behutsam über ihre Wange. Mein Blick verschwimmt. Ich darf jetzt nicht weinen, ich muss mich konzentrieren.
Ich presse meine Hand auf die Wunde, aber die Blutung will einfach nicht stoppen. Sie darf nicht sterben. Nein, nein, nein. Das werde ich nicht zulassen.
„Wieso hilft mir keiner, verdammt nochmal? Ich brauche Hilfe!", ich schreie einfach in den Raum. Nach wenigen Sekunden höre ich endlich Sirenen in der Ferne. Endlich.

„Hilfe", schreie ich nochmal, gucke wieder zu ihr in meinen Armen. Sie muss durchhalten, sie wird nicht sterben.

Ich drücke eine Hand auf die Wunde und mit der anderen drücke ich ihre Hand.
„Alles wird gut", flüstere ich an und blicke ihr in die Augen, die mich starr mustern. Wieso sagt sie nichts?
„Alles wird gut. Du musst einfach atmen, gleich ist Hilfe da. Bleib bei mir", flüstere ich und meine Tränen fallen auf ihr starres Gesicht. Wieso bewegt sie sich nicht?
Ich schüttle den Kopf. Nein, dass kann nicht sein. Aber ein Teil von mir weiß bereits, dass es zu spät ist, auch als Sanitäter kommen und sie mir entreißen. Ich bleibe auf den Boden sitzen, um mich herum Scherben und ich weine. Dicke Träne tropfen auf meine blutverschmierten Hände. Und während die Sanitäter verzweifelt versuchen, sie am Leben zu erhalten, weiß ich, dass es bereits zu spät ist.

Meine kleine Schwester ist tot.


Hailey

Gegenwart

Die Bilder in meinem Kopf kommen mir so real vor und ich habe das Gefühl, ich hätte noch immer das Blut an meinen Händen. Ich schluchze laut los und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich hätte es vorhersehen können, ich hätte sie runterreißen können. Sie war so auf ihr Essen konzentriert, weil ich mit ihr geschimpft hatte ... wären wir nicht in dieses Restaurant gegangen, hätte der Typ nicht wie wild auf uns schießen können. Ich habe das Restaurant ausgewählt, ich habe mir ihr geschimpft und ich hätte schneller reagieren müssen. Habe ich aber nicht.

Ich hätte es verhindern können.
„Es ist nicht deine Schuld, Olivia." Die Worte meiner Mutter kommen nicht bei mir an. „Der Typ, der deinem Vater schaden wollte und um sich geschossen hat, der hatte schuld. Dieser Typ, der jetzt lebenslang im Gefängnis sitzt, dieser Typ ist schuld. Nicht du."

„Aber ... ich hätte es verhindern können."

„Nein, hättest du nicht", flüstert Mamá.


London

Zwei Wochen.

Zwei Wochen ... vierzehn Tage.

Ich dachte, ich hätte die richtige Entscheidung getroffen. Wirklich. Ich bin mir meiner Gefühle einfach zu unsicher und ich bin mir Haileys Gefühlen ebenfalls zu unsicher. Wenn ich nach Mexico reisen würde, dann ... dann könnte ich enttäuscht werden. Oder glücklich.

Und leider kann ich einfach nicht das Risiko abwiegen. Würde es mehr wehtun, als sowie so schon tut, wenn Hailey mich abweisen würde?

Außer Sport habe ich die letzten Wochen nicht viel gemacht. Sport lenkt mich ab und beschäftigt mich. Lässt mich nicht verrückt werden.
Sydney hat es mittlerweile aufgegeben mir einreden zu wollen, was ich machen soll. Sie gibt zwar manchmal noch Kommentare ab, aber größtenteils lässt sich mit mit dem Thema Hailey ... ich meine Olivia ... in Ruhe. Ich weiß, dass ich die Entscheidung treffen muss, aber durch das Herauszögern, fällt es mir immer schwerer zu wissen, was ich tun muss.

Mein Blick gleitet über den Computer der auf meinem Schoß liegt. Ich habe die Webseite eines Reiseveranstalter aufgerufen und schon nach dem passenden Flug geguckt. Ich müsste nur auf „Buchen" klicken. Mehr nicht. Nur ein Mausklick.

In diesem Moment erscheint eine Werbung auf meinem Bildschirm. Genervt will ich sie wegklicken, stutze jedoch.

‚AM ENDE DES LEBENS BEREUEN SIE NUR DIE CHANCEN, DIE SIE NICHT ERGRIFFEN HABEN: GREIFEN SIE JETZT ZU –  REISEN SIE NACH PARIS ZUM SCHNÄPPCHENPREIS.'

Den unteren Teil der Werbung blende ich aus. Am Ende des Lebens bereuen Sie nur die Chancen, die Sie nicht ergriffen haben.

Werde ich es bereuen, wenn ich Hailey nicht meine Gefühle gestehe? Werde ich es irgendwann bereuen?

Ja. Ja, werde ich.

Und mit diesem Gedanken, klicke ich auf „Buchen".

Forget meWhere stories live. Discover now