31. Kapitel

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Hailey

Vor drei Jahren

Ich atme tief ein und aus. Ich schaffe das. Ich schaffe das. Ich schaffe das.

„Ich werde nocheinmal mit deinem Vater reden." Mamá lächelt mich an und drückt mich an sich. Uns wird immer gesagt, wir sehen uns ähnlich. Ich sehe das nicht so richtig. Meine Mutter ist groß, schlank und hat ein feuriges Temperament, dass sie gerne an Vater auslässt. Sie war noch sehr jung, als sie meinen Vater geheiratet hat, aber trotzdem ist so etwas wie Liebe zwischen den beiden entstanden. Obwohl ich mir da manchmal nicht so sicher bin. Mamá hat trotz drei Kindern ihre gute Figur gehalten. Ich bin etwas dünner, manchmal fast schon dürr. Was wahrscheinlich daher kommt, dass ich häufig Appetitlosigkeit habe. In manchen Punkten sehen meine Mutter und ich uns doch ähnlich. Wir haben das selbe dicke braune lockige Haare.

Ich nicke zögerlich und öffne die Tür. „Ich geh dann mal nach unten." Mamá lächelt mich ein letztes Mal an und ich senke den Blick.

In meinen Kopf bilden sich weitere Ideen. Ich könnte mich weigern, aber ich glaube kaum, dass das irgendetwas bewirken würde. Die Idee einfach abzuhauen wird immer verlockender.

Ich meine, die Idee frei zu sein, ist einfach ... zu unwiderstehlich um sie zu verwerfen. Aber ich bin 16 Jahre alt. Zu jung. Etwas sauer gehe ich den Flur lang und erreiche den Treppenabsatz. Doch meine Beine fühlen sich an, als wären sie aus Stahl. Ich will nicht. Jeder Faser meines Körpers weigert sich, die Treppe hinunter gehen.

Ein letzter Blick in die Spiegel. Ich sehe verängstigt aus, also genauso wie ich mich fühle. Immer habe ich Angst. Und ich hasse es. Ich will nicht die schwache Kleine sein. Nein, ich will ... mich wehren können.
Ich schließe meine Augen und atme tief ein und aus.

Und stelle mich dem was mich unten im Wohnzimmer erwartet.


Hailey

Gegenwart

Schnell schüttle ich die Erinnerungen an diese Zeit ab. Daran will ich mich nicht erinnern ... Joel ... an ihn will ich mich nicht erinnern. Er ist kein guter Mensch.

Aber ich will mir selber nicht den Abend verderben, indem ich an ihn denke. Das muss ich mir nicht antun. Er gehörte zu meinem alten Leben. Der Vergangenheit. Hier sitze ich jetzt, in einem wunderschönen kleinen Bistro mit London, jemanden, der mir wirklich etwas bedeutet und der mich anscheinend auch respektiert.
Das hätte mein 16-Jähriges-Ich wohl nie gedacht. Das ich es soweit bringen würde. Aber hier sitze ich. Und ich glaube, das erste Mal kann ich richtig aufatmen. Ohne Angst mein Vater oder sonst jemand könnte mein Glück zerstören. Und das ist ein tolles ... unbeschreibliches Gefühl. So muss sich Freiheit anfühlen.

„Hailey, hey", rüttelt London die letzte schlechte Erinnerung ab. Ich lächle ihn an und trinke ersteinmal einen großen Schluck Wein.
„Sorry. Ich drifte immer mal wieder in Tagträume ab", murmle ich etwas entschuldigend und werfe noch einen Blick in die Karte. Oh ich wusste nicht, dass es hier so teuer ist.

„Kein Problem. Weißt du schon was du nehmen willst?", fragt mich London und geht nicht weiter drauf ein. Wofür ich ihm dankbar bin.


Hailey

Vor drei Jahren

Die Stufen knarren unter jedem Schritt den ich mache. Ich könnte einfach rennen, aus dem Haus, weg von meinem Vater, aber – in diesem Moment höre ich vom Treppenabsatz ein Knarren. Erschrocken drehe ich mich um und sehe wie meine kleine Schwester mich anstarrt. „Geh in dein Zimmer", flüstere ich ihr zu und gucke schnell, ob mein Vater mich schon entdeckt hat.
„Was ist los?", fragt sie angstvoll und drückt ihr Kuscheltier fester an sich.
„Alles ist gut, du musst keine Angst haben. Mamá bringt dich gleich in Bett", ich lächle sie aufmunternd an.

„Wo gehst du hin?"

„Ich geh nur ins Wohnzimmer. Ich komme nochmal und gebe dir dann einen Gutenachtkuss, abgemacht? Du musst jetzt aber in dein Zimmer gehen und dich hinlegen, ja?" Ich überlege, ob ich sie noch schnell ins Bett bringen kann ohne das mein Vater sauer wird. Aber ich will ihn nicht reizen.

Ich lächle ihr zu und werfe ihr eine Kusshand zu. Meine kleine Schwester soll so lange wie möglich das Ganze nicht mitkriegen, sie hat etwas besseres verdient.
„Wo bleibt denn meine verdammte Tochter?"

Ich setzte mein breites gefälschtes Lächeln auf und betrete das Wohnzimmer. Mein Vater lächelt mich ein wenig gezwungen an.
„Ah, darf ich vorstellen meine Tochter", stellt er mich vor und drückt dabei meinen Arm schmerzhaft zusammen. Mein gefälschtes Lächeln wird breiter.

Ich blicke die beiden Männer vor mir an. Der eine ist älter, hat teilweise graue Haare und eine kleine Narbe zeichnet sich unter seinem linken Auge ab. Er trägt einen schwarzen Anzug, der verdammt teuer aussieht und seine Augen machen mir Angst. Sie sind dunkel, abgrudschwarz.

„Das ist mein zukünftiger Geschäftspartner Herr Garcia und sein Sohn Joel Garcia." Ich nicke den beiden zu und mein Blick wandert zu Joel.
Und ich schlucke.
Das ist also mein zukünftiger Ehemann.

Forget meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt