48. Kapitel

3.8K 204 37
                                    

London

„Wieso bist du noch hier?" Ich blicke zu Sydney auf, die mich mit verschränkten Armen mustert. Nichtmal eine Minute kann ich meine Ruhe haben. Ich wende mich von der Konsole ab und betrachte meine kleine Schwester ruhig.

„Wo sollte ich denn sein?"

„Na weg ... bei Hailey!" Ich verdrehe die Augen.

„Ich bin nicht bei ihr ... ich glaube, es ist besser so."
„Ich verstehe dich nicht, London. Du weißt nicht, was genau bei Hailey passiert ist, du weißt nicht einmal, ob sie freiwillig nach Mexico zurückgekehrt ist, willst aber trotzdem nichts machen? Hast du nicht ihrer Freundin, Tara, zugehört? Sie meinte doch, dass Hailey vielleicht in Gefahr ist."

„Hailey? Weißt du, Sydney, ich habe mal die Informationen durchgelesen, die Tara uns gegeben hat und habe mich ein wenig erkundigt. Es existiert dort niemand mit dem Namen Hailey oder ähnlichen. Sondern ein Mädchen namens Olivia Perez. Und diese ‚Olivia' sieht Hailey verdammt ähnlich.
Versteh mich nicht falsch, dass sie wegen ihrer Vergangenheit gelogen hat, konnte ich verstehen, aber ich habe das Gefühl ... als wäre das alles einfach nur ... unecht gewesen."

„London .... Du musst sie fragen und ihre Seite der Geschichte erfahren."

Die Wahrheit ist, ich habe einfach nur Angst. Angst davor, dass sie mich zurückweist. Und diese Angst hindert mich daran in den nächsten Flieger zu steigen.

„Nein, du verstehst es nicht, Sydney. Ich habe gerade herausgefunden, dass das Mädchen, die Frau, die ich liebe, nichtmal richtig existiert. Wenn sie wegen ihrem Namen und allen gelogen hat, was sagt mir dann, dass ihre Gefühle echt sind und nicht gelogen?"


Hailey

Zwei Wochen später

Der Tag ist gekommen.
Der Tag an dem ich das erste Mal seit Rosies Beerdigung ihr Grab besuche. Meine Hände zittern, als ich den schwarzen Mantel über mein schlichtes schwarzes Kleid ziehe. Mamá besucht ihr Grab jeden Tag und ich konnte bis jetzt noch nicht mit, ich habe es mich noch nicht getraut. Aber heute.
Heute schaff ich das. Wir halten auf dem Weg zum Friedhof an einem Blumengeschäft, um frischen Blumen an Rosies Grab zu legen. Ich entscheide mich für einen schlichten Strauß weißer schlichter Blumen.

Ich bin jetzt seit ungefähr drei Wochen im Mexico. Ich spiele mit den Gedanken in ein Hotel zu ziehen, weil ich einfach nicht mehr mit meinem Vater klar komme. Entweder ignorieren wir uns oder wir streiten uns. Beides ist auf Dauer sehr anstrengend. Und London ... London ist allgegenwärtig in meinen Gedanken und doch fühle ich mich so alleine. Ich hätte ihn gerne bei mir und es schmerzt an ihn zu denken. Liebe ist manchmal kompliziert und einfach nur verwirrend.

„Bist du bereit? Du schaffst das!", sagt Mama mir beruhigend zu und ich steige nach ihr ins Auto. Der Fahrer biegt aus unserer Einfahrt und ich spiele nervös mit dem Saum meines Mantels.
Mamá nimmt beruhigend meine Hand und ich lächle sie unsicher an.

„Olivia. Ich weiß, dass ich es schwer für dich ist. Aber du schaffst das." Ich nicke als der Wagen hält. Das Tor zum Friedhof jagt mir einen Schauer über den Rücken. Eigentlich ist es ein schöner Tag, die Sonne scheint und es ist warm, aber als ich aussteige, fröstle ich.
Mamá harkt sich bei mir unter und führt mich auf den Friedhof. Ich blicke mich unwohl an. Die meisten Grabsteine sehen nicht sehr gepflegt aus, sie sind mit Efeu oder Moos überwachsen. Vor einzelnen Gräbern stehen frische Blumen, die meisten sehen sehr verlassen aus.
Der Klos in meinem Hals wird größer, als wir stehen bleiben.

Ihr Grab ist schön. Der Grabstein ist groß und schlicht, vor dem Grab liegen frische Blumen, die Mamá wahrscheinlich gestern hier hin gelegt hat. Ich knie mich auf die kalte Erde und lege die Blumen auf die Erde.

„Hey Rosie. Ich bins ... Olivia." Ich mache eine Pause und fahre über die Erde, so als könnte ich ihr dadurch näher sein, „es tut mir Leid, dass ich dich erst jetzt besuche. Deine große Schwester ist eben ein Angsthase. Aber denk nicht, dass ich dich vergessen habe. Ich muss ständig an dich denken, du ... du bist doch meine kleine süße unschuldige Schwester.

Und ich weiß, dass du es nicht mehr hören kannst, aber ... ich will das du weißt, dass es mir so ungeheuer Leid tut."

Ich wende mich ab und halte die Tränen zurück.

„Olivia, du weißt, dass es nicht deine Schuld ist." Ich schüttle den Kopf. Es ist meine Schuld.
„Ich hätte es verhindern sollen, ich bin die große Schwerster, ich ... ich hätte es verhindern sollen", murmle ich und schäme mich zu sehr, um meine Mutter anzusehen.
„Das ist Quatsch. Hörst du! Du hast keine Schuld, niemand hat Schuld. Außer der Mann, der sie umgebracht hat. Hast du mich verstanden, Olivia? Du trägst keine Schuld!"

Aber die Worte meiner Mutter hören sich in meinen Ohren falsch an, ich weiß es ... ich habe Schuld.


Hailey

Vor zwei Jahren

Geburtstage. Wie ich sie hasse.

Jetzt bin ich siebzehn. Ein Jahr näher an der Heirat. Am Liebsten würde ich mich in meinem Zimmer einschließen und auf irgendetwas einschlagen, aber nein. Mein verdammter Vater besteht auf das übliche Geburtstagsessen.

„Lächle, Olivia", flüstert mein Vater mir gezwungen zu und ich drehe mich einfach weg. Wir sind in meinem Lieblingsrestunart, wenigstens etwas gutes an diesem Tag.

Mein Bruder Javier sitzt mir gegenüber und ich sitze neben Rosie. Wir haben den perfekten Blick auf die große befahrende Straße vor dem Restaurant. Das ist der Grund wieso dies mein Lieblingsrestunart ist – man hat einen perfekten Blick auf die Straße. Dies wird durch eine ganz verglaste Wand möglich.
Meine Eltern sitzen jeweils an den beiden Ende des Tisches.
„Was darf ich mir bestellen?", fragt mich Rosie leise. Sie ist noch so klein, dass die Kellner ihr ein paar Kissen gegeben habe, damit sie in etwa auf unserer Augenhöhe ist.
„Du darfst dir alles bestellen. Egal was", lächle ich sie an und gehe mir ihr die Speisekarte durch. Nachdem wir die Bestellung aufgenommen haben, nippt Rosie an ihrer Fanta, während unsere Eltern sich mit Javier unterhalten. Javier ist schon den ganzen Tag komisch zu mir, er ignoriert mich oder wenn er mich ansieht, dann erdolcht er mich quasi mit Blicken.

„Ich freue mich schon auf die Lasagne", kichert mir Rosie zu und ich lächle sie an.
„Die soll hier besonders gut sein. Und freust du dich schon auf das Pferderennen?" Ich habe mit Rosie letztes Jahr eine Tradition angefangen, wir besuchen die Meisterschaft im Pferderennen.

„Ja, total. Versprichst du mir, dass wir jedes Jahr für immer da hin gehen werden?" Rosie strahlt mich mit ihren funkelnden Augen an und ich muss schmunzeln.
„Versprochen. Jedes Jahr für immer."

„Kleinfingerschur?" Rosie hält mir ihren kleinen Finger hin und ich verschränke meinen in ihren.

„Du kannst dich auf mich verlassen, Rosie", sage ich und wende mich dem Kellner zu, der in diesem Moment das Essen bringt.
„Ich weiß, ich kann mich immer auf meine große Schwester verlassen. Ich habe dich lieb, Oliv", sagt Rosie und sie gibt mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Ich lächle sie an und deute dann auf ihre Lasagne. „Und jetzt wird gegessen."

***

Soll ich heute noch ein Kapitel updaten? Ich habe mal vorgeschrieben :D Ihr könnt entscheiden :)

Forget meWhere stories live. Discover now