3.2. Heute (überarbeitet)

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Emma

Vor Schreck bleiben mir die Worte im Hals stecken, als der junge Mann vor mir mit großen Augen auf mich herabsieht. Er hält mich immer noch fest als hätte er Angst, ich würde mich in Luft auflösen, wenn er mich loslässt.

Keine schlechte Idee, sich in Luft aufzulösen.

Er trägt einen lässig geschnittenen Anzug und sieht genauso überrascht aus, wie ich mich fühle. Seine braunen Augen sind schockiert aufgerissen und sein Griff um meine Arme ist so fest, dass ich morgen bestimmt blaue Flecken in Form seiner Finger auf meiner Haut entdecken werde. Als ich sein Gesicht mustere – das markante Kinn, die kurz rasierten braunen Haare und den leichten Bartschatten – denke ich automatisch ein paar Jahre zurück und kann den schmächtigen Jungen von früher nur schwer mit dem muskulösen Mann vor mir in Verbindung bringen. Ich schlucke nervös, kann mich aber nicht rühren.

„Hi, Sam", sage ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich tatsächlich hören kann.

Er steht ebenso erstarrt da und mustert mich intensiv. Sein Blick heftet sich auf mein Gesicht und wandert dann über meine Haare, die mir in leichten Locken über die Schultern fallen und geht schließlich über meinen Körper. Zum erstem Mal heute fühle ich mich unwohl in der durchscheinenden Bluse und unterdrücke den Drang, die Arme vor der Brust zu verschränken. Sam war früher wie ein kleiner Bruder und es kommt mir falsch vor, dass er mich so ansieht. Ich will mich von ihm lösen, doch er lässt mich nicht. Sein Blick heftet sich wieder auf mein Gesicht und er sieht mir fest in die Augen.

„Du bist es ja wirklich", sagt er plötzlich breit grinsend und zieht mich dann in eine feste Umarmung. So fest, dass ich keine Luft mehr bekomme.

„Sam", keuche ich wieder, dieses Mal wegen akuter Atemnot. „Du erdrückst mich, Mann!"

Sofort lässt er mich los und ich gehe etwas auf Abstand zu dem großen Kerl.

„Es ist so schön, dich zu sehen, Emma!"

Wieder mustert er mich und ich trete unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er sieht gut aus. Sehr gut sogar. Als ich ihn das letzte Mal sah, waren seine Arme genauso dünn wie seine Beine und die Haare hingen ihm bis über die Schultern. Er war immer ein süßer Typ, doch jetzt wirkt er richtig erwachsen und das steht ihm.

Sam plappert einfach drauf los und erzählt, was er die letzten Jahre erlebt hat. Er erzählt von seinen Eltern und seiner kleinen Schwester, die jetzt auf die Highschool geht. Ich bin so überwältigt davon, ihn hier zu sehen, dass ich die Hälfte von dem was er erzählt überhaupt nicht hören kann.

„... bin ich Bandmanager."

Überrascht reiße ich den Kopf zurück als die Wortfetzen bei mir ankommen. „Bandmanager?" Er nickt und lächelt selbstbewusst. „Was ist aus ... Nikki geworden?"

Es fällt mir schwer, den Namen der ehemaligen Bandmanagerin laut auszusprechen. Sams Lächeln verrutscht und sein Auge zuckt angespannt. Außerdem weicht er meinem Blick plötzlich aus.

„Nikki ist Geschichte." Mehr sagt er nicht dazu.

Wenigstens laufe ich nicht Gefahr, dieser blöden Kuh heute über den Weg zu laufen.

Zwischen Sam und mir tritt eine unangenehme Stille ein, wodurch ich die Musik um uns herum noch intensiver wahrnehme. Auf der Bühne ziehen die Jungs eine unglaubliche Show ab. Sie spielen gerade ihren dritten Song und ich weiß nicht, ob ich flüchten, heulen oder schreien soll. Vielleicht mache ich einfach alles gleichzeitig.

Die Band harmoniert toll zusammen. Das war schon immer so. Sie spielen wie eine perfekt geölte Maschine. Jeder ist auf den anderen abgestimmt und sie interagieren miteinander. David und Luke spielen einander zugewandt und drehen sich dann zu Shane, um auch ihn mit einzubeziehen. Shane lacht über eine Geste, die Luke macht und schüttelt den Kopf in einer War-ja-klar-Art.

Stuck In Your Head! *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt