5.1. Heute (überarbeitet)

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Emma

Sandelholz und Zitrone. Der Duft meiner Kindheit. Innerhalb von Sekunden schießen mir duzende Erinnerungen durch den Kopf. Auf Bäume klettern, in Erdlöcher kriechen, auf Schatzsuche gehen. Erste Partys, erste Verabredungen und erste Auftritte. Freundschaft, Freude, Eifersucht und Liebe. Enttäuschung und Wut.

Als diese letzten Erinnerungen auf mich zurasen, beginne ich mich gegen Masons Umklammerung zu wehren. Ich bäume mich auf und versuche seine Arme von mir zu lösen, doch sein Griff um mich wird nur noch fester. Je heftiger ich mich wehre desto stärker packen seine Hände zu. Ich schreie und ziehe, trete und schlage, doch er lässt mich nicht los.

„Spiderman." Mein Körper stellt den Widerstand ein. „Spiderman. Spiderman. Spiderman."

Er sagt es wieder und wieder, bis seine Stimme nur noch ein leises Krächzen ist. Die ganze Zeit über hält er mich fest und wartet bis ich ruhiger werde. Mein Atem kommt stoßweise über meine Lippen und ein gewaltiger Druck lastet auf meiner Brust, doch ich höre auf, gegen ihn zu kämpfen.

Das allzu vertraute Gefühl von Sicherheit, das dieses Wort schon früher in mir ausgelöst hat, dringt bis in mein Innerstes und macht jeden Widerstand zwecklos. Schon als wir klein waren, konnte Mason mich mit diesem einen Wort beruhigen. Es bedeutet, dass ich keine Angst haben muss und mir niemand etwas tun wird. Ich glaube ihm, denn er benutzt das Wort nicht leichtfällig, dafür bedeutet es zu viel.

„Kann ich dich jetzt loslassen?", fragt Mason leise und streicht beruhigend über meine Arme. Ich nicke langsam und er fragt zögerlich: „Du wirst nicht wieder weglaufen? Versprichst du mir das?"

„Für's erste." Mehr kann ich ihm nicht geben.

Er zögert, wägt meine Worte ab und entschließt sich erst dann, mich vorsichtig loszulassen. Sofort bringe ich etwas Abstand zwischen uns. Mit dem Rücken zu ihm verharre ich kurz, um einmal tief Luft zu holen.

Ich wusste immer, dass ich ihm früher oder später wieder über den Weg laufen würde. Es ist ein Wunder, dass ich es vier Jahre geschafft habe, den Kontakt zu vermeiden. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, dieses Treffen noch einige Jahre aufzuschieben.

Verdammte Raven ...

Da ich seinen Blick auf mir spüren kann – und eine Flucht wohl zwecklos ist - drehe ich mich schließlich zu ihm um und betrachte den Jungen, der lange Zeit der wichtigste Mensch in meinem Leben war.

Vorhin auf der Bühne konnte ich es bereits sehen, doch jetzt, wo er so dicht vor mir steht, fällt noch stärker auf, wie sehr er sich verändert hat. Sein Gesicht ist kantiger geworden und wird von einem leichten Bartschatten umrahmt, der ihn älter aussehen lässt. Er lächelt nicht, deshalb kann ich das Grübchen auf der linken Seite nicht sehen, doch ich bin mir sicher, dass es immer noch dort versteckt liegt. Seine grauen Augen blicken streng und lenken meinen Blick auf kleine Fältchen, die von durchfeierten Nächten und viel Alkohol berichten. Jedenfalls stellt sich der zynische Teil in mir das so vor. Als nächstes wandert mein Blick zu den Tattoos, die den Großteil seiner Arme schmücken. Ich sehe einen Totenkopf, der auf einem Grab aus Musiknoten liegt, einen Kompass, der auf einer Landkarte ruht und verworrene Ranken, die sich in Richtung seiner Schultern schlängeln und unter seinem Shirt verschwinden. Automatisch fixiere ich die tiefen Armausschnitte und damit seine Brust, die unter dem Stoff hervorblitzt. Auch hier sehe ich ein paar tätowierte Ranken und einige Farbtupfer, die mich neugierig auf die restlichen Bilder machen.

Ich betrachte ihn so genau, dass ich sehen kann, wie heftig er atmet als er einen Schritt auf mich zu macht. Automatisch weiche ich vor ihm zurück.

Stuck In Your Head! *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt