6. Damals (überarbeitet)

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Emma

„Es ist nichts", sage ich zum gefühlten hundertsten Mal, als Mase die Schramme an meiner Schläfe berührt. Ich zucke leicht zusammen, als seine Finger die Wunde streifen und ein stechender Schmerz in mein Gehirn schießt. „Das ist in ein paar Tagen verschwunden, also hör auf, so ein Theater zu machen."

„Es sieht aber aus, als würde es weh tun."

Seine grauen Augen betrachten so besorgt mein Gesicht, als würde jeden Moment eine Blutfontäne aus dem Kratzer schießen.

„Ja, weil du andauernd daran herumtatschst", sage ich genervt und nehme seine Hand von meinem Gesicht.

Wir sitzen zusammen am Rand des alten Sandkastens in meinem Garten. Meine Beine sind bereits voller Sand, weil Mase andauernd eine Handvoll über meine nackten Knie rieseln lässt. Einige Sandkörner haben sich dabei unter meine kurzen Shorts verirrt und ich rutsche unruhig herum, weil es anfängt zu jucken.

„Mase, nein", sage ich streng und gebe ihm einen Klaps auf die Hand, weil sich seine Finger wieder meinem Gesicht nähern. „Ich bin vom Baum gefallen und habe mich an einem Ast geschnitten. Es ist nicht das erste und wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass mir das passiert. Das ist keine große Sache."

Er betrachtet mich zweifelnd. „Du fällst aber nie vom Baum, Emma. Du kletterst da schneller hinauf und wieder hinunter als Spiderman. Und Spiderman fällt nicht von Bäumen."

„Spiderman ist auch nicht perfekt. Er hatte eine dunkle Phase, schon vergessen?"

„Es ist meine Schuld, oder?", fragt er plötzlich und klingt total niedergeschlagen.

„Was? Nein!"

„Ich wusste, ich hätte dich nicht alleine nach Hause gehen lassen sollen. Du hattest getrunken - "

„Ich war nicht betrunken, Mase", werfe ich dazwischen. „Und es ist nicht deine Schuld. Ich bin durchaus in der Lage, alleine nach Hause zu gehen. Außerdem warst du beschäftigt."

Ruckartig hebt er den Kopf und betrachtet mich eindringlich. „Ich hätte Nikki jederzeit für dich stehenlassen, das weißt du genau."

„Das hätte ihr bestimmt gefallen." Die Worte kommen bitterer heraus als ich wollte. „Nikki hätte dir eine geknallt, wenn du sie wegen mir stehenlässt. Sie fühlt sich gerne wichtig."

„Ist mir egal", sagt er achselzuckend. „Du bist wichtiger."

Seine Worte lösen ein warmes Gefühl in meiner Brust aus. Meine Haut kribbelt und mein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Das passiert in letzter Zeit immer häufiger, wenn Mase solche Sachen zu mir sagt und das jagt mir eine Heidenangst ein. Immerhin ist er mein allerbester Freund und der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich sollte mich nicht so komisch in seiner Gegenwart fühlen, aber mein blöder Körper scheint das nicht zu verstehen, denn er reagiert immer heftiger auf seine Nähe.

Ich räuspere mich und stehe schließlich auf, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Dabei rieselt der Sand von meinen Beinen und ich hüpfe ein paar Mal, um die lästigen Körner aus den Shorts zu bekommen.

„Wie genau bist du eigentlich vom Baum gefallen?"

Die Frage hatte ich erwartet, trotzdem will mir keine glaubwürdige Erklärung einfallen. Die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht erzählen.

„Bin irgendwie vom Ast abgerutscht und habe den Halt verloren", erkläre ich achselzuckend und verdrehe dabei über meine Ungeschicklichkeit die Augen.

Das war nicht einmal gelogen, da ich tatsächlich den Halt verloren habe. Mase sieht immer noch zweifelnd zu mir hoch und sucht in meinem Gesicht nach einer Lüge. Er weiß, dass ich ihm etwas verschweige – dafür kennt er mich einfach zu gut – aber er kann nicht sagen, was es ist. Um ihn von mir abzulenken, frage ich betont lässig: „Hattest du nicht eine Probe heute?"

Stuck In Your Head! *pausiert*Where stories live. Discover now