13.2. Heute (überarbeitet)

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Emma

 „Ich kann keine einzige weitere Seite lesen!"

Geistig völlig ausgelaugt, schiebe ich das Buch mit so viel Schwung von mir weg, dass es auf der anderen Seite des Couchtisches auf den Boden segelt. Es landet mit einem dumpfen Geräusch auf dem Teppich.

„Kann mich bitte jemand von meinem Elend erlösen?", seufze ich mitleiderregend und lasse meine Stirn auf die Tischplatte fallen.

„An dir ist echt eine Diva verloren gegangen."

Raven wirft eines der neuen Kissen nach mir, die ich ihr nach meinem kleinen Ausraster neulich ersetzen musste. Mein Leid scheint sie zu amüsieren und ich brumme beleidigt, was sie aber nur zum Kichern bringt. Von meiner Position am Boden aus, werfe ich ihr einen grimmigen Blick zu und gehe dann wieder zum mitleidheischenden Seufzen über.

„Wieso machst du nicht einfach eine Pause?", fragt meine kichernde Mitbewohnerin dann und steht von ihrem Platz auf der gigantischen Couch auf. Schon damals beim Einzug sagte ich ihr, dass das Ding den halben Raum einnehmen wird, aber sie wollte nicht hören. Aus diesem Grund besteht unser Wohnzimmer zu sechzig Prozent aus Sofa. Der Rest wird von Ravens kitschigen Deko-Kram überrannt. „Wir könnten einen Kaffee trinken gehen oder zum Strand fahren." Sie streckt ihren Rücken durch und blickt fragend auf mich herab.

„Ich kann nicht", stöhne ich frustriert und hebe meinen Kopf von der Tischplatte. „Diese Woche darf ich endlich ins Medienstudio und mein Professor will, dass wir ihm alle Geräte und Programme erklären, die wir benutzen wollen. Wenn ich also nicht erklären kann wie die Grafikprogramme funktionieren, darf ich nicht damit arbeiten."

„Aber du kennst dich doch mit den Programmen aus. Arbeitest du nicht schon ewig damit?"

„Ja ..." Wieder seufze ich genervt. „Damit zu arbeiten ist eine Sache, aber das ganze theoretisch zu erklären und dann auch noch die Fachbegriffe zu kennen? Das ist so langweilig!"

Raven verdreht die Augen. „Ich muss viel mehr Theorie lernen als du und siehst du mich am Boden hocken und jammern?"

„Also bitte!", rufe ich sarkastisch. „Wer kauerte denn letztes Semester mit einer Packung Ben & Jerrys auf dem Sofa und verfluchte alle theoretischen Wissenschaftler?"

Noch heute muss ich lachen, wenn ich daran denke, wie sie in ihrem Disney Pyjama auf der Couch lag und sich kiloweise Eiscreme in den Mund schob, während im Hintergrund die Greatest Hits aus sechzig Jahren Disneyfilmen liefen.

Anders als mein sehr praktisch orientiertes Studium, ist Raven mit Kommunikationswissenschaften sehr theoriebelastet. Sie möchte sich auf Public Relations spezialisieren und braucht dafür leider ein konkretes Theorie-Grundstudium.

„Das war am Ende des Semesters, die Prüfungen standen an. Das zählt also nicht", argumentiert Raven geschickt und geht in die Küche, um mich von weiteren Vorwürfen abzuhalten.

Wieder alleine, liefere ich mir ein Wettstarren mit dem dicken Wälzer am Boden und beschließe einfach, dass ich wirklich eine Pause brauche. Wenn ich noch ein Wort über Vektoren oder Ellipsen lese, dreht sich mein Kopf wie bei dem Mädchen im Film Der Exorzist.

Dann höre ich Raven in der Küche singen. Zuerst kann ich den Song nicht zuordnen, doch beim Refrain erkenne ich, dass es ein Song von Stuck In Your Head! ist und verspanne mich. Und zwar nicht aus dem Grund, weil Raven ums Verrecken nicht singen kann – ehrlich, das Mädchen könnten nicht einmal dann einen Ton treffen, wenn ihr Leben davon abhinge – sondern weil mich der Song daran erinnert, dass ich ihr immer noch nichts von Mason und den Jungs erzählt habe. Sie weiß mittlerweile, dass die zwei Rockstars am College aufgetaucht sind, so etwas lässt sich auch nicht lange geheim halten, aber von meiner Vergangenheit mit ihnen weiß sie noch nichts und langsam befürchte ich, dass ich den passenden Zeitpunkt für das Gespräch überschritten habe. Wenn ich ihr jetzt von ihnen erzähle, wird es immer so aussehen, als hätte ich es absichtlich verschwiegen und sie angelogen.

Stuck In Your Head! *pausiert*Where stories live. Discover now