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Ich atmete einmal tief die kühle Nachtluft ein und wieder aus. "Mama, Papa... Es tut mir leid, dass ich nie die Tochter war, die ihr euch vielleicht gewünscht hattet. Dass ich nicht so bin, wie ihr es euch vorstellt. Es tut mir leid, dass ich so bin wie ich bin. Auch, wenn ihr mich hasst, und ihr das wohl nie hören werdet und es euch wahrscheinlich egal ist, wenn ich von dieser beschissenen Brücke springe... Ich hab euch trotzdem lieb...", fing ich leise an zu sprechen, während mir langsam immer mehr Tränen über die Wangen liefen, doch ich versuchte stark zu bleiben und sprach weiter.

"Auch wenn ich dich nicht lange kenne... beziehungsweise bald gekannt habe... Ich habe dich wirklich in meine Herz geschlossen, selbst wenn man es jetzt vielleicht nicht glauben mag... Ich würde es dir ja gerne persönlich sagen, aber das geht nicht... Es tut mir so unendlich leid, dass du dich so mit mir herumquälen musstest, aber das musst du jetzt nicht mehr... Jetzt hast du wieder deine Ruhe von mir, und musst dir keine Gedanken mehr um jemanden wie mich machen... Ich will dir aber dennoch dafür danken, was du alles für mich getan hast..." Irgendwie komisch indirekt mit jemandem, aber in gewisser Weise doch mit sich selbst zu reden, aber wen kümmerts. Hier war sowieso niemand außer ich und die Stille der Nacht. Naja, so ganz still war es dann nun doch wieder nicht. Kam mir zumindest so vor. Aber wahrscheinlich bildete ich mir die Stimmen, die nach mir riefen, nur ein. Manchmal frage ich mich wirklich, was meine Kopf so ausspuckt, aber das brauch ich mich ja gleich nicht mehr fragen. Trotzdem kam es mir so vor, als würden die Stimmen in meinem Kopf immer näher kommen. Eine davon hörte sich irgendwie nach Wincent an. Wie absurd das eigentlich war. Er lag bei sich zu Hause im Bett, schläft, und hat wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, dass ich verschwunden bin, was auch so sein sollte.

Ganz langsam, fast schon in Zeitlupe, begann ich meine zweite Hand von dem eisernen Geländer zu lösen.

Ob es wohl stimmt, dass wenn man stirbt, sich das ganze Leben noch einmal vor den eigenen Augen abspielt? Musste ich dann wirklich alles nochmal mitansehen? Die Bilder die sich in den letzten Jahren schon tief in mein Gedächtnis festgesetzt hatten? Naja, und wenn schon... Ich konnte es ja sowieso nicht ändern. Ich war wirklich von mir selbst überrascht, dass mir alles mal so gleichgültig sein konnte. Hätte ich früher nie von mir gedacht. 

Schon wieder hatte ich das Gefühl, von irgendwo her, Stimmen zu hören, die noch immer nach mir zu rufen schienen. Jedoch klangen sie jetzt irgendwie viel verzweifelter. So kam es mir zumindest vor, aber das spielte sich ja eigentlich nur alles in meinem Hirn ab, also warum sollte ich mir darum Gedanken machen? 

Ich war nun so kurz davor, es wirklich zu tun. Mein scheiß Leben aufzugeben. Ich wollte und konnte es einfach nicht mehr leben. Ich schloss meine Augen und atmete ganz tief durch. 

Plötzlich hörte ich, wie jemand, es kam mir vor, als würde dieser jemand so gut wie neben mir stehen, ganz laut meinen Namen rief. Ich erschrack mich so sehr, dass ich vor Schreck zusammen fuhr und abrutschte.

Frische Luft || Wincent Weiss Where stories live. Discover now