Gefährliche Spuren

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Nun hatte Marianna Josephine Ramira Nathalia endlich den Mut gefasst einer winzigen Spur zu folgen und den zu stellen, der Menschen für eine Geschichte geopfert hatte. Dass dieses Ereignis, sie ihren Abschluss an der Epian Arts Akademie versaut hatte, war noch das geringere Problem. Die Wut im Bauch quälte sie, die Hilflosigkeit, mit der sie das alles hatte ansehen müssen.

Nun ragten die Berge vor ihr auf mit all ihren versteckten Tälern, abenteuerlichen Pässen und baufälligen Brücken. Doch anstatt die alte Kulisse wieder aufzusuchen, blieb sie mit ihrem solarbetriebenen Motorrad auf dem schmalen Trampelpfad, um noch vor Sonnenuntergang das nächstgelegene Dorf zu erreichen. Dort würde sie hoffentlich erste Hinweise finden, wenn die Spur nicht schon erkaltet und die Drahtzieher weitergezogen waren. Doch Majorana war zuversichtlich, da diese Leute irgendwo in den Dörfern bleiben mussten. Schließlich konnten sie nur hier ihre makabren Geschichten hochziehen, ohne sofort von Kopfgeldjägern oder der Polizei gefasst zu werden.

Beinahe hätte sie den provisorisch an einen Baum gezimmerten Wegweiser übersehen, der ihr verriet, dass die nächste Ansammlung an Häusern von einem Engländer mit der Fantasie eines Steins gegründet worden war. Es hieß nämlich „Little Village". Sie schüttelte den Kopf und gab wieder ordentlich Gas. Den Gleiter, der sie aus der Luft beobachtete, bemerkte sie nicht. Schließlich musste sie immer wieder Schlaglöchern ausweichen, die man bei Regen bequem als Badewanne hätte nutzen können. Irgendwer hatte sich kurz zuvor anscheinend durch das umliegende Gebüsch geschlagen, da überall Äste herumlagen, manche davon waren mit Farbe bekleckst, genauso wie die umstehenden Bäume. Hier hatte wohl ein epianischer Krieg stattgefunden.

Da auch in Epien Machtansprüche zu klären waren und sich nicht jeder Möchte-gern-Tyrann geistig duellieren wollte oder konnte, hatte man den Krieg mit Farbpfeilen/-gewehren erlaubt. Die junge Cyberpunkerin wurde langsamer. Man konnte ja nie wissen, ob nicht doch noch ein Kriegsopfer schreiend aus dem Busch gerannt kam.

Diesen Moment nutzte ein postierter Heckenschütze, um die Sehne zu spannen und auf den behelmten Kopf zu zielen. Majorana sah den Pfeil aus den Augenwinkeln heransaußen, spürte einen dumpfen Aufprall, der zwar nicht wehtat, sie jedoch für einen kurzen Moment die Kontrolle über die Maschine verlieren ließ, welche daraufhin in eines der Schlaglöcher donnerte und zur Seite kippte. Schreiend schlang sie die Arme um den Kopf, drückte sich ab, um nicht vom Motorrad zerquetscht zu werden und kullerte über den Weg. Eine Weile blieb sie mit geschlossenen Augen liegen, während sie versuchte ihren Puls wieder in die Schranken zu weißen. Jemand näherte sich und als sie wieder aufsah, stand ein grimmiger Typ in Schwarz vor ihr.

„Man, hast du sie noch alle?!", raunzte sie ihn an und versuchte vorsichtig aufzustehen. Ihre Seite tat ganz schön weh, aber gebrochen schien nichts zu sein. „Du bist verhaftet, im Namen des Grafen von Little Village!", kommandierte der Fremde und wollte sie hochreißen, doch Majorana schlug seinen Arm beiseite. „Ganz ruhig", knurrte sie und zog vorsichtig den Helm vom Kopf, „ich bin nur auf der Durchreise und habe mit euren Keilereien nichts zu tun. Und nein, ich bin auch kein Spion oder Waldgeist, um die nächste Frage zu beantworten."

„Ach?", fragte er plump und überlegte kurz, wie er weiter argumentieren sollte. „Du musst eine Hexe sein, sonst hättest du unmöglich meine Fragen vorausahnen können. Deshalb verhafte ich dich. Der Graf will dem schändlichen Treiben deinesgleichen endlich Einhalt gebieten." Er nestelte kurz an seinem Gürtel herum, um ein Langmesser aus der Scheide zu ziehen.

„Daraus schließe ich, dass der vorherige Herrscher das Ganze etwas lockerer gesehen hatte, bevor ihr ihm die Ländereien streitig gemacht habt", mutmaßte sie und spannte alle Muskeln, immer das Messer im Blick. „Allerdings habe ich mit eurer Geschichte nichts zu tun und das müsst ihr laut Gesetz so hinnehmen. Das mit dem Angriff vergesse ich ausnahmsweise."

Doch er machte keinerlei Anstalten, die Waffe wieder weg zu stecken. Stattdessen versuchte er sie am Haar zu packen und die Klinge an ihrer Kehle zu platzieren. Mit dem kurzen, blaufarbenen Strubbelkopf hatte er jedoch nicht gerechnet. Majorana konnte ausweichen und setzte ihrerseits zu einem Kinnhaken an, als plötzlich weitere Personen aus dem Gestrüpp hervorbrachen und sich an sie klammerten. „Habt ihr 'ne Macke?", kreischte die Gefangene, konnte sich aber nicht mehr herauswinden. „Ich habe euch gesagt, dass ich in dieser Geschichte nicht zur Verfügung stehe!"

Sie erntete nur niederträchtiges Grinsen, während man sie die Straße entlang schleifte. „Da befinden wir uns aber in einem Schlamassel. Du bist nämlich eine der tragischen Hauptfiguren..."

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