Ungewöhnliche Verbündete

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Skeptisch legte Ylaine den Kopf schief und traf einen wunden Punkt im Vorhaben: „Können wir ihnen trauen, den Faunen und Waldwesen?"

„Eher als den Dorfleuten", entgegnete er und nahm ihr das Fass ab, um den Federkiel einzutauchen. Auch ein neues Pergament zog er hervor, fuhr konzentriert mit dem anderen Ende des Schreibgerätes an seiner Nase entlang, während er die Worte zurechtlegte. Noch einmal strich er die überschüssige Tinte am Gefäßrand ab und begann mit schwungvoller Handschrift, die man seiner kantigen Gestalt gar nicht zugetraut hätte, ein Schreiben aufzusetzen. Eine Weile waren nur die gedämpften Gespräche der anderen Gäste und das stete Kratzen der Füllfeder zu hören. Dann legte Renoir die Feder weg, hob vorsichtig das Pergament an und blies die Tinte trocken, damit sie nicht verwischte, wenn er die Nachricht zusammenrollte. Er zog eine Stange roten Siegelwachses heran und hielt diese über die Kerze, bis ein paar Tropfen sich lösten. Hastig streifte er einen Ring von seinem Finger und drückte ihn auf.

Die Rolle händigte er Ylaine aus, die mit mildem Erstaunen das Wappen begutachtete. „Das ist aber nicht das Siegel der Kirche", bemerkte sie und wies auf das Abbild einer Feder, umkreist von zwei Elektronenringen.

„Gott mag mein Herr sein, aber das heißt nicht, dass ich ausschließlich seinen Dienern treu bin", erwiderte er nebulös. Er sammelte seine Papiere ein, verschloss das Tintenfass und erhob sich. „Am besten du brichst sofort auf. Ich habe eine gute Freundin um den Gefallen gebeten, dich zu einem Unterschlupf der Panen zu führen. Dort übergib das Schriftstück. Ich muss los", sprach er und ging mitsamt dem Papierkram hinaus.

Ylaine blieb mit offenem Mund zurück und ihr Blick huschte immer wieder abwechselnd zur Tür und zum Siegel. Tief im Inneren wusste sie, dass sie Renoirs Anweisungen letztendlich Folge leisten würde, aber diese Wendung war ihr nicht geheuer. Sie eilte in ihre Kammer, um selbst eine Nachricht nach Epizentrum zu senden, damit Ronen das seltsame Wappen überprüfen konnte. Doch anstatt auf die Taubenpost zu bauen, holte sie ein Handy hervor. Bei Dienstantritt hatte man sie beinahe dazu zwingen müssen, das Gerät mit sich zu führen. Welcher Gaukler, geschweige denn Zauberer hatte jemals etwas mit solchem Technikkram am Hut?

Trotzdem tippte sie einen kurzen Text ein und schickte ihn an den Computer der Sekretärin. Dann packte sie die wenigen Sachen zusammen, die sie bei der überstürzten Abreise aus Cruk eingesteckt hatte. Es kam ihr vor, als sei die Zeit an der Akademie schon lange Vergangenheit, eine unbedeutende Episode in einem Geschichtsbuch, doch es konnten erst einige Tage sein, die sie sich nun in den Walddörfern auf der Jagd nach einem Phantom herumtrieb.

Sie schaute aus dem Fenster, das den Blick zum Waldrand freigab und entdeckte einen Wolfshund, der im Gras lag. Manchmal rollte er herum, schnappte gelangweilt nach einem vorbeiflatternden Insekt. Er wartete und Ylaine konnte sich vorstellen auf wen. Seufzend verstaute sie ihre Jonglierbälle, einige davon in einer verborgenen Innentasche, da sie weitaus brisanteres Füllmaterial als die üblichen Graupen enthielt. Den Brief ließ sie in einem Gürtelbeutel verschwinden, den sie mit einem verzwickten Knoten verschloss. Übrig blieben eigentlich nur etwas Proviant, Kleidung zum Wechseln und einige Papierbögen und Kreide zum Schreiben, die sie in eine selbstgenähte Umhängetasche schob. Ihr Notfallmesser steckte wie gewohnt in der Scheide am Gürtel.

Mit behänden Sprüngen verließ sie die Gaststätte durchs Fenster, rutschte das schräge Dach hinab, kam auf der Wiese auf und rollte sich ab. Das Monstrum von Hund hatte sie schon lange bemerkt und trottete ihr gelassen entgegen. Doch als sie die Hand ausstreckte, um ihn zu streicheln, zog er kurz die Lefzen nach oben und gab ein Grollen von sich, das man nur als reserviert beschreiben konnte. Es klang irgendwie nach: „Ich bin ein Beschützer und kein Knuddelkläffer. Also halte bitte ein wenig Abstand, dann kommen wir prächtig miteinander klar." Sie zog die Finger zurück und das Tier schnüffelte kurz, bevor es sich umdrehte und gemütlich in Richtung Wald trottete.

Es gab keinen erkennbaren Pfad, sodass sich das Duo quer durch das Dickicht wühlen musste. Glücklicherweise hatte sie diesmal genug Zeit, die Äste beiseite zu schieben und nach Stolperfallen auf dem laubbedeckten Boden zu suchen. Weiter weg zwischen den Stämmen konnte sie hier und da einen Hirsch entdecken, ein anderes Mal huschte ein Hase an ihnen vorüber. Ganz leise, kaum zu hören durch das Rascheln im Unterholz, vernahm sie Musik.

Auch ihre Begleitung schien die Töne gehört zu haben, vermutlich schon viel früher als sie, wedelte freudig mit dem Schwanz und zischte los, als wäre ihr ein ganzer Bienenschwarm auf den Fersen. Notgedrungen presste Ylaine ihr Hab und Gut an sich, um hinterher zu spurten. Bald schon war das Tier jedoch außer Sichtweite und auch die Melodie war verklungen. Orientierungslos und wütend drehte sie sich auf der Suche nach einem Hinweis im Kreis. Sie vollendete die dritte Drehung, als vor ihrer Nase plötzlich eine breite, haarige Männerbrust auftauchte. Sie sprang zurück, zückte ihr Messer, doch ein anderer hielt ihre Handgelenke fest. „Beruhige dich!", donnerte jemand. Vor ihr stand tatsächlich ein Mann. Seine Hüfte war dankenswerterweise mit einem Lendenschurz bedeckt, der fast bis zu den fellbehaarten Knien reichte. „Faun!", schoss es ihr durch den Kopf.

FederlesenWhere stories live. Discover now