Wo die Fäden zusammenlaufen

59 8 3
                                    

„Es sollte um eine Gesellschaft gehen, die mittels moderner Technologie einen Teil ihrer Persönlichkeit loswerden kann. Von ungeliebten Ticks bis zu manischen Wutanfällen sollte nun alles heilbar sein. Die beiden Protagonisten wollten nun aber mit meiner Hilfe ihre abgeschriebenen Eigenschaften zurückholen.

Wie die meisten hier wissen, verlor sich unsere Expedition kurz hinter dem Eingang zur Totenwelt, in die uns unsere Suche führte, ungeplant aus den Augen. Kurze Zeit später tauchten sie wieder auf und behaupteten ihre verlorenen Teile gefunden zu haben. Dummerweise wären nun die Wächter der Unterwelt auf ihrer Spur, sodass sie sich hatten aufteilen müssen. Tatsächlich tauchten wenig später einige Mythenwesen auf und jagten uns durch die Gänge bis zu dem großen Zentralgewölbe, durch das einer der Flussarme des Shoshis oo floss. Mitten auf einem schmalen Übergang sahen wir zwei Gestalten angebunden auf einem Floß treibend. Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren. Etwas stimmte nicht. Die Fabelgestalten stoppten ihre Verfolgung und bemühten sich das Floß zu bergen, bevor es in die Stromschnellen geriet. Doch die Gestalten waren bereits tot, erschossen.

Sofort stürmten die Anwesenden in alle Richtungen, um vielleicht noch den Täter zu fangen. Ich dagegen begleitete eine Gruppe zu dem Erbauer dieser Unterwelt. Er bedauerte das alles zutiefst und suchte sofort die Überwachungskameras ab, erfolglos. Ich musste mich schließlich ohne Ergebnis verabschieden. Doch mein Gefühl verriet mir, dass es Verbindungen gab. Meine Protagonisten kamen aus einem Dorf, in dessen Nähe schon andere Morderzählungen geschahen. Auch die Toten wurden kurz vor meiner Prüfungsgeschichte dort gesehen, in einem Kerker. Ich fuhr also in die Waldsiedlungen, wurde von den Ehrlosen abgefangen und sah ihn wieder, den Unterwelterbauer. Er war der Inquisitor, der mich brennen ließ. Er quatschte davon, dass er mich eigentlich gerne in sein neues Paradies aufgenommen hätte, doch leider sei ich seinem Heilsplan in die Quere gekommen."

Zum Ende hin wurde Majoranas Stimme brüchig, beinahe unverständlich. Alles neigte sich in ihre Richtung, die Ohren gespitzt in angestrengter Stille verharrend. Erschöpft sank sie in ihrem Rollstuhl zusammen, wurde auf ein Zeichen hinausgeschoben. „Es passt", knurrte Renoir und richtete sich auf, die linke Hand ins Kissen gekrallt, die rechte auf dem Tisch zur Faust geballt. „Ich glaube diesen Trittbrettfahrer zu kennen, der sich so unverfroren meines Namens bedient. Es gab einen jungen Kollegen in der Priesterschule, die ich damals besuchte. Ein aufgeweckter Kerl, immer im Zweifel, verglich sich passenderweise ständig mit Martin Luther. Irgendwann bekam er sich mächtig mit dem Abt in die Wolle und stürmte mit einem „Was macht denn Gott gegen all diese Idioten? Irgendeiner muss doch mal aufräumen!" hinaus. Niemand wusste, was er von da an trieb, bis jetzt."

Ylaine nickte: „Etwas in die Richtung hat er auch in der Wallstadt erzählt, von seinem eigenen Paradies und dass jemand den Teufel aufhalten müsste, wenn Gott es schon nicht täte."

„Aber wie zum Henker soll es Frieden geben, wenn man die Menschen terrorisiert und ermordet? Und wie sind sie an ihre Opfer gekommen?", fragte der Bürgermeister von Cruk. Darauf konnte der Piratenkapitän eine plausible Erklärung geben: „Nun, meine Crew und ich unternehmen des Öfteren Fahrten in die reale Welt, um Überfahrtgeschichten für unsere Kontakte dort abzuwickeln." Nigel ließ ein unverständiges „Hä?" verlauten. Der Kapitän warf ihm einen finsteren Blick entgegen, rang sich aber zu einer Erklärung durch. „Es gibt in der realen Welt Anlaufpunkte für Menschen, die nach Zerun'a reisen wollen. Das kann alles Mögliche sein: Maklerbüros, Reiseanbieter aber auch Bars oder so andere verrückte Sachen. Es gibt eine öffentliche Toilette in Chicago, wo die Putzfrau als Kontakt fungiert. Diese Kontakte informieren über die Möglichkeiten, Regeln und das Leben auf dieser Insel und vermitteln Überfahrten unterschiedlichster Art. Henrike ist zum Beispiel durch Tashars Café „Runaway" hierhergekommen. Die Überfahrt organisierten wir, da Tashar bereits in sein Dorf zurückgekehrt war und sie erst später nachkommen wollte."

Ylaine mischte sich ein und fragte, ob das die Bedeutung des Federatoms wäre. Der Pirat schenkte ihr ein süffisantes Lächeln. Von Renoir und Henrike kam auch kein Kommentar. „Wenn ich jetzt fortfahren dürfte", knirschte der Kapitän. Allgemeines Nicken folgte. „Wie gesagt, sind wir im Überfahrtgeschäft tätig und natürlich tauscht man sich mit anderen Kollegen aus. Über einige Ecken kam mir eines Tages zu Ohren, dass einigen unserer Leute Angebote unterbreitet wurden für horrende Summen Fahrten zu machen. Alle abgesprochenen Treffpunkte befanden sich in der Nähe von Gefängnissen auf amerikanischem Boden."

Hier räusperte sich die Zeremonienmeisterin. „Tatsächlich fanden wir im Büro der Sekretärin Akten über Geschäfte, abgewickelt mit Gefängnisdirektoren etc. über die Überführung von Todeskandidaten nach Zerun'a. Auch von unserem Freund Nigel existiert ein Schriftstück. Unterschrieben haben sie und Telling, der echte."

„Ihr habt Mutters Büro durchwühlt?!", bemerkte Ronen mit säuerlichem Gesichtsausdruck. „Ja und zwar mit Recht", erwiderte die Zeremonienmeisterin unterkühlt. „Leider haben sie sich schon in Richtung Europa abgesetzt. Wo sie dann hinwollen, wissen wir auch nicht."

„Dann werden sie unseren zweiten Telling bestimmt schon gewarnt haben", seufzte Faust.

Die Pa-Tin erhob sich. „Und genau deshalb wird es Zeit einen Plan zu machen. Der Häuptling Anauka war so freundlich uns alle daran zu erinnern, dass Setzer damals einen Vertrag unterzeichnete, in dem er versprach, dass kein Unrecht auf dieser Insel Einzug erhalten darf. Wenn wir unser geliebtes Epien also nicht verlieren wollen, müssen wir zur Tat schreiten." Sie befahl allen, die nicht für den Plan gebraucht wurden, das Landhaus zu verlassen, damit neugierigen Ohren keine Chance zum Lauschen gegeben wurde.

Am Morgen brachen sie auf. Ylaine, Faust, Mephisto, Nigel, Ronen und Renoir verabschiedeten sich höflich von ihren Gastgebern und wandten sich gen Osten. Ein glänzender Geländewagen, dem Anschein nach gepanzert, wartete auf seinen Einsatz. Sie schauten einander an. Von den Epiern hatte niemand je zuvor ein Auto gefahren. Nigel öffnete kurzerhand die Fahrertür. Der Schlüssel steckte. „Kannst du damit umgehen?", fragte Renoir skeptisch, während der Amerikaner sich einrichtete und den Motor anspringen ließ. „Klar! Mein Dad hat mich immer seinen alten Ford auf 'nem Schrottplatz fahren lassen." Zweifelnd setzten sich die anderen ebenfalls in den Wagen; Ylaine vorne, wo es mehr Platz für die Beine gab. Ronen warf einen finsteren Blick auf Nigel, der schon seit einer Weile die ruppigen Gangsterattitüden abgelegt hatte und offensichtlich alles daran setzte, seine Grobheiten der vergangenen Wochen wettzumachen.

FederlesenWhere stories live. Discover now