Auf vertrautem Terrain?

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Mitten auf der Fahrrinne standen zwei Roboter, die offensichtlich zum Kämpfen gebaut worden waren. Einige Polizisten hatten den Bereich abgesperrt und scheuchten unbeteiligte Passanten davon. Zwischen den schwerfälligen Kolossen hüpften zwei Kinder aufeinander zu. „Wieso holen eure Kollegen die Knirpse da nicht weg?", fragte Nigel verwundert. „Das ist eine geführte Geschichte, die verfilmt wird. Ich hätte dran denken sollen...", brummte der Chef verdrießlich. Auf Nigels Bitte die Handlung zu erklären, verschluckte er sich zunächst und zeigte dem Gefangenen anschließend einen Vogel.

„Keine Ahnung, Mann. Wenn wir über alle Ereignisse in dieser Stadt oder allein in diesem Bezirk unterrichtet wären... Vergiss es. Wir erfahren höchsten von den Sachen, die das öffentliche Leben beeinträchtigen können. Die Details sollen die Erzähler klären. Solange alles mit rechten Dingen zugeht, müssen wir nicht mehr tun, als die rauszuhalten, die sich nicht beteiligen. Und das ist schon schwer genug, weil bei den meisten Geschichten auch Quereinsteiger nicht unüblich sind. Aber das solltest du eigentlich wissen..."

Der Polizist fixierte ihn misstrauisch, als wollte er seine Gedanken aufsaugen. Es war wohl besser erstmal die Klappe zu halten. Den Rest der Fahrt verbrachte er mit aufgerissenen Augen am Fenster.

Ylaine war ganz weit in den Hintergrund gerückt, denn hinter fast jeder Straßenecke wartete etwas anderes. Hinter der nächsten Kreuzung erlebte er ein buchstäbliches Weltwunder. Über einem riesigen Platz schwebte eine Plattform. Wendeltreppen und Rampen schraubten sich bei näherer Betrachtung hinauf und dicke Säulen, sowie schwere Drahtseile sicherten die Konstruktion. Zaubern konnte man hier also doch nicht, stellte Nigel fest und empfand eine gewisse Erleichterung.

Ein Vogelschwarm schwirrte umher. Schließlich bog der Wagen jedoch ab und andere Gebäude versperrten die Sicht. Kurze Zeit später hielten sie und die Tür wurde geöffnet. „Und jetzt raus hier Freundchen!" Der Beamte führte ihn filmreif ins Präsidium und bugsierte ihn in einen der typischen, altbekannten Verhörräume. Auf diesem Terrain kannte der Mann aus Amerika sich endlich mal wieder aus. Es kam darauf an ruhig zu bleiben und nicht zu viel zu verraten. Schwermütig dachte er an sein Leben in den USA...

Ehrlich gesagt, es war ein beschissenes Leben gewesen. Man hatte Glück, wenn man in der Bronx morgens an einem Stück und mit seinen Sachen - statt ohne, weil gestohlen - wieder aufwachte. Wer auch immer um eine Ecke bog, zog fast automatisch erst einmal den Kopf ein und tastete nach seinem Klappmesser, um verärgert festzustellen, dass irgendein Idiot es in der U-Bahn abgezockt hatte. Vielleicht war es auch gar nicht so schlimm, aber seine Eltern hatten ihm das positive Denken sicherlich nicht beigebracht. Wie also sollte er da eine andere Sicht auf die Dinge haben? Aber wenigstens hatte er da die Regeln gekannt.

Doch das alles schien lange her zu ein. Nun saß er also auf einem kleinen, unbequemen Plastikstuhl und schaute auf den obligatorischen Spiegel, von dem eigentlich jeder Volldepp wissen müsste, dass es tatsächlich ein Fenster war. Trotzdem gab es immer wieder Leute, die sich die Haare vor dem falschen Spiegel richteten. Die Polizisten hinter dem Glas mussten sich prächtig amüsieren. Zwei Gestalten kamen herein. Wahrscheinlich begann nun das obligatorische Guter-Cop-Böser-Cop-Spiel, spekulierte er. Wieder einmal vergaß er die epische Variable mit einzukalkulieren.

„Also, was ist passiert? Weder bei dir, noch bei deiner Begleiterin oder im Graben wurde eine Waffe gefunden. Ich gehe davon aus, dass ihr in eine verbotene Geschichte hineingeraten seid. Von Ylaine wissen wir, dass es nicht die erste Begegnung dieser Art war. Sie werden wir befragen, sobald sie wieder auf dem Damm ist."

„Sie hat überlebt?", platzte es heraus. Ob er erleichtert war, wusste er im Moment nicht, aber er bewunderte ihre Zähigkeit. Der zweite Cop nickte nur. Daraufhin herrschte diplomatisches Schweigen. Nach einer Weile kapierte Nigel, dass die zwei auf einen Bericht warteten und geriet allmählich ins Schwitzen.

Diese Masche war einfach nur fies.

Hätten sie angefangen zu bohren oder zu brüllen, wäre es ein Leichtes gewesen einfach nur Müll zu labern, da sie vermutlich nicht richtig zugehört hätten, aber diese pure Aufmerksamkeit machte wahnsinnig. Die Beamten verstanden ihren Job und bewiesen eine überaus stoische Geduld, also musste er sich aufs Glatteis begeben. „Meine kriminelle Vergangenheit kann ich auf keinen Fall preisgeben!", dachte er, während zwei Augenpaare auf ihm ruhten. Sie schienen Worte aufsaugen zu wollen, wie schwarze Löcher die Materie.

„Ich wurde eines Tages einfach aus meiner Unterkunft in einen Wagen gezerrt. Ich habe weder gesehen wer es war, noch wusste ich wo es hinging."

„Normalerweise werden Leute nicht einfach entführt", unterbrach einer.

„Keine Ahnung, fragt mich nicht. Es müssen diese Kriminellen gewesen sein, hinter denen auch Ylaine her war, verdammt. Ich bin in einem Dorf gelandet. Keine Ahnung was dazwischen gewesen ist. Haben mir wohl irgendwas gegeben, diese Wi-"

„Tscht", machten beide gleichzeitig. Sie hielten wohl nicht viel von Flüchen. Nun ja... Weiter im Text. Jetzt wurde es kniffelig.

Wie viel wussten die Bullen über die Opfer der merkwürdigen Menschenschmuggler, wen sie auswählten und nach welchen Kriterien? Doch die zwei Clowns dachten gar nicht daran irgendetwas über ihren Wissensstand preiszugeben. Nigel taktierte und beschloss sein Erwachen nach der Entführung ein wenig nach hinten zu verschieben. Eigentlich hatte es nie irgendwelche Betäubungsmittel gegeben, aber in diesem Fall war es angebracht, so zu tun.

„Ehrlich gesagt, ich bin mitten im Chaos erst so richtig zu mir gekommen und dann saß ich bereits hinter Ylaine auf dem Rücken eines Pferdes. Auf der Flucht sind wir dann in diesen dämlichen Graben gefallen. Das war es auch schon so weit."

Die Polizisten wechselten einige Blicke.

„Interessant", kommentierte einer und seufzte theatralisch, während der zweite bedauernd den Kopf schüttelte und den Satz weiterführte: „Aber du hast was ausgelassen. Ylaines Verletzungen sind zwischendurch behandelt worden und zwar ziemlich gut. Allerdings haben sie sich trotzdem entzündet. Sie hätte Bettruhe gebraucht um wieder zu Kräften zu kommen... Also, wo seid ihr zwischendurch gewesen?" Da sie nicht locker ließen, musste er ihnen noch ein wenig mehr erzählen. Er berichtete von der Begegnung mit einer Ärztin in einem zerstörten Dorf.

Kurze Zeit später saß Nigel in einer relativ komfortablen Zelle und wartete. Es würde noch Tage dauern bis Ylaine vernehmungsfähig war und wenn sie dann die ganze Wahrheit erzählte, war er bestimmt geliefert. Sie würden ihn zurückschicken und den zuständigen Behörden ausliefern. Doch er wollte auf keinen Fall in diese Zelle zurück, in der er viel zu lange gesessen hatte, bis er irgendwann jede verdammte Macke in jeder einzelnen besch... Wand kannte, ganz zu schweigen von der Angst vor dem Tag X.

FederlesenTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon