Verräterisches Haar

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Am anderen Ufer begann sofort das Dorf. Es standen sogar schon wieder einige Kunden Schlange, die alle das Sprüchlein aufsagten, um gegen kleines Entgelt, das natürlich auch die zwei berappen mussten, von dem Alten über den Fluss gebracht zu werden.

Auf der anderen Seite hatte man in Erwartung des hohen Besuchs bereits Vorkehrungen getroffen. Da die Nachrichten, wie schon erwähnt, in dieser Gegend eher selten die Dörfer erreichten, waren die Bewohner regelrecht ausgehungert und wenn es etwas Neues gab, dann wusste es bald jeder. An Inkognito war nun nicht mehr zu denken. Bestimmt kannte jemand den Grund für ihre Anwesenheit und verbreitete sein Wissen flüsternd, hinter vorgehaltener Hand. Man verbeugte sich vor dem Sohn der Sekretärin, beäugte Ylaine skeptisch, die beinahe wie eine von ihnen aussah aber in ihrer ganzen Art vollkommen fremd war. Ein kleines Mädchen fragte ihre Mutter lautstark, ob die Frau mit dem langen orangefarbenen Zopf eine Hexe sei oder der Schutzgeist des Mannes. Ein anderer vermutete, dass ihr Haar selbst ein magisches Wesen sei, ein Familiar, den sie befehligte. Die Menschen waren verunsichert, soviel stand fest.

Ein etwas rundlicher Mann in Würdentracht kam mit ausgebreiteten Armen auf Ronen zu und begrüßte ihn mit untertäniger Herzlichkeit: „Mylord, es ist mir eine Ehre, Sie in unserem bescheidenen Dorf begrüßen zu dürfen. Ich hoffe doch, dass Sie und ihre Gefährtin", er nickte ihr hastig zu, lächelte ein wenig gequält und sprach weiter, „eine Weile bei uns bleiben werden. Für Sie ist das beste Zimmer in unserem kleinen Gasthof reserviert!"

Anscheinend war man über Ylaines Anwesenheit nicht gerade erbaut. Sie beschloss erst einmal abzuwarten, bevor sie irgendeinen kulturellen Kleinkrieg lostrat. Das Dorf glich eins zu eins den touristischen Vorstellungen einer mittelalterlichen Siedlung, samt menschlichem und tierischem Inventar. Nur die Frauen mit ihren Kurzhaarfrisuren störten den Eindruck und langsam konnte sie sich einen Reim auf die unterschwellige Abneigung machen, die man ihr zweifellos, wenn auch mit höflicher Zurückhaltung, entgegenbrachte. Die Nixen im Fluss hatten allesamt die Haare lang getragen, auch die Männer. Offensichtlich dichtete man ihr aufgrund des Zopfes die Zugehörigkeit zur Gattung der Sagengestalten an.

Seufzend folgte sie den beiden Männern und hielt Ausschau nach dem vereinbarten Treffpunkt „Zum smakje Matjes". Doch noch bevor sie die Kneipe entdecken konnte, kam eine aufgeregte Frau auf das Trio zu, bedachte sie mit einem abwehrenden Blick und schlug zuallererst ein Kreuzzeichen zum Schutz. Dem Bürgermeister flüsterte sie etwas zu. Der nickte und rieb sich nervös die Hände. Daraufhin stieß die Botin einen erleichterten Stoßseufzer aus, knickste, drehte sich um und kehrte wie von wilden Höllenhunden gejagt dahin zurück, woher sie zuvor gekommen war.

Sie schlenderten die Hauptstraße entlang, die mit Marktständen zugebaut war, dass nicht einmal dann ein Auto hindurch gekommen wäre, wenn die Schlaglöcher nicht gewesen wären. Die Verkäufer packten für den Tag bereits zusammen, warfen der Gruppe einen hastigen Blick zu und verschwanden in die eng aneinander geduckten, mit Reet gedeckten, zweistöckigen Fachwerkhäuser. Ylaine beschloss sich vor Beginn ihrer Mission eine Kopfbedeckung zu besorgen und fragte sich, ob sie Ronen um Geld bitten konnte, als die gesuchte Kneipe plötzlich auftauchte.

„Da entlang, bitte", dirigierte der Bürgermeister, der sich allerdings in einer ganz anderen Richtung umsah. „Aber vielleicht wollt ihr euch zuerst das Dorf noch ein wenig ansehen", bot er an. „Sicher bleibt ihr nicht allzu lange und es gibt wirklich einige schöne Plätze hier, auch für eure Begleiterin."

„Da bin ich mir sicher, aber wir sind müde von der Reise und würden uns gerne ein wenig ausruhen."

Das Getrappel mehrerer Füße, die im Gleichschritt über die Straße marschierten, war durch das halbe Dorf zu hören. Neugierig wurden Köpfe aus dem Fenster gestreckt, als ein halbes Dutzend Wachmänner vor den Neuankömmlingen stehen blieb und in Richtung Bürgermeister salutierte. Zwei brachen anschließend aus den Reihen aus und flankierten Ylaine, der bereits Böses schwante. Ihre Hand wanderte zum Messer, das unter ihrem Oberteil verborgen lag. Die andere tastete nach einer speziellen Sorte Jonglierbälle, die sie selbst genäht und gefüllt hatte, jeden mit einer Spezialmischung. Doch Ronen schüttelte den Kopf und bedeutete ihr zunächst abzuwarten. Der Hauptmann hielt indes eine kurze, ruppige Ansprache.

„Die daaker Armee begrüßt Sie recht herzlich als Ehrengast in unserem bescheidenen Dorf und entbietet hiermit ihren Gruß. Meister Ronen, wir bitten Euch um die Erlaubnis, Eure Begleiterin von etwaigen bösen Einflüssen zu befreien und ihr den Segen der Kirche zukommen zu lassen."

„Nun, da müsst Ihr sie selbst fragen. Wenn es die Tradition gebietet, wird sie bestimmt nichts dagegen haben. Sollte allerdings dann nicht auch ich diesen Maßnahmen beiwohnen? Schließlich bin ich genauso fremd wie sie."

„Das wird nicht nötig sein", erwiderte er mit einem knappen Blick auf Ronens kurzes Haar.

„Hören Sie, wir sind in wichtigen Angelegenheiten unterwegs, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen."

Doch Ylaine unterbrach seine Argumentation und nahm ihn kurz beiseite.

„Wie oft hast du schon an einer Geschichte teilgenommen?", fragte sie und nickte wissend, als er mit den Schultern zuckte. Allzu viele konnten es nicht gewesen sein.

„Ich werde mit ihnen gehen, so ist das hier nun einmal und wenn mir nicht gefällt, was vor sich geht, verlasse ich den Ort und du kannst den Inquisitor über meinen Verbleib informieren. So einfach ist das. Ich bin nichts weiter als eine Gauklerin, die einen magischen Daumen hat, wenn man so will. Und als solche kann ich mir weder groben Ungehorsam noch eine Zwangsbehandlung im Kloster, oder was auch immer im schlimmsten Fall passieren würde, leisten."

Obwohl er nicht wirklich glücklich mit der Lösung zu sein schien, gab er klein bei – jedoch nicht ohne den Wachen einzuschärfen, dass Schreckliches auf sie zukäme, falls Ylaine nicht wohlbehalten wieder bei ihm landen würde. Auch das versprach man natürlich hoch und heilig, während man sie in ihre Mitte nahm und zu einer Dorfkirche am Rande des Ortes führte.

Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr auf. Das Gebäude aus roten Ziegeln, mit dem pittoresken Glockenturm, an dem ein filigranes Uhrwerk die Zeit maß, war an sich hübsch anzusehen. Das Unheimliche lag eher an der etwas abseitigen Lage und dem von Hecken umzäunten Grundstück, das von außen kaum einzusehen war. Außerdem wusste sie von keinem Gotteshaus, vor dem Garden postiert waren, außer vielleicht dem römischen Vatikan. Sicher war sie nicht die einzige langhaarige Besucherin in dem kleinen Dorf, das gewissermaßen als Tor zur Waldsiedlungswelt angesehen wurde. Hier gingen zwar nicht täglich aber doch in regelmäßigen Abständen die merkwürdigsten Gestalten ein und aus, sogar die Nixen duldete man zumindest in der Nähe. Dass sie von den Einwohnern beäugt wurde, war kein großes Drama. Was für einen Grund hatte also der übertriebene Sicherheitsaufwand bei ihr? Ihr Verdacht, dass jemand Bescheid wusste über ihr Vorhaben und ihr möglichst unauffällige Steine in den Weg legen wollte, erhärtete sich. Vielleicht konnte sie aber bei dieser Gelegenheit bereits etwas aufschnappen, wenn die Sorgen der Sekretärin berechtigt waren.

FederlesenWhere stories live. Discover now