Spiel nach den Regeln 2

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Nicht mehr und nicht weniger wusste ein jeder hier. Auch die meterhohe Rauchsäule war niemandem verborgen geblieben. „Sagt, Eure Exzellenz", ertönte es von der Türe her, „Ist dies nicht vielleicht der Dämon, der für das Unglück im Nachbardorf verantwortlich ist?"

Renoir und Ylaine hielten inne. Sie kam auf die Füße. Der Inquisitor ließ die Hand sinken, schien um einige Zentimeter zu schrumpfen.

„Du sprichst einen schweren Verdacht aus, Bursche", sprach er in leisem Ton, doch der Redner ließ sich nicht beirren. „Vielleicht hat sie einen Zauber gewirkt, der sie gegen eine Unschuldige austauscht, die für das Biest brennen musste!"

Ylaine spürte, wie die Hitze in ihr anstieg und die Galle hochkam, als sie begriff was man ihr gerade vorgeworfen hatte. Sie sollte eine gute Kameradin verraten haben? Sie, die sich beinahe selbst verbrannt hätte, um Majorana zu befreien, sollte schuld sein. Doch nicht nur das! Dieser Hanswurst unterstellte ihr zu dieser Verbrecherbande zu gehören, die die höchsten Statuten Epiens mit Füßen trat und über Leichen ging. „Du wagst es", schrie sie, wollte nach vorne stürzen, die Hände bereits zur Faust geballt.

„Halte ein!" Sie prallte gegen Renoirs ausgestreckten Arm, der sich nun schützend vor ihr aufbaute.

„Urteile nicht vorschnell. Ich habe dieses Wesen gebannt und so manche Schuld in ihm gefunden..."

Fing er jetzt auch noch an? Hatte die ganze Welt sich plötzlich gegen sie verschworen oder gehörte dieser Schweinepriester etwa zu denen? Ein Blick auf die verbundenen Hände und ihr wurde bewusst, dass sie genauso unfair war, wie der Typ an der Tür.

„...aber diese hat es nicht auf sich geladen."

Trotzdem drängte ein Trupp von draußen herein. Es handelte sich um einen waschechten Mob, ein gefährliches Phänomen, das zu unkontrollierter Gewalt neigte. Dieser war allerdings von mickriger Größe. Kalter Stahl blitzte hinterlistig auf. Die Gäste in der Kneipe hatten schnell ihre Gläser geleert, die Zeche gezahlt und stahlen sich zur Hintertür hinaus. Der Wirt griff unter den Tresen. Auch seine Frau erschien neben ihm, mit dem Gesichtsausdruck einer überaus herrischen Furie, die sich noch galant zurückhielt. Als der Anführer ein Messer zückte und einen Schritt tat, war sie mit einem Satz über den Tresen hinweggeklettert, baute sich vor ihm auf und schien ihn weit zu überragen, obwohl ihre Haare gerade mal die Nase des Mannes kitzelten. „Nicht in meinem Lokal, Bürschlein! Wenn ihr euch nicht sofort beruhigt, hagelt 's eine deftige Tracht Prügel, dass der Herr Pfaffe für meine Beichte Überstunden machen muss, das verspreche ich euch." Die Ansage nahm vorerst allen den Wind aus den Segeln.

„Dann soll er beweisen, dass sie keine Gefahr darstellt", ereiferte sich der Unruhestifter weiter.

Unsicher schaute Ylaine auf Renoirs Hinterkopf. Er drehte sich zu ihr um und flüsterte. „Vertraust du mir?" Sie nickte zögerlich. „Du wirst meine Befehle exakt befolgen?", hakte er nach. Wieder die gleiche Kopfbewegung. „Dann bleib exakt so stehen, wie du bist!" Renoir wirbelte herum, kam mit großen Schritten auf die Truppe zu, nahm den beiden nächstbesten Burschen die Waffen ab. Eine warf er Ylaine vor die Füße. Sollte sie sie aufheben? Er fixierte sie mahnend. Sie rührte keinen Finger. Langsam drehte er sich um, hob das zweite Messer und richtete die Klinge auf sie. Ganz bedächtig trat er einen Schritt vor, dann noch einen und strebte immer entschlossener in ihre Richtung. Panik stieg auf, als er zum Stoß ausholte. Er wollte sie treffen! Kurz dachte sie an das Messer zu ihren Füßen.

Vertraust du mir?

Er hatte Majorana aus den Flammen befreit und ihr in der Kirche aus der Klemme geholfen.

Dann bleib exakt so stehen, wie du bist!

Er zielte auf das Herz.

Angst überwältigte sie.

Sie spürte den Luftzug.

Die Beine gaben nach und sie kniff die Augen zusammen.

Die Klinge fuhr nieder.

Eine Hand griff nach ihr.

Renoir hatte kurz vor ihr innegehalten und trat zur Seite, damit die anderen sehen konnten.

„Seht ihr? Sie konnte mich nicht einmal abwehren." Mit einer verächtlichen Geste warf er das Messer weg und klopfte der zittrigen Ylaine auf die Schulter. „Das. War. Fies!", zischte sie und machte sich von seinem Griff los.

Doch man gab sich nicht zufrieden: „Und wenn sie Euren Geist kontrolliert?"

„Was für ein ausgemachter Unsinn. Ihr Krawallbrüder sucht nur mal wieder einen Grund, um heftig auf den Putz zu hauen", fauchte die Wirtin, die sichtlich die Graupen dick hatte. „Verschwindet jetzt oder ihr werdet Zeit eures Lebens keinen Fuß mehr in diese Stube setzen!", bellte ihr Mann und hieb einen schweren Humpen auf den Tisch, dass das Holz vibrierte.

So weit war es mit dem Wagemut der Bande nicht her, dass sie lebenslanges Lokalverbot riskierten. Geifernd und schimpfend zogen sie ab, lärmten noch durch die Straßen. Endlich kehrte wieder Ruhe ein.

FederlesenWhere stories live. Discover now