Spiel nach den Regeln

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Als sie am nächsten Morgen aufwachte, schlugen ihr die Ereignisse mit voller Wucht entgegen und zwar weit unter die mentale Gürtellinie. Mit einem Mal war jede Energie, die sie über Nacht getankt hatte, dahin. Immerhin waren sie dicht dran gewesen, nur einen Hauch zu langsam...

Während Ylaine sich anzog, versuchte sie sich an das Aussehen des Mannes zu erinnern, dessen Spur sie im Wald verloren hatte, doch es gelang ihr nicht.

Inzwischen mühte sie sich mit ihrem Haar ab, das sich partout nicht zu einer Frisur arrangieren lassen wollte, die ohne größere Schwierigkeiten unter ihre Kappe passte. Endlich war auch die letzte Strähne sicher verstaut und sie konnte sich hinunter wagen.

Im Schankraum saß bereits Renoir über einem Papierstapel, der den gesamten Tisch einnahm. Manchmal schaute der Mundschenk griesgrämig auf das Durcheinander. „Ihm passt es nicht, dass ich Sitzplätze potentieller Kunden belagere. Dabei verdient er an uns mehr, als sonst im ganzen Jahr, dieser Trotzkopf", lästerte der Inquisitor und räumte eine Ecke frei, an der Ylaine müde lächelnd Platz nahm. „Eigentlich müsstet Ihr Euch selbst richten. Lästern ist auch eine Sünde", witzelte sie pflichtbewusst.

Die Retourkutsche kam prompt: „Wer unschuldig ist, werfe den ersten Stein."

„Kein Wunder, dass hier noch so viele Ketzer herumhocken. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."

Plötzlich sprang der Inquisitor auf, die Hand zu einer drohenden Geste erhoben.

„Pass auf kleiner Teufel, ich bin immer noch ein Gottesmann. Ich mag es bei weitem nicht so streng nehmen mit den Regeln der Kirche, aber von einer ruchlosen Sündenschleuder lasse ich mir nichts vorwerfen!", donnerte er mit einer überraschend finsteren Stimme. Ylaine schwieg. Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Erst als er ihr ein unwirsches „In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti" entgegenschleuderte, als gäbe er ihr eine Ohrfeige, bemerkte sie den Fehler, den sie begangen hatte.

Solange sie in den Dörfern weilte, war sie nicht die geheimnisvolle Gauklerin, die ihre Späße treiben konnte. Renoir hatte ihr in der Kirche eine andere Rolle zugewiesen, die sie spielen musste. Ihr Magen zog sich zusammen. Aus war es vorerst mit dem freien Leben, mit Geschichten und Abenteuern. Sie hatte ihre Identität aufgegeben, um einer Verschwörung auf die Schliche zu kommen. Aber was würde ein geknechteter Dämon nun an ihrer Stelle tun?

Während Renoir fortfuhr, krümmte sie sich, rutschte von ihrem Stuhl herunter und wand sich, als schlüge man sie mit glühenden Eisen. „Bitte aufhören, Meister! Gnade!", winselte sie und kam sich dabei schäbig vor. Trotzdem kroch sie dem Inquisitor zu Füßen und heulte herzzerreißend, bis ihre Stimmbänder zu versagen drohten.

Der Wirt und sämtliche Gäste wandten die Köpfe. Neugierige Passanten, die ihr Kreischen wohl schon auf der Straße hörten, kamen herein oder schauten durchs Fenster. Niemand schritt ein. Man gaffte und bestellte sich noch ein Bier. Wie lange wollte Renoir das Spiel denn noch treiben? Als der Priester sich wieder gesetzt hatte, wandten sich die Gäste fast enttäuscht wieder ihren eigenen Gesprächen zu.

Ylaine schauderte. Filet den Daak wurde ihr zunehmend unheimlicher, vor allem weil die Fäden dieses Morderzählers offenbar auch bis hierher reichten. Wie viel wusste der Dorfvorsteher und welche Schlüsse zog man aus den gestrigen Ereignissen? Nicht unwahrscheinlich, dass der ein oder andere hier allzu voreilige Schlüsse ziehen mochte...


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Ein kurzes Grußwort,

vielen Dank an euch, dass ihr die Geschichte verfolgt und für die ersten lieben Kommentare! Ich hoffe, die kommenden Teile bereiten euch weiterhin Lesefreude.

Liebe Grüße, Redbandninja

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