Vater und Sohn

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Simons Reaktion auf meine Heimkehr war verhaltener als sonst, wenn ich von einer Reise im weiteren Umfeld heimkehrte. Er fragte mich aus, wie das Studium gewesen sei, ob ich jemanden getroffen hätte. Er verfolgte mich regelrecht, scharwenzelte ständig um mich herum und beäugte jeden Besuch, den ich empfing. Meinen lockeren Draht zu den Waldbewohnern haben Sie bestimmt schon erkannt. Simon war bei weitem nicht so offen, klammerte sich an die Ordensregeln wie an eine wankende Leiter. Geduldig ertrug ich seine Nachstellungen, bis er eines Tages nach den Beichten einiger Waldbewohner fragte. Da blies ich ihm gehörig den Marsch und glaubte, die Sache wäre mit diesem reinigenden Donnerwetter aus der Welt geschafft. Offensichtlich lag ich falsch. Er stoppte seine Verhörattacken, weil er damit nicht weiterkam. Stattdessen beschattete er mich, was ich zunächst nicht bemerkte.

Ich war auch zu beschäftigt. Mein abgeschlossenes Medizinstudium bescherte mir einiges an Arbeit. Oft war ich tagelang unterwegs. Meine weiteste Reise führte mich zu einem beschaulichen Städtchen auf einem bei Flut unzugänglichem Eiland, wo damals Vren wohnte. Sie befand sich mitten in einem wichtigen Schachturnier, hatte deshalb eine Grippe verschleppt.Es muss kurz nach meinem Kontrollbesuch bei dieser besonderen Patientin gewesen sein, als sich Ihre Mütter Emmy und Roonka mit einer Bitte an mich wandten. Sie wünschten sich ein Kind."

Renoir hält inne, betrachtet mich bedeutungsschwanger. Wahrscheinlich möchte er wissen, wie ich diese erstaunliche Nachricht verdaue. Tatsächlich fällt mir ein rauer Stein vom Herzen, denn insgeheim hatte sich meine Fantasie schon längst verselbstständigt. „In Ordnung", flüstere ich tief durchatmend, „was geschah weiter?"

Ich bat mir Bedenkzeit aus. Emmy versicherte lächelnd, dass ich mein Gelübde nicht würde brechen müssen und übergab mir die Broschüre zum Thema Samenspende. „Wer von euch will...?" „Emmy, die hat beim Knobeln gewonnen", antwortete Roonka etwas zerknirscht. Sie können sich vorstellen, dass ich mit dieser Antwort nicht unbedingt gerechnet hatte. Aber andererseits, warum nicht? Eines interessierte mich trotzdem brennend. „Warum habt ihr euch für mich entschieden?"

Uns gefällt deine Nase. Außerdem fühlt es sich bei dir besser an. Du hast ein Gelübde abgelegt. Wir hatten ein wenig Angst, dass andere Männer unsere Bitte als Einladung missverstehen würden."

Ich brummte zustimmend, schwenkte noch einmal gedankenverhangen das Pamphlet. Eine vage Beklemmung stieg in mir auf, als ich das Paar beobachtete, das Hand in Hand im Wald verschwand. Den Rest des Tages verbrachte ich in stillem Gebet in meiner Kammer. Sie merken, ich habe es mir mit Ihrer Zeugung nicht leicht gemacht. Zur verabredeten Zeit wartete ich. Es war Roonka, die leichtfüßig in weitem Umhang heraneilte. „Und, wie hast du dich entschieden? Es ist soweit alles vorbereitet. Jetzt hängt es an dir." Ich zögerte kurz, nickte dann. „Ich bin einverstanden." Roonka jubelte. Mit einem Kuss auf die Wange bedankte sie sich und stürmte, mich an der Hand gepackt davon.

Die Details der darauffolgenden Prozeduren erspare ich Ihnen.Dass wir bei unserem Treffen einen heimlichen Beobachter hatten, der das Ganze in den falschen Hals bekam, erfuhr ich selbst erst vor Kurzem. Ich weiß nicht, was dann passierte. Wochen später forderte Simon auf jeden Fall meine Exkommunizierung, doch die Brüder standen zu mir. Stattdessen verließ Simon uns und verschwand. Ich schickte eine Warnung an Ihre Eltern. Wir hielten Kontakt über Brieftauben, wenn Sie die Briefe lesen wollen, zeige ich sie Ihnen gerne. Doch kurz vor Ihrer Geburt brach der Austausch ab. Ich kann nur vermuten, dass Simon sie gefunden hat. Vielleicht wollte er mich irgendwann mit Ihnen erpressen, Sie als Beweis für meine Verfehlungen verwenden oder durch Sie seine Rache vollenden. Ich wusste nicht, ob Sie lebten, konnte keine Spur finden. Ich gab auf und Jahre vergingen. Und dann setzten die ersten Telling-Aktionen ein. Man berief mich zum Inquisitor, wohl wegen meiner Verbindungen zur Waldwelt und weil ich so viel herumgekommen bin. Ich sammelte Puzzleteil um Puzzleteil. Unzählige Fährten führten mich zu Tellings Opfern. Und diese Geschichte kennen Sie ja."

Mit einem Kopfnicken zu den Akten und der Festplatte auf dem Fenstertisch beendet er seinen Bericht. Eine sanfte, chaotische Wolke breitet sich in mir aus. „Haben meine Eltern je meinen Namen erwähnt?"

„Tut mir Leid."

Keine Ahnung, woher die Idee kommt, aber ich finde sie stilvoll. „Dann werde ich weiter Balg heißen. Und glauben Sie mir, ich werde den Namen tragen, als sei er ein Ehrentitel." Renoir legt mir die Hand auf die Schulter. Er spielt mit irgendeinem Gedanken. Unschlüssig zieht er die Nase kraus.

„Wenn Sie wollen -"

„Sollten Vater und Kind sich nicht duzen?" Diese höfliche Ansprache ist so steril, abweisend. Abweisung habe ich bei weitem genug erfahren.

„Gerne. Thomás ist mein Vorname. Also, wenn du willst", druckst er, „kann ich dich taufen."

„Ich, vielleicht später. Ich weiß noch nicht, ob mir deine Religion gefällt." Renoir belässt es dankenswerterweise dabei. „Du bist immer willkommen, mein Kind." Er verabschiedet sich etwas steif aber freundlich. Ich werfe noch einen Blick auf die Unterlagen und überlege, was ich machen möchte. Plötzlich ist das Leben kompliziert, voller Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen. Erschöpft schließe ich die Augen. Meine Gedanken hängen immer noch bei der Geschichte über meine Eltern. Thomás Renoir ist ein netter Kerl, er hat alles versucht und ich will ihm glauben. Aber um ehrlich zu sein, habe ich schon zu viele Lügen gesehen, die als Wahrheiten versklavt und verkauft wurden. Beweise, am Ende fehlen immer die Beweise.

Am nächsten Morgen steht mein Entschluss. Sobald ich wieder auf den Beinen bin, ziehe ich los und suche selbst. Ich werde in die Welt hinausziehen wie die Gralsritter und mein Geheimnis jagen.

Vorsichtig, damit die frischgenähte Wunde mir keine Stiche versetzt, nehme ich mein Frühstück ein, das eine junge Pflegerin mir bringt. Etwas ungelenk plaudere ich mit ihr, genieße die Worte, die mich umschwirren und ohne grollende Hintergedanken mein Gehirn erreichen. Leider muss sie schon wieder zum nächsten Raum. Einer feierlichen Zeremonie folgend, verspeise ich mein Brötchen, nehme nach jedem zweiten Bissen einen Schluck Kaffee mit viel Milch. Leider spiegelt sich im Heißgetränk ein Lichtschein, der flüchtig Meister Simons Antlitz annimmt. Die Bibel holt mich ein, zerrt Fetzen des gewissen Gebots hervor und Erinnerungen an Nigel. Und dann ist da noch Ronen. Was wohl in ihm vorgegangen ist? Ob ihn das Gewissen genauso am Hals gewürgt hat? Zur Ablenkung schalte ich den Fernseher ein, doch das Thema Nummer 1 frisst sich durch sämtliche Kanäle.


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