Kapitel 20

108 14 8
                                    

Delian überwand die letzten paar Meter bis zum ersten Schuttberg kriechend. Er versuchte sich so langsam wie möglich zu bewegen, um bloß keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, er vermutete hinter jeder Ecke einen Räuber.

Die Stadt war von Sand überschüttet - von der Wüste verschlungen. Als Delian einen weiteren Schritt nach vorne wagte, knarrte eine Scherbe unter seinen Füßen und er blieb auf der Stelle in einer Starre stehen. Der Blauhaarige lauschte nach Geräuschen aus seiner Umwelt - sein Herz schien seine Brust sprengen zu wollen. Doch er vernahm keinen Ton. Noch immer loderten die Lichter von Flammen an den Wänden und spiegelten sich in den zersprungenen Fenstern der Wolkenkratzer.

Delian schlich in den Schatten zweier Gebäude und lugte vorsichtig um die nächste Ecke. Es war eine leichtsinnige Idee gewesen hier her zu kommen, trotzdem hätte er auch bei Vaith nichts ausrichten können. Letzten Endes war es ihm egal, wo er starb, aber hier könnte er zumindest eventuell noch etwas bewirken.

Aus der Entfernung vernahm er dumpfe, tiefe Stimmen. Alarmiert duckte er sich hinter den Schatten eines alten, durchlöcherten Müllcontainers und umklammerte seine Sichel mit aller Kraft. Sein Arm fing an zu zittern und seine vor Trockenheit aufgeplatzten Handknöchel liefen weiß an. Die Stimmen kamen näher. Sie unterhielten sich über Dinge, die Delian nicht verstand, aber sie lachten dabei. Ein gemeines Lachen, welches ihn einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Plötzlich schwenkte das Gespräch zu einem Thema um, welches der Junge sehr wohl verstand, zumindest Bruchstücke. „Gefangene", war das eine Wort. „Keller", das andere.

Seine Freunde waren also in einem Keller eingesperrt. Jetzt müsste er nur noch wissen, wo sich das Lager befand. Moment, Freunde? Waren das wirklich seine Freunde? Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass er sie so dringend retten wollte. Oder er fing aufgrund des Wassermangels bereits an, wirres Zeugs zu denken.

Erleichtert bemerkte er, dass die Stimmen wieder leiser wurden und der Räubertrupp an ihm vorbeigeschlendert zu sein schien. Trotzdem blieb er noch recht lange hinter seinem Versteck hocken und wartete. Das Warten hatte keinen bestimmten Grund, außer dem seiner Angst. Wie sollte er allein an all den Räubern vorbeikommen und dann auch noch die anderen retten? Und wie sollten sie von dieser Stadt wieder wegkommen? Eins war klar, er konnte nicht alle bekämpfen, also musste er unbemerkt an ihnen vorbeikommen. Er hatte keine Ahnung wie viele Feinde auf ihn warten würden, vermutlich zu viele. Irgendwie musste er sie ablenken, eine andere Chance sah er nicht.

Ängstlich schlich er weiter durch die verwüsteten Gassen, darauf bedacht sich in den Schatten zu halten. Überall lag Schrott und Glas und all dies war bedeckt mit Sand. Er fragte sich, wie tief die Schicht Sand unter seinen Füßen reichte? Wie tief würde er buddeln müssen, um auf eine Straße zu stoßen?

Nach weiteren Ecken und Biegungen stieß Delian auf eine seltsame Karosserie, welche neben einem abgestorbenen, vertrockneten Baum stand. Neugierig kroch er näher und nahm das Gestell in Augenschein. Eine verbeulte, flache Büchse mit zersprungenen Glasfenstern und roten Leuchten. Sie stand auf vier Gummireifen. Wenn sein schulisches Wissen ihn nicht täuschte, musste es sich wohl um ein Auto handeln. In der Schule hatte seine disziplinierte, programmierte Lehrerin ihnen immer eingeflößt, dass diese altmodischen Fahrzeuge unsicherer wären als die Außenwelt. Nachdem er in dieser jedoch bereits mehrere Tage verbracht hatte, wusste er nicht so ganz, ob er ihr das noch glauben konnte. Wie sollte diese Karre gefährlicher als Kannibalen, Mutanten, Stürme, Krankheiten, Hunger und Durst zusammen sein?

Nun erweckte allerdings etwas ganz Anderes seine vorübergehende Aufmerksamkeit. Ein Kanister, der nicht weit von ihm und dem Auto entfernt lag. Vorsichtig ging er zu dem grauen, vom Sand zur Hälfte zersetzten Kasten herüber. Ein Benzinkanister, zwar benutze man schon lange kein Benzin mehr als Kraftstoff, doch er hatte schon öfter - wo er nun hier draußen war - feststellen müssen, dass der Schulunterricht wohl doch nicht kompletter Nonsens war.

H.E.L.L.H.O.U.N.DDove le storie prendono vita. Scoprilo ora