Der erste Brief

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Ich war immer Ben oder deine beste Freundin.

Außer Sonntags von 12-16:30 Uhr da war ich irgendwas anderes und ich habe mir das gefallen lassen, weil du über meine Witze gelacht hast und mich dein Lachen bis in den Schlaf verfolgen konnte.

Du hattest blaue Augen und blau ist eine furchtbar schlechte Beschreibung der Farbe, die deine Augen eigentlich hatten, schon irgendwie blau, aber halt irgendwie auch noch viel mehr und jetzt sitze ich hier auf meiner Couch und warte darauf, dass die Putzfrau kommt, damit ich sie rein lassen kann.

Sie spricht kein Deutsch und wir haben auch nie viel miteinander geredet und wenn wir geredet haben, dann immer nur über komplizierte Dinge. Du hast sie wichtige Dinge genannt, aber weißt du, wenn wir zusammen waren, dann war es mir eigentlich ziemlich egal warum sich die Welt dreht oder was der Sinn des Lebens ist.

Ich wollte immer nur wissen, was das ist, was wir da jeden Sonntag von 12-16:30 Uhr hatten. Ich glaube das hätten wir herausfinden sollen, bevor wir versuchten den Sinn des Lebens zu entschlüsseln. Ich glaube das wäre wichtig gewesen.

Heute bin ich nicht mehr Ben oder deine beste Freundin.

Deine Sonntage verbringst du mit Tom. Tom ist der neue Ben, mit dem feinen Unterschied, dass Tom tatsächlich ein Ben sein könnte. Keine Ahnung, was Tom und du so machen, aber ich denke jeden Sonntag von 12-16:30 Uhr nur an dich.

Ne neue beste Freundin hast du auch, aber das tut nicht so weh, denn Freunde waren wir ja eigentlich nie.

Und vielleicht hätten wir auch darüber reden sollen, statt zu versuchen zu verstehen, warum sich die Welt dreht.

Ich hab's dir nie gesagt, aber ich weiß, dass du es wusstest: Ich hät's echt mir dir probiert. Ich wollte dich wirklich glücklich machen, weil auch wenn es Montag bis Sonntag um 12 wehgetan hat, Sonntag von 12-16:30 hat das ausgeglichen. Sonntag 12-16:30 war ich okay.

Ich würd dir gerne erklären, warum sich die Welt dreht oder was der Sinn des Lebens ist, aber ich kann's nicht. Und das tut mir Leid, obwohl es eigentlich du bist, die sich entschuldigen sollte. Das hast du nie getan.

Ich verzeih dir trotzdem. Natürlich verzeihe ich dir. Ich verzeihe dir alles.

Ich habe nur Angst, dass ich dich für immer jeden Sonntag von 12-16:30 Uhr vermissen muss.

Du hast jetzt Tom und du wirst nach Tom bestimmt einen neuen Tom finden. Vielleicht heißt er Marc oder Luis oder auch mal tatsächlich Ben, aber du hast auch jeden Sonntag von 12-16:30 mit mir verbracht und mich Ben oder deine beste Freundin genannt, weil du Angst hattest, Angst vor dem, das ich dich habe fühlen lassen.

Ich wollte dir doch gar nie mein für immer versprechen. Für immer hat mich nie interessiert.

Ich hätte einfach nur gerne mal darüber geredet, was das war, dass wir jeden Sonntag hatten.

Vielleicht solltest du damit anfangen die Rätsel direkt vor deiner Nase zu lösen, anstatt die ganze Welt verstehen zu wollen.

// 02:07

An für immer glauben wir doch beide eigentlich eh nicht, stimmts?Onde histórias criam vida. Descubra agora