zweiundzwanzig

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Meine Mutter würde vermutlich sagen, dass es dämlich war, das Mädchen, das mir das Herz gebrochen hatte, bei mir wohnen zu lassen. Okay Mama, da ist was dran.

Ich selbst werfe mir vor, dass ich unsere alten Briefe nie weg geworfen habe. Irgendwie habe ich diese Wunde, die Juno hinter lassen hat, nie ganz zuwachsen lassen.

Juno werfe ich eine Menge Dinge vor. Aber Juno verzeihe ich all diese Dinge auch.

Trotz dieser Vorwürfe und noch ein paar weiteren von meinen Eltern, fragte ich Juno ob sie wieder mit mir zusammen sein wollte. Und sie sagte ja. Ich fiel zwar keine Treppe hinunter und machte mich auch sonst nicht zum Affen, aber Juno wusste genauso gut wie ich, dass es auf dieser Welt vermutlich nur wenige Menschen gab, die so gut zu ihr passten, wie ich es tat. Für die Dinge, die den Winter über begannen und im Frühling eskalierten, konnte ich jedoch rein gar nichts. Man kann mir viele Dinge vorwerfen. Wirklich einen Haufen Dinge. Aber das nicht.


Es begann damit, dass ein Mann in dunkelblauem Anzug immer öfter vor unserer Wohnung herumzulungern begann. An dieser Stelle möchte ich kurz anmerken, wie Juno und ich es schafften, auf das Klischee Lesben würden nach drei Dates zusammen ziehen, noch eins drauf zu setzen. Wir wohnten schon lange vor dem ersten Date zusammen. Das soll uns mal einer nach machen. Aber zurück zu dem Mann in dukelblauem Anzug. Manchmal stand er alibimäßig an seinem Handy herum spielend auf dem Gehsteig gegenüber, manchmal saß er auch in einem schwarzen BMW und tat so, als würde er mit dem Radio beschäftigt sein, wenn ich ihn beobachtete. Was undercover war, schien er nicht ganz zu verstehen.

Die ersten paar Wochen dachte ich mir nichts. Oder dachte zumindest nicht daran, dass er wegen mir oder Juno hier war. Vielleicht hatte die Frau mit den bunten Schaals aus dem Erdgeschoss ja einfach nur einen neuen Freund, der vor ihrer Wohnung darauf wartete, dass sie nach Hause kam. Ich fand das eigentlich sogar ganz süß.

So richtig suspekt wurde er mir erst, als er mich eines Abends abfing und fragte, ob ich Johanna Mohn kannte. Es dauerte einen Moment, bis ich Juno und den Namen Johanna zusammen brachte. Ich war noch nie einem Menschen begegnet, der sie so nannte. Sie nannte sich ja selbst nicht einmal so. Auch nicht, wenn sie sich fremden Personen vorstellte. Sie hieß Juno. Immer und bei allen. Ich war so erstaunt darüber, dass dieser Mann ihren richtigen Vornamen kannte, dass ich instinktiv den Kopf schüttelte. Leider vertrieb ihn das nicht. Er schien also schon zu wissen, dass Juno hier wohnte, vielleicht auch, dass ich sie kannte. Irgendetwas wusste er aber wohl nicht und deshalb kampierte er wie ein Creep vor unserem Apartmentkomplex.

Ich erzählte Juno von diesem Zwischenfall und sie bat mich ein Foto des Anzugträgers zu machen, nur um sicherzugehen, dass sie ihn nicht kannte. Ich tat worum sie mich gebeten hatte und am nächsten Abend, nachdem wir zusammen gegessen hatten und auf dem Balkon rauchten, zeigte ich ihr das Foto.

Ich hätte es früher wissen können. Ich sah es im gleichen Moment, in dem sie es auch sah. Ich hatte ihn von der Seite fotografiert und das war zu verräterisch, um die Ähnlichkeit nicht zu erkennen. Ein Foto von vorne wäre nicht so eindeutig gewesen. Aber das Profil war unverkennbar.

"Das ist dein Vater.", sagte ich.

Juno biss sich auf die Lippe und holte tief Luft. "Was hat er dich gefragt?", fragte sie: "Erinnerst du dich an seine genauen Worte?"

"Er wollte nur wissen, ob ich dich kenne.", antwortete ich.

"Mehr nicht?"

Ich schüttelte den Kopf.

Juno seufzte und rieb sich mit den Händen über das Gesicht.

"Was glaubst du will er hier?", fragte ich.

"Keine Ahnung."

An für immer glauben wir doch beide eigentlich eh nicht, stimmts?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt