drei

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Du hättest gerne darüber gesprochen, was wir jeden Sonntag hatten, aber ich glaube du weißt es längst, du wusstest es schon bevor ich es wusste. Trotzdem verstehe ich warum du es mich gerne hättest sagen hören. Ich hätte es gerne gesagt. Ich hätte dir gerne so viele Dinge gesagt, aber keines dieser Dinge war für Ben oder meine beste Freundin bestimmt.

Es tut mir Leid. Und das ist zu spät und viel zu wenig, aber ich hätte es auch gerne versucht. Nicht mit Ben oder meiner beste Freundin, aber mit dir. Du wärst es wert gewesen. Du wärst alles wert gewesen.

Jeden Brief hatte ich aufgehoben. Fein säuberlich zusammen gefaltet, in eine Schuhschachtel gelegt und im Schrank versteckt. Es waren bestimmt vier, fünf Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal einen von ihnen in den Händen hielt. Junos Handschrift war trotz dieser langen Zeit noch in mein Gehirn gebrannt. Ich kannte jede kleine Schwingung, jeden Buchstaben der etwas zur Seite kippte. Ich konnte manche Worte sogar noch hören, sehen wie sich ihr Lippen bewegten, den Klang ihrer Stimme bekam ich nur schwer wieder aus dem Kopf. Schon immer.

Ich legte die Briefe zurück, schloss den Schrank undzog mir die Bettdecke über den Kopf. Es war Gift für mein Herz und auch meinen Kopf diese alten Briefe zu lesen, das wusste ich selbst. Und auch Juno auf meinem Sofa übernachten zu lassen, tat mir ganz bestimmt nicht gut. Aber man kann Menschen nicht vor der Tür sitzen lassen. Das kann man einfach nicht tun.

Die ganze Nacht über beschäftigte ich mich mit einer einzigen Frage. Ich dachte sie vorwärts und rückwärts, nahm sie auseinander, drehte jedes Wort einzeln zwischen den Fingern und kaute alle Antwortmöglichkeiten immer und immer weider aufs Neue und von vorne durch.

Ist es einfacher einen schönen Menschen zu lieben?

Ich fand keine Antwort. Oder besser gesagt, ich fand tausend Antworten, aber keine die mir gefiel, keine die ich annehmen wollte.

Juno war einmal so schön gewesen. Irgendwann vor ein paar Jahren, jeden Sonntag, in einem Hotelzimmer. Sie war das schönste Mädchen gewesen, das ich kannte, das ich je gesehen hatte. Und jetzt lag sie auf meinem Sofa und ich fühlte nichts. Keine Schmetterlinge, keine weichen Knie, vielleicht ein bisschen Mitleid, ein bisschen Angst. Das lag nicht daran, dass ich über sie hinweg war. Es lag an ihr. Es lag daran, dass sie nicht mehr schön war. Und mit schön meine ich nicht unbedingt ihre äußere Erscheinung, vermutlich war Juno äußerlich noch immer schön, erfüllte die Ansprüche der Gesellschaft und die eines Haufen Männer und Frauen. Aber die Schönheit, die mich in ihr Hotelzimmer lockte, die all die schmerzvollen Stunden ohne sie und die Geheimnisse ausgleichte, diese Schönheit war verschwunden. Als wäre sie verdampft, als wäre Juno zu heiß geworden und als wäre ihr Glanz aufgestiegen und in einer Wolke über ihrem Kopf zerplatzt.

Ist es einfacher einen schönen Menschen zu lieben?

Gelegentlich hörte ich, wie das Sofa knarzte oder Juno zur Toilette ging. Das tat sie ganz schön oft. Ich ging davon aus, sie könnte auch nicht einschlafen. Und diese Tatsache ärgerte mich. Ich sollte schlafen und sie sollte schlafen und diese Umstände sollte weder mir noch ihr etwas ausmachen. Ich presste gewaltsam meine Augenlieder zusammen, wickelte mir das Kissen um die Ohren und versuchte mühevoll meinen Körper in den Schlaf zu zwingen.

Ist es einfacher einen schönen Menschen zu lieben?

An für immer glauben wir doch beide eigentlich eh nicht, stimmts?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt