neunzehn

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Als ich nach Hause kam kochte Juno. Es roch ein wenig verbrannt, aber das konnte man auch als Personalisierung des Gerichts auslegen. Also tat ich das und öffnete uns zwei Bier.
„Warum genau kochst du?", fragte ich und reichte Juno ihre Flasche.
„Ich hatte Zeit.", erwiderte sie und stieß mit mir an.
Wir aßen Spaghetti bei Kerzenschein und redeten über das Ozonloch. Ich kann mir absolut nicht erklären, warum ausgerechnet das unser Gesprächsthema war.

Nach dem Abwasch rauchten wir auf dem Balkon. Die Bäume vor unserem Apartmentkomplex hatten orange gefärbte Blätter und Juno zeigte mir die Kastanie, die ihr am Tag zuvor auf den Kopf gefallen war. Ich hatte schon ein paar Bier zu viel, um das nicht lustig zu finden. Juno lachte auch und es war die Kombination aus Freude und Alkohol die mir ein Gefühl von Leichtigkeit gab.

Dann küsste mich Juno. Und es war perfekt. Es war nur leider zu viel für mein kleines Gehirn und ich glaube mir brannte eine Sicherung durch. Als wir uns von einander lösten, sagte ich ich müsse auf die Toilette und verschwand. Sie blieb etwas verwirrt zurück und sobald ich in der Wohnung war rannte ich, sperrte die Tür zu und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich war viel zu nah an alten Erinnerungen dran. Mein altes Ich winkte mir zu und ich hatte panische Angst davor es zu nahe an mich heran zu lassen. Mit Juno verband ich nicht nur diese fast schmerzhafte Liebe, sie war für mich auch der Inbegriff einer Zeit, die mir weh getan hatte, die mich stark gemacht hatte und die glücklicher Weise vorbei war. Ich wollte nichts ausgraben, nichts Vergangenes wieder wichtig werden lassen.

„Hey Anna.", sie klopfte gegen die Tür: „Entweder du verhältst dich merkwürdig oder ich hab verlernt, wie man gut küsst."
„Nein, nein.", rief ich zurück: „Du kannst noch immer gut küssen."
„Okay, aber was machst du dann da drinnen?"
„Pinkeln."
Kurzes Schweigen.
„Ich kann gar nichts hören.", sagte sie dann.
„Was willst du denn hören?", fragte ich.
„Ich kann nicht hören, wie du pinselst."
„Ich bin bisschen gehemmt, wenn du da draußen rum stehst."
Juno lachte. „Okay, dann warte ich auf dem Balkon."
„Gute Idee.", rief ich.

Ein bis zwei leichte Panikattacken später wusch ich mir noch einmal das Gesicht und ging zurück nach draußen. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder ich riss mich zusammen, küsste das Mädchen, das ich schon seit Wochen küssen wollte oder ich sperrte mich weiter im Badezimmer ein und schlief heute Nacht garantiert alleine. Eine dieser Möglichkeiten war gut für mich. Die andere vielleicht eher weniger. Was die Zuordnung betraf war ich mir noch nicht ganz sicher.

Juno rauchte eine neue Zigarette, als ich auf den Balkon kam und blickte nach oben zu den Sternen. Sollte es nicht funktionieren, dachte ich mir, dann schmeiß ich sie morgen einfach raus. Dass das in der Theorie viel einfacher zu denken war, als tatsächlich umzusetzen war mir zwar bewusst, aber auch egal.
„Alles klar?", fragte sie ohne sich umzudrehen.
Ich nickte und setzte mich auf einen der zwei Gartenstühle, die wir der Nachbarin geklaut und hier aufgestellt hatten, um morgens sitzen zu können.
„Du weißt, dass ich hinten keine Augen habe und deshalb nicht sehen kann, wenn du nickst.", sagte sie.
Ich musste Lächeln.
Juno drehte sich zu mir um.
„Weißt du was komisch ist?", fragte sie und setzte sich neben mich.
„Nein, sag es mir."
„Ich glaub ich mag dich wieder neu."
„Danke.", erwiderte ich etwas zaghaft. Ich war mir nicht sicher, was das bedeuten sollte.
„Ich meine anders als damals. Eben neu. Du bist nicht mehr, wer du früher warst.", erklärte sie.
„Du auch nicht." Ich verschwieg ihr, dass ich lange Zeit der Meinung war, sie wäre genau deshalb nicht mehr schön. Weil sie nicht mehr war, wer sie gewesen war. Sie musste das nicht wissen. Nicht heute. Neu traf es deshalb eigentlich ganz gut. Sie war wieder schön. Aber neu schön. Ich verstand doch was, Ich glaub ich mag dich wieder neu, bedeuten sollte. Es ging mir genauso.

Juno schaute mir in die Augen, zog an ihrer Zigarette und hielt mir die Kippe dann an die Lippen. Ich nahm einen Zug und blies den Rauch in die Nachtluft. Ihre Hand legte sie sanft auf meinen Oberschenkel. Ich führte ihre andere Hand zu meinem Mund und nahm noch einen Zug.
„Mach auf.", sagte ich und lehnte mich in ihre Richtung. Juno öffnete den Mund. Langsam blies ich ihr den Rauch zwischen die Lippen. Als fast nichts mehr übrig war zog sie mich näher an sich und meine Lippen berührten ihre. Ich lehrte meine Lunge und Juno ließ den Rauch durch die Nase entweichen.
Das fühlte sich an wie Sonntage in Hotelzimmern, 12-16:30 Uhr, Zimmerservice Essen und Zigaretten nach dem Sex.

„Alles an dir ist anders.", sagte ich leise: „Aber deine Augen nicht."
„Ist das hier ein Fehler?", fragte Juno sanft und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Früher war immer alles ein Fehler.", erwiderte ich. Ich konnte ihren Atem an meinem Nacken spüren. „Ich will aber nicht über Fehler reden."
Sie küsste mich genau zwischen Schlüsselbein und Hals. Erst einmal, dann zweimal. Dann dreimal.
„Ich wollte eigentlich noch nie reden.", flüsterte sie an meine Lippen und wich zurück, als ich sie küssen wollte: „Ich wollte immer ganz andere Dinge machen."
„Ich weiß.", hauchte ich zurück: „Ich auch."

Mit beiden Händen zog ich ihr Gesicht an meins. Die Sprenkel in ihren Augen funkelten und als ich sie küsste schmeckte sie genau wie früher. Und trotzdem anders.
Alles war genau wie früher. Und trotzdem anders.

An für immer glauben wir doch beide eigentlich eh nicht, stimmts?Where stories live. Discover now