⊱Kapitel 10⊰

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Ich verspüre nicht die geringste Lust mich mit Evan zu unterhalten, doch ich reiße mich zusammen und steuere auf den tätowierten Typen mit den braunen Locken zu.

Vielleicht ist unser Start, wenn man die Begegnungen am Montag und Dienstag überhaupt als solchen bezeichnen kann, nur nicht ganz glücklich verlaufen. Sicher ist Evan eigentlich ebenso nett wie Zara.

»Hi.«
Evan sieht mich noch immer nicht an. Vielleicht hat er mich nicht gehört, rede ich mir ein und versuche es noch einmal etwas lauter. »Zara meinte, du würdest hier die Drinks ausgeben.«

Hätte ich bereits etwas intus, würde ich bestimmt weniger verkrampft mit ihm sprechen können, was deutlich weniger peinlich wäre. Evan, der mit seinem Smartphone beschäftigt ist, sieht zu mir auf, um mich abschätzig zu mustern. Seine Mundwinkel zucken ein wenig, doch dann blickt er bereits wieder auf sein Handy.

Was soll das? Will er jetzt wirklich bei jeder unserer Begegnungen schweigen und deutlich machen, dass ich zu minderwertig bin um seine Aufmerksamkeit zu verdienen?
»Wäre es wirklich so gegen deine Natur, auch nur ein Wort zu sagen?«, fahre ich ihn an, ehe ich mich bremsen kann.

»Wende dich an jemand anderen«, gibt er mit tiefer und zugleich entnervter Stimme von sich. »Zara lag falsch.«
Die offensichtliche Abweisung hätte dabei keine deutlichere Lüge sein können, schließlich steht er umgeben von halbvollen Alkoholflaschen und Säften. Das überhebliche Grinsen auf seinen Lippen lässt mich innerlich schäumen. Was ist eigentlich sein verdammtes Problem?

Ich bin kein Mensch, der aktiv Streit sucht. Zumindest bin ich das bisher nicht gewesen. Vermutlich hätte sich das jetzt geändert, wäre im selben Moment nicht Ian in der Tür erschienen.
»Evan, noch mal das gleiche, ja?«, sagt er zu ihm und bleibt neben mir stehen.

Als hätte Evan bloß darauf gewartet, steckt er das Handy ein, stößt sich von der Anrichte hinter ihm ab und beginnt schweigend loszulegen.

Der roten Becher, den Ian ihm gereicht hat, ist innerhalb von zehn Sekunden mit einer Mischung aus zwei Schnäpsen und Orangensaft gefüllt. (Wobei mehr Schnaps als Saft enthalten ist.) Allerdings kann ich mich auch täuschen, da Evan das Getränk in Rekordzeit fertigstellt.

»Danke, Kumpel. Und was darf es für die hübsche Lady hier sein?«
Ich brauche zwei Sekunden, um zu begreifen, dass Ian mit mir spricht, nur um dann puderrot anzulaufen, weil er mir gerade ein Kompliment gemacht hat.

Ich räuspere mich, obwohl mir klar ist, dass es die Qualität meiner Stimme nicht verbessern wird.
»Ich nehme dasselbe«, sage ich lächelnd und versuche mich an einem koketten Augenaufschlag. Sicher hätte Ian darüber gelacht, wäre er noch nüchtern gewesen. So aber erzielt mein miserabler Flirtversuch nicht seine Wirkung.

Ian bleibt und bestellt bei Evan, als sei dieser wirklich nur ein Barkeeper, den gleichen Drink erneut. Dabei wendet er nicht für eine Sekunde den Blick von mir.
»Du und Zara geht also in die gleiche Jahrgangsstufe?«, fragt der schwarzhaarige Junge.

»Wir haben ein paar Kurse zusammen«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Zara und ich verstehen uns wirklich gut. Es kommt mir so vor, als wäre sie bereits Jahre an unserer Schule und nicht erst seit Montag. Verrückt.«

Ich nippe an dem Getränk, welches Evan Ian reicht und dieser anschließend an mich weitergibt.
Purer Wodka rinnt meine Kehle hinunter und scheint sie keine Sekunde später in Flammen zu setzen.

Den Hustenreiz verkneifend, nehme ich noch einen Schluck, was allerdings auch nicht wirklich hilft. Dafür schürt es meinen Zorn auf Evan nur noch weiter. Ich hätte mein Handy darauf verwettet, dass Evan das mit Absicht gemacht hat.

»Das kann ich nachvollziehen. Zara hatte allerdings schon immer die Gabe, sich schnell irgendwo einzuleben. Geh zum Beispiel mit ihr in die Stadt und triff auf irgendwelche fremde Typen. Keine zehn Minuten später könnte man meinen, sie wären seit drei Jahren die allerbesten Freunde.«

Ich lache, weil es tatsächlich sehr nach Zara klingt.
»Ian!«, grölt jemand, woraufhin sich dieser von mir verabschiedet. Kaum ist Ian aus der Küche verschwunden, wirbele ich zu Evan herum. Mit einem unschuldigen Blick betrachtet er mich ungeniert und nippt selbst an einem roten Becher.

»Das hast du mit Absicht getan!«, zische ich und bin selbst überrascht über den eisigen Ton, den ich anschlage. Niemals hätte ich gedacht, bereits einen solchen Hass auf jemanden entwickeln zu können, den ich eigentlich überhaupt nicht kenne.

»Wenn es dir nicht schmeckt, ist das ja wohl nicht mein Problem«, gibt er sichtlich amüsiert über meinen Wutausbruch zurück. Am liebsten hätte ich den Wodka genommen und über sein schwarzes Shirt gekippt, aber nach der Bowlesache mit Zack, habe ich von solchen Handgreiflichkeiten abgeschworen.

»Du bist echt das Letzte!«

Noch nie ist mir ein Typ untergekommen, der so unhöflich ist wie Evan. Es ist mir gleich, dass er und Zara miteinander befreundet sind. Auch wenn es noch viel zu früh ist, nach dieser Sache gerade eben, habe ich nicht die geringste Lust mehr auf diese Party.

»Ich verstehe nicht, wie Zara freiwillig Zeit mit dir verbringen kann. Normalerweise sucht sie sich ihre Freunde besser aus.«
Bitte was? Geht es überhaupt noch unhöflicher?

»Zara kann noch nie gut im Freunde wählen gewesen sein, andernfalls hätte sie sich sicherlich gegen dich entschieden«, schnappe ich und mache auf dem Absatz kehrt. Ich verschwinde aus der Küche, bevor ich meine guten Vorsätze noch vergesse und Evan statt dem Becher Wodka, die Glasflasche überziehe.

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