⊱Kapitel 67⊰

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Die Treppe ist so konstruiert, dass ich auf den obersten drei Stufen sitzen kann, ohne dabei von jemanden unterhalb entdeckt zu werden. Selbst wenn ich den Kopf durch die Streben stecken würde, würde ich noch immer nicht einsehbar sein. Allerdings kann ich von hier nicht bis in die Küche blicken. Ich muss also abwarten, und hoffen, dass sie ins Wohnzimmer kommen.

Ich lausche, als das Flüstern von neuem beginnt und halte gebannt den Atem an, um besser verstehen zu können. Dennoch gelingt es mir nur wenige Gesprächsfetzen zu verstehen.
»Sie hat dich nicht gesehen.«
»Bist du sicher?«

Es ist deutlich die Stimme eines Mannes, aber ich kann sie nicht zuordnen, weil sie nur gedämpft an mein Ohr dringt.
»Ja, aber sie ist misstrauisch geworden.«
»Soll ich gehen?«

Wenn es möglich gewesen wäre meinen Herzschlag nur für einen Moment auszuschalten, um dafür besser hören zu können, hätte ich es getan. Aber, weil das nicht im Rahmen der Möglichkeiten liegt, bekomme ich Moms Antwort akustisch nicht mit. Und dann ist es plötzlich komplett still.

»Scheiße!«, fluche ich lautlos, als ich hinter die Bedeutung der plötzlich verstummten Geräusche komme. Sie müssen die Hintertür genommen haben. Und genau das ist der Fall, als ich die Treppe herunterstürme und im selben Moment die Scheinwerfer von Moms Wagen anspringen.

Aussichtslos. Sie sind weg, ehe ich die Gelegenheit habe einen Blick auf Moms Begleitung zu erhaschen, der vielleicht irgendwann einmal die Rolle meines Vaters einnehmen könnte.

Der Gedanke gefällt mir überhaupt nicht und lässt mich mit einem verbitterten Gefühl in der Brust zurück, dass sich noch weiter verschlimmert, als ich den Brief lese, den mir meine Mutter gegeben hat.

DIE SCHATTEN DER VERGANGENHEIT HOLEN JEDEN EIN. IST ER ES WIRKLICH WERT?

~*~

»Ich glaube ich gewöhne mich so langsam daran, dass es euch zwei nur noch im Doppelpack gibt«, amüsiert sich Ian am nächsten Tag nach der Schule im Beisein von Dylan. Wir haben uns auf der Tribüne getroffen, wo wir nun darauf warten, dass das Footballtraining von Kota vorbei ist.

Anschließend haben wir geplant ins Einkaufszentrum zu fahren und unseren Tag in der Spielhalle ausklingen zu lassen. Ian war ganz besessen von dieser Idee und hat erst aufgehört davon zu sprechen, als wir schließlich alle seinem Vorschlag zugestimmt haben.

Die Einzige, die nicht mit dabei ist, ist Zara. Sie meinte zwar, dass sie Videospiele nicht mag, aber in Wahrheit begleitet sie uns nicht, weil Kota mit kommen wird. Das geht schon seit unserem Gespräch in der Cafeteria so. Anscheinend hat sie meinen Vorschlag Abstand zu halten doch ein bisschen zu ernst genommen.

»Das solltest du auch, denn daran wird sich nichts mehr ändern«, gibt Evan lächelnd zurück, was Dylan ein Augenverdrehen entlockt.

»Würg, Liebe!«, ruft er und steckt angewidert die Zunge raus. Ian nimmt ihn für diese Aktion grinsend in den Schwitzkasten und zerwühlt trotz Gegenwehr sein rotes Haar.
Evan und ich können ein Lachen nicht zurückhalten.

»Das sagst du nur, weil du mit Gloria nach euren ganzen Versuchen eine Beziehung zu führen einfach kein Glück mehr hast«, zieht er ihn kameradschaftlich auf, was Dylan ihm aber nicht übel nimmt. Er befreit sich aus seinem Griff und greift nach seiner Wasserflasche, um der allgemeinen Hitze von Arizona zu trotzen.

»Sie ist eben ein komplizierter Mensch«, sagt er nach einem großen Schluck, ehe er vorwurfsvoll auf Ian deutet. »Außerdem wären wir noch zusammen, wenn du in ihrer Gegenwart nicht ihre jüngere Schwester Lizzy erwähnt hättest.«

»Du hättest sie eben nicht küssen dürfen.«
»Hätte ich auch nicht, wenn du mich an dem Abend nicht abgefüllt hättest!«
»Du hättest jederzeit ablehnen können ...«

Dylan ist während des kleinen Wortgefechts immer näher an Ian herangerückt, sodass sich ihre Nasenspitzen beinahe berühren. Keiner denkt daran zurückzuweichen und genau das ist Ians Untergang. Ehe er begreift, was überhaupt passiert, hat sich auf Dylans Gesicht schon ein dämonisches Grinsen gebildet. Dann kippt er den gesamten Inhalt seiner Flasche über Ians Kopf aus.

Erst sieht Ian mit seinem schwarzen Haarzopf verwirrt drein, was sich allerdings ziemlich schnell ändert.
»Na warte!«, ruft er und schnappt sich seine eigene Flasche aus seinem Rucksack. Mit einem vorgespielten Kreischen, welches mich an ein kleines Mädchen erinnert, ergreift Dylan die Flucht. Ian ihm dicht auf den Fersen.

Ich muss mir vor Lachen bereits den Bauch halten und auch Evan bekommt sich kaum mehr ein, als beide über das Footballfeld stürmen und Ian Dylan einholt. Damit scheint die Wasserschlacht allerdings erst so richtig für die beiden eröffnet. Nicht mal Coach Mason schafft es die beiden zu trennen, die das Training der Mannschaft stören und den gesamten Wasservorrat des Teams verbrauchen.

»Meinst du sie kriegen sich wieder ein?«, frage ich, während ich den verzweifelt in seine Pfeife blasenden Mr Mason betrachte. Evans Augen funkeln amüsiert, während er mir seine Hand reicht. Ich nehme sie an und er hilft mir aufzustehen.

»Nein, aber ich würde sagen, wir müssen jetzt wenigstens nicht mehr ganz so lange auf Kota warten. Schau, er verschwindet bereits in der Umkleide.«
Evan hat recht, Kota geht tatsächlich vom Spielfeld, wobei er allerdings unablässig mit dem Kopf schüttelt. Er schämt sich sicher für seine Freunde.

Mein Blick wandert weiter und obwohl ich mir vorher selbst eingeredet habe, ihn nicht anzusehen, ist es doch unmöglich es nicht zu tun. Shane. Es ist nicht so, dass wir uns ignorieren oder kein Wort mehr wechseln würden. Aber es ist auch nicht wie vorher, wo ich noch keine Ahnung von seinen Gefühlen hatte.

»Ich denke, ich werde die beiden mal trennen, bevor sie noch Ärger kriegen«, sagt Evan. Ich nicke und ringe mir ein Lächeln für ihn ab, was erst wieder echt wird, als er mich küsst.
»Sicher«, murmele ich und folge ihm.

Die meisten Spieler haben sich mittlerweile Kota angeschlossen. Darunter auch Jordan, der noch immer mit Shanes Exfreundin Caesy zusammen ist. Shane hat einfach kein Glück in der Liebe, was wohl zum Teil auch meine eigene Schuld ist. Ob es ihm besser gehen würde, wenn er mich niemals kennengelernt hätte?

»Maggie!«
Im ersten Moment glaube ich tatsächlich, dass Shane mich rufen würde. Aber er ist es nicht. Im Gegenteil, als ich mich auf dem Spielfeld umschaue, ist er ebenfalls in den Umkleiden verschwunden.
»Zara? Aber ich dachte, du wolltest nicht mitkommen.«

Zara atmet heftig aus und ein. Anscheinend ist sie bis hier hergerannt.
»Will ich auch nicht. Du weißt ja warum«, keucht sie und wischt sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. »Ich habe das hier an deinem Spind gefunden. Hat irgendjemand mit Klebeband festgeklebt.«

»Was ist das?«, frage ich und muss sofort wieder an diese merkwürdigen Briefe denken. Was ist, wenn ich mich geirrt habe und es sich überhaupt nicht um einen Kinderstreich handelt? Was, wenn dahinter etwas Ernstes stecken sollte? Aber was hatten sie dann zu bedeuten?

»Ein Foto glaub ich. Ich hab’s mir aber nicht näher angesehen, weil ich es dir geben wollte und nicht wusste, wie lange du noch hier bist. Was ist denn drauf?«

Ich schaue es mir genauer an und habe zu Anfang Mühe überhaupt etwas zu erkennen. Die Kameraeinstellung ist nicht gut gewählt. Das Bild ist trotz, dass es eindeutig noch hell ist ziemlich dunkel und zudem ein wenig verschwommen. Dennoch weiß ich sofort, wer darauf abgebildet ist. Aber wie ist das möglich?

»Es ... es sind meine Eltern«, krächze ich. »Und sie küssen sich vor unserem Haus.«
Zara, die meine Familiengeschichte kennt, zieht die Stirn kraus.
»Wer sollte dir denn ein altes Familienfoto an den Spind kleben? Und wo hat der das überhaupt her?«

Langsam schüttele ich den Kopf, während mein Gehirn einfach nicht begreifen kann, was meine Augen da sehen.
»Es ist kein altes Familienfoto, Zara. Das Bild ist gestern am frühen Abend entstanden.«
Das schwarze Kleid meiner Mutter würde ich immer und überall wieder erkennen.

Light up my WorldWhere stories live. Discover now