⊱Kapitel 32⊰

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Ich kann mich nicht länger auf die Stimme von James konzentrieren. Meine Gedanken fahren Acherbahn. Was macht Evan hier? Hat er uns verfolgt? Oder ist er tatsächlich nur wegen der Veranstaltung hier? Letzteres kann ich mir bei ihm unmöglich vorstellen.

Die Augen starr gerade aus gerichtet, zwinge ich mich dazu, nicht noch einmal in Evans Richtung zu blicken. Ich habe mich die ganze Woche auf diese Veranstaltung gefreut und ich werde sie mir ganz sicher nicht von ihm verderben lassen.

Trotzdem, als James den letzten Satz von Kapitel fünf vorließt und somit das Ende dieses Abends verkündet, bin ich es, die als Erstes aufspringt. Shane, der bemerkt hat, dass ich unter Strom stehe, will wissen was mit mir los ist, doch ich schüttele nur den Kopf und bitte ihn darum zu gehen.

»Einen Moment, ja? Ich habe mir die Ausgabe gestern gekauft und würde sie noch gerne signieren lassen.«
»Kein Problem«, versichere ich meinem besten Freund, obwohl ich innerlich laut fluche und mich unauffällig nach dem grünäugigen Jungen umsehe. Mit seinen vielen Tattoos hätte er mir sofort auffallen müssen, aber ich entdecke ihn nicht. »Ich warte dann draußen.«

Shane nickt, ehe er sich zu James durchgekämpft, der allerdings bereits in Beschlag genommen wird. Während ich die entgegengesetzte Richtung einschlage, um nach draußen zu gelangen, fische ich mein Handy aus der Tasche, um es wieder anzuschalten.

»So sieht man sich wieder.«

Kaum bin ich aus der Tür und auf den Bürgersteig getreten, fliegen meine Augen von meinem Handy zu dem hochgewachsenen Jungen mit dem gelockten braunen Haar. Die Hände vor der Brust verschränkt, lehnt er lässig an einer in Orange erstrahlenden Straßenlaterne.

»Ich kann auch nicht wirklich von Freude sprechen«, murre ich, während ich mein Handy wieder wegstecke. Mein Verhalten von gestern ist mir noch immer peinlich, was ich nun mit Zorn zu überdecken versuche. »Gut du hast mich angesprochen. Also, was willst du von mir, Evan?«

»Du warst also mit deinem kleinen Freund da drin ...«, beginnt er und ich stöhne entnervt. Auf Evans dämliche Spielchen habe ich keine Lust. Nicht jetzt.

»Wie oft eigentlich noch, Evan? Er ist nicht mein Freund, er ist mein bester Freund! Und hör auf immer so abwertend über Shane zu sprechen!« Ich weiß auch nicht warum mir dieses Detail so wichtig ist, vielleicht, weil Evan in die wenigen Worte unnatürlich viel Ekel und Abscheu legt.

»Mich interessiert nicht, was dieser Typ für dich ist«, fährt er unberührt fort, doch ich unterbreche ihn.
»Fein!«, zische ich aufgebracht. »Und du warst da drin, weil du nebenbei als Stalker arbeitest, oder was?«

Evan funkelt mich mit einem Mal zornig an, aber ich denke nicht im Traum daran meine harschen Worte zurückzunehmen.
»Wenn du glaubst, dass ich deinetwegen die Bibliothek besucht habe, muss ich dich leider enttäuschen, Maggs

Ich hasse den abfälligen Ton, mit dem er meinen Namen in den Mund nimmt, aber noch mehr hasse ich Evan selbst. Bisher haben wir noch keine einzige Unterhaltung führen können, in der er nicht entweder unverschämt oder herablassend zu mir gewesen ist.

»Du hast nicht das Recht dazu mich Maggs zu nennen! Das dürfen nur meine Freunde und zu denen zählst du ganz sicher nicht!«, fauche ich.
»Das interessiert mich nicht, Maggs

Die fröhlichen Gespräche, der anderen Leute, die aus der Bibliothek treten, bemerke ich kaum, als ich unvermittelt einen Schritt auf Evan zu gehe. Dieser zeigt keine Regung und sieht mich weiterhin wie ein kleines Insekt an, welches er jederzeit mit Leichtigkeit zertreten kann.

»Du bist das mit Abstand größte Arschloch, welchem ich jemals in meinem Leben begegnen musste!«, keife ich und bohre ihm meinen Zeigefinger in die Brust, ungerührt dessen, dass ich ihn dadurch noch deutlich mehr provoziere. Plötzlich packt er mein Handgelenk, doch sein Griff ist so sanft, dass es im harten Kontrast zu seinen zu Schlitzen verengten Augen steht.

»Ich bin unverschämt, ich bin unhöflich und ich bin ein verdammtes Arschloch«, flüstert er und ist mir mit einem Mal so nah wie gestern, sodass ich Evans herben Duft wahrnehmen kann, der mich aus unerfindlichen Gründen an einen warmen, regnerischen Sommertag erinnert.

Evans heißer Atem prallt auf meine Lippen und ich stocke mitten in meinem Drang ihn zurechtweisen und beschimpfen zu wollen.

Das Licht der Straßenlaterne wirft Schatten auf Evans attraktives Gesicht mit der kantigen Kinnpartie und den hohen Wangenknochen. Er lässt mein Handgelenk los, allerdings nur, um mit seinem Daumen den Weg zu meiner Wange zu finden, die sich bei seiner Berührung erhitzt. Ich bringe keinen Ton mehr heraus.

»Du bist süß, wenn du rot wirst«, wispert Evan, dessen Gesichtszüge sich nun merklich entspannen, während er fast schon zärtlich die Partie meiner Lippen nachzeichnet. Ich schnappe unbewusst nach Luft, als ich mich in der gleichen Situation wie gestern wiederfinde.

Meine Augen finden ihrerseits nun auch den Weg zu Evans geschwungenen Lippen, die mich voller Sinnlichkeit einladen. Mein Herzschlag verschnellert sich, als ich meine Hände auf seiner Brust ablege, um ihn von mir zu schieben. Aber ich tue es nicht. Seine Nähe scheint mir die letzte Vernunft zu rauben und auch der noch so klitzekleine Gedanke kommt mir abhanden.

Ich stehe völlig neben mir und versuche mich daran zu erinnern, wo ich gerade bin und was ich hier eigentlich tue. Noch während ich mich davon zu überzeugen versuche, dass Evan nur wieder mit mir spielt und ich das nicht länger zulassen darf, ist es ausgerechnet Evan, der mir das Gegenteil beweist. Er legt seine Lippen auf meine, küsst mich wie keiner vor ihm und erwischt mich damit völlig unvorbereitet.

Light up my WorldWhere stories live. Discover now