⊱Kapitel 61⊰

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Mit einem erleichterten Seufzer schließe ich die Tür hinter mir und verlasse das Haus. Moms wütenden Blick hinter mir zu lassen, fühlt sich kurzweilig wie der Himmel auf Erden an, wenngleich ihre Schimpftirade sicher noch nicht beendet gewesen wäre, hätte sie von Evans Übernachtung in meinem Bett gewusst, und die Zeit nicht gedrängt.

Ein Blick auf mein Handy bestätigt mir, dass ich vermutlich rennen muss, um nicht zu spät zu Geschichte zu kommen. Mrs Turner würde meine Abwesenheit sicher nicht gefallen, zudem sie uns heute alle wichtigen Informationen für den Test nächste Woche geben wollte. Was meine Gedanken wieder auf den Englischtest heute Nachmittag lenkt. Super.

»Worüber schreiben wir noch gleich?«, murmele ich mir selbst zu und bemerke frustriert, dass ich nicht die geringste Ahnung habe. »Mist!«
»Auch spät dran?«, fragt plötzlich eine Stimme direkt neben mir.

Es ist Shane. Seine blauen Augen sehen mich fragend über den weißen Zaun an, der die Grundstücke unserer Eltern voneinander trennt. In der einen Hand hält er seinen blauen Rucksack, den er sich nun über seine rechte Schulter wirft. Mit der anderen fährt er sich fast ein bisschen nervös, durch die erst frisch geschnittenen blonden Locken.

»Sieht ganz danach aus, nicht?«, erwidere ich mit einem zögerlichen Lächeln, welches meine Unsicherheit nach der Sache von gestern sicher noch unnötig unterstreicht.

Aber die Wahrheit ist, dass ich keine Ahnung habe, wie ich in seiner Gegenwart reagieren soll. Shane verzieht das Gesicht. Natürlich ist ihm mein distanziertes Verhalten ebenso schnell aufgefallen, wie mir sein neuer Haarschnitt. Ich senke den Blick und umfasse die Henkel meines Rucksacks ein wenig fester. »Wir sollten ...«

»Wir müssen uns beeilen, um nicht zu spät zu kommen«, unterbricht mich Shane. »Willst du mitfahren?«
Shane ist noch nie mit dem Auto in die Schule gefahren. Dass er es jetzt tut, lässt mich aufgewühlt zurück, denn das ist nicht sein normales Verhalten.

Es herrscht unbehagliches Schweigen, als Shane den Wagen aus der Auffahrt lenkt und sich in den morgendlichen Verkehr einfädelt. Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, rede ich über das Wetter. Erbärmlich.
»Ich habe Evan gesehen«, sagt Shane unvermittelt und lässt somit meine Ausschweifungen über die enorme Hitze des heutigen Tages verstummen.

»Wann?«
Ich muss es eigentlich nicht hinterfragen, weil ich genau weiß, dass er den heutigen Morgen meint.
»Er hat bei dir übernachtet.«
Es ist keine Frage, sondern viel mehr eine Feststellung. Shane schüttelt aufgebracht den Kopf, aber es würde nichts bringen ihn anzulügen.

»Hat er«, bestätige ich vorsichtig.
»Er liebt dich?«
Ich nicke, während mein Herzschlag außer Kontrolle gerät. Evan liebt mich. Es fühlt sich noch immer unwirklich an, fast schon zu schön um wahr zu sein. »Und ich liebe ihn.«
Auch wenn ich es nicht gerne in Shanes Gegenwart ausspreche, fühlt es sich richtig an.

»Herzlichen Glückwunsch«, erwidert mein bester Freund halbherzig. Mir wird das Herz schwer, aber ich kann nichts tun, um die Situation besser zu gestalten – weder für ihn noch für mich.
»Danke«, murmele ich betreten und kaue unsicher auf meiner Lippe. »Du wirst es ihr doch nicht erzählen, oder doch? Das von Evan und mir?«

Es sind nur noch zwei Querstraßen bis zur Schule und ich habe Angst mit ihm in einem Streit auseinanderzugehen. Die Uhr im Armaturenbrett zeigt, dass Shane und ich pünktlich sind. Hätte er mich nicht mitgenommen, wäre es anders gekommen.

Shanes blaue Augen erfassen meine nur kurz, weil er sich auf die Straße konzentrieren muss.
»Nein, werde ich nicht. Ich habe dir versprochen mich nicht mehr in deine ... Angelegenheiten einzumischen. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf, dann den, dass du es deiner Mutter selbst erzählen solltest. Ich denke sie sollte darüber Bescheid wissen, insbesondere wenn du Evan wahrhaftig liebst.«

»Ja, du hast wahrscheinlich recht.« Aber wie wird sie reagieren? Das letzte Mal als sie Evan zu Gesicht bekommen hat, hat er sich mit ihr angelegt und absichtlich keinen guten Eindruck hinterlassen. Die Begegnung ist alles andere als glücklich verlaufen und plötzlich bin ich mir sicher, dass die nächsten ebenfalls schlecht verlaufen werden. Nicht, weil Evan meist unhöflich ist, sondern, weil Mom nicht viel von ihm hält und ihm deswegen keine Chance geben wird.

Sie hat Evans Tattoos gesehen und ihn augenblicklich in eine Schublade gesteckt. Genau das, was ich bei unserem ersten Treffen und den meisten danach ebenfalls getan habe. Solange bis ich ihn besser kennengelernt und hinter seine Fassade geblickt habe.

Evan wartet bereits auf mich, als ich den Parkplatz allein überquere. Vielleicht hat Shane gespürt, dass er auf mich wartet und läuft deswegen mit Absicht einen Umweg über den Sportplatz. Vielleicht liege ich aber auch falsch und er hat mich nicht belogen, als er meinte, er hätte noch etwas Wichtiges mit dem Coach zu besprechen.

»Wie konntest du bloß schneller sein als ich?«, frage ich belustigt und betrachte die frische Kleidung und die noch leicht vom Duschen feuchten Haarsträhnen. Evan lächelt verschmitzt und legt mir einen Arm um die Taille.

»Ich konnte es kaum erwarten dich wiederzusehen. Das war Anreiz genug, um mich zu beeilen. Außerdem will ich allen zeigen, dass du ab heute zu mir gehörst und niemand mehr eine Chance bei dir hat.«

»Gefällt mir«, gebe ich zu. Evan verflicht meine Hand mit der seinen, dann spazieren wir auf das Schulgebäude zu und ... »Die starren uns alle an.«
Es sind wirklich alle. Jeder der zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn noch vor der Schule herumlungert, begafft uns schamlos.

Als wir an einer Traube jüngerer Mädchen vorbeilaufen, höre ich sie wild tuscheln und hätte mich am liebsten verkrochen. Ich hasse es Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
Evan dem das nicht entgangen ist, lacht leise.

»Was meinst du? Ob wir mit einem Artikel in der Arcadian landen? Oder stecke ich meine Anforderungen da doch ein wenig zu hoch an?«
»Wenn auch nur ein Wort über mich in diesem Klatschblatt steht, schwöre ich die ganze Redaktion niederzubrennen! Ich weiß, wo der Schlüssel liegt«, schnappe ich nicht gerade begeistert über einen Artikel in der Schülerzeitung.

Evan lässt ein weiteres, glückliches Lachen ertönen.
»Mir würde es nur gefallen, wenn auch ein Foto von uns mit drin wäre.«
Verwundert ziehe ich die Augenbrauen nach oben.
»Welches Bild meinst du?«

Wir bleiben im Schatten des Schulgebäudes stehen und Evan streicht mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Grübchen auf seinen Wangen bescheren mir weiche Knie.
»Dieses hier«, murmelt er mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und küsst mich.

Light up my WorldWhere stories live. Discover now