⊱Kapitel 79⊰

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Für mich war die Zeit schon immer mehr als nur ein beständiges Vergehen von Sekunden, Minuten oder Stunden. Es gab Tage, die nicht enden wollten und andere, die viel zu schnell auf mich zugekommen sind. Das Ticken der Uhr blieb stets gleich, aber mein Empfinden nicht.

Die Haustür öffnet sich und William tritt ein. Auf seinen Lippen ein zufriedenes Lächeln, dass sich binnen eines Wimpernschlags auflöst.
Die Zeit verdichtet sich und zieht sich wie ein Kaugummi. Ehe ich begreife, was geschieht, sehe ich wie Evan auf mich und Keith zustürzt. Keith, der abgelenkt von dem unerwarteten Auftauchen von Evans Vater ist, sieht ihn nicht kommen und kann dementsprechend nicht rechtzeitig reagieren.

Ein Schuss löst sich aus Keith’ Waffe, als er ihn umstößt. Das Geräusch ist so laut, dass meine Ohren klingeln, als meine Beine unter mir nachgeben und ich mit den Knien auf dem Boden aufschlage. Hinter mir kracht es, als Evan auf Keith landet und versucht ihm die Pistole zu entreißen.

Williams Gesicht ist kalkweiß, als ich vor Schmerz aufschreie und mir meinen linken Oberarm halte. Zwischen meinen Fingern rinnt Blut aus der Wunde und verbreitet einen metallischen Geruch im Raum. Ein saurer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus, als ich begreife, wo mich die Kugel hätte treffen können und wie viel Glück ich gerade eben hatte. Ein Streifschuss. Die Kugel steckt nicht in meinem Arm.

Keith brüllt auf Evan ein, aber ich verstehe nicht was er sagt, weil das Blut in meinen Ohren rauscht und im selben Moment William neben mir niederkniet.
»Keith ... Er hat uns überrascht ... Polizei ... helfen«, stammele ich zusammenhangslos.

Aber anstatt sofort die Behörden zu informieren, schüttelt William bloß den Kopf und versucht mich auf die Beine zu ziehen.
»Erstmal bringe ich dich raus«, sagt er fest entschlossen.

Ich will mich weigern und Evan helfen, der vor Anstrengung und Zorn schreit, aber auch mir ist bewusst, dass ich mit der Wunde nicht viel ausrichten kann. Filme und Bücher mögen uns zwar unterbreiten, selbst mit Kugeln im Körper noch immense Kräfte entwickeln zu können, doch die Wahrheit sieht anders aus. Der Schmerz eines Streifschusses ist bereits zu groß, als dass ich jetzt auch nur einer Fliege etwas entgegenzusetzen hätte.

Mit Williams Hilfe schaffe ich es mich aufzurappeln und nach draußen zu gelangen. Die Sonne sticht in meinen Augen und die leichte Brise kühlt den Schweiß auf meiner Haut. Bevor William zurück ins Haus geht, sieht er mich eindringlich an. Vermutlich versucht er abzuschätzen, ob er mich in meinem Zustand allein lassen kann. Sein Blick verweilt ein wenig länger auf meinem blutenden Arm.

»Evan!«
William versteht mich. Er muss ihm helfen, nicht mir. Ich komme zurecht. Meine Sicht verschwimmt, als er verschwindet. Erst da gestatte ich mir mich erschöpft an den Wagen von Evans Vater zu lehnen, hinter dem er mich in Sicherheit gebracht hat und in eine sitzende Position zu rutschen.

Von irgendwoher höre ich eine laute Sirene näher kommen und bin mir sicher, dass ein Nachbar den Schuss gehört und die Polizei gerufen haben muss. Mir steigen vor Erleichterung Tränen in die Augen. Gleich ist es vorbei, jeden Moment haben wir es geschafft. Nur noch ein bisschen ...

Ein zweiter Schuss zerreißt die Stille und mein Herz setzt einen Schlag aus.
Mein erster Gedanke ist, dass es Evan erwischt hat und ich ihn niemals wieder sehe. Ehe ich begreife, was ich tue, ist mein Körper schon wieder auf den Beinen. In diesem Augenblick spüre ich keine Schmerzen und laufe wie in Trance auf die Tür zu.

Ich muss sehen, ob es Evan gut geht. Das ist mein einziger Gedanke.

Aber bevor ich es zurück ins Haus schaffe, werde ich plötzlich an der Schulter gepackt. Es ist ein fremder Mann in Uniform. Er verliert keine Zeit und stellt mir ein paar Fragen. Ich weiß, dass ich sie beantworte, denn er nickt ernst und verschwindet keine Sekunde später aus meinem Blickfeld. In meinen Ohren höre ich mein eigenes Blut rauschen.

Sofort ist eine weitere Beamtin an meiner Seite. Auch sie redet mit mir. Ich verstehe nicht was sie sagt.
»Ich muss wissen, wie es Evan geht!«, schreie ich unter Tränen und fühle mich einem Zusammenbruch nahe.

Die Polizistin lächelt nur und versucht mich zu beruhigen. Mittlerweile habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwann zwingt mich die Frau dazu mich verarzten zu lassen. Ich habe keine Ahnung woher der Krankenwagen und der Sanitäter gekommen ist.

Wo ist Evan?

»Die Blutung ist nicht so stark wie es aussieht, es muss nichts genäht werden.«
Mein Arm wird verbunden, während er etwas von Schock sagt. Er händigt mir ein paar Tabletten gegen die Schmerzen meines Armes aus, aber auch das bekomme ich kaum mit, als plötzlich William in Sicht kommt. Schluchzer schütteln meinen Körper und ich höre mich selbst schreien, als Evan ihm nicht augenblicklich folgt.

Das darf nicht sein!

Mein Magen rebelliert. Angst und Panik haben mich so stark im Griff, dass ich ihn beinahe übersehen hätte.
Als er mich mit seinen grünen Augen erfasst, hört er sofort auf mit dem Polizisten zu sprechen, der mir vorhin ebenfalls Fragen gestellt hat. Für mich gibt es kein Halten mehr.

Ich weine, als Evans Arme sich um mich schließen und er mich fest an seine Brust zieht.
»Du lebst«, schluchze ich und kralle mich in sein Shirt, als könne er jederzeit wieder verschwinden. »Dir geht es gut.«
Beruhigend streicht er mir über den Rücken, bis die Anspannung meinen Körper langsam verlässt.

»Ich hätte dich niemals allein gelassen«, flüstert Evan und hebt vorsichtig mein Kinn an, damit ich ihm in die Augen sehe. »Verdammt, du glaubst nicht wie viel Angst ich um dich hatte! Tut es sehr weh?«
Ich schüttele den Kopf und betrachte die Verletzungen, die auch Evan von dem Kampf gegen Keith davongetragen hat.

Ich bin so erleichtert, dass es Evan gut geht, dass die Tränen einfach nicht aufhören wollen.
»Nicht wenn du bei mir bleibst.«
»Das werde ich«, verspricht er und vergräbt sein Gesicht in meinem Haar. »Immer.«

Light up my WorldWhere stories live. Discover now