⊱Kapitel 60⊰

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»Maggie, du kommst zu spät zur Schule!«
Ich brumme verschlafen und kuschele mich tiefer in mein Kissen.
Es ist noch viel zu früh um in die Schule zu gehen. Der Englischtest ist erst in der vorletzten Stunde und ich ...

»Wer schreit um diese Uhrzeit? Ich will verdammt noch mal schlafen«, grummelt eine tiefe Stimme direkt neben meinem Ohr und meine Lider klappen auf.
Sofort steht mein gesamter Körper unter Strom und ich bin hellwach.
Scheiße, scheiße, scheiße!
»Maggie!«

»Bin wach, Mom!«, brülle ich zurück, aber Evan ist es ganz bestimmt nicht. Wie bin ich gestern nur auf die hirnverbrannte Idee gekommen Evan mit zu mir nach Hause und in mein Bett zu nehmen? Wenn ihn meine Mutter hier entdeckt bin ich tot.

Vorsichtig rüttele ich den attraktiven Jungen, aber der brummt nur missmutig und lässt die Augen geschlossen.
»Müde«, sagt er mit krauser Stirn und bringt mich damit zum Grinsen. Nach dem, was ich gestern über Evan und seine Vergangenheit erfahren habe, hätte ich nicht gedacht so schnell wieder Lächeln zu können.

Aber mein Grinsen vergeht mir schnell, als ich ihm die Bettdecke entwinde. Evan muss, nachdem ich eingeschlafen bin, sich seiner Klamotten entledigt haben. Ich habe darauf bestanden, dass er in seinen Sachen schläft, aber ihm muss es zu warm gewesen sein.

Neben meinem Bett entdecke ich sein graues Shirt und die verwaschene blaue Jeans. Einzig seine schwarze Boxershorts trägt er noch und gewährt mir dadurch einen perfekten Blick auf seinen muskulösen Oberkörper.

Unterhalb seiner Schlüsselbeine verranken sich die Äste eines Baumes ohne Blätter ineinander, die manchmal aus dem U-förmigen Ausschnitt seiner T-Shirts lugen. Ich kann nicht anders, als sie vorsichtig mit den Fingerspitzen zu berühren.

Als ich den Drachen nachzeichne, der sich über die rechte Hälfte seines flachen Bauches zieht und von dem die untere Hälfte deutlich sichtbar im Bund seiner schwarzen Boxershorts verschwindet, ertönt plötzlich ein heißeres Lachen. Evan hat die Augen leicht geöffnet. Das Grün scheint heute besonders intensiv zu leuchten.

»Du bist wunderschön«, wispere ich, ehe er etwas sagen kann.
»Wunderschön? Meinst du nicht eher heiß und sexy?«, hakt Evan amüsiert nach und setzt sich auf. Es scheint ihm überhaupt nicht peinlich zu sein, fast nackt vor mir zu sitzen. Wir sehen uns in die Augen und ich vergesse meine Mutter und die Zeit, die uns zur Eile drängt.

»Hat es sehr weh getan?«, frage ich stattdessen und gehe nicht auf seine Frage ein.
»Warum, möchtest du auch eins?«, schmunzelt er und betrachtet mich aufmerksam.
»Ich weiß nicht. Vielleicht ... irgendwann?« Vermutlich nicht.

Ich bin ein ganz schönes Weichei und irgendwie glaube ich nicht, dass ein Tattoo zu mir passen würde. Evan stehen sie jedenfalls um einiges besser als mir.

»Das erste hat schon irgendwie weh getan«, gesteht Evan und fährt sich durch seine braunen Locken, während er meine Fingerspitzen betrachtet, die auf dem Rosentattoo seines linken Arms zum Liegen kommen. Ich sehe, wie er sich auf die volle Unterlippe beißt. »Aber man gewöhnt sich an den Schmerz, bis man ihn kaum noch spürt.«

Er verflicht unsere Hände miteinander und schenkt mir ein sanftes Lächeln.
»Du bist wunderschön.«
»Mit zerzaustem Haar und Schlafsachen?«, hake ich schmunzelnd nach und will mir das Vogelnest auf meinem Kopf nicht mal vorstellen. »Ich glaube wir haben verschiedene Definitionen von ›wunderschön‹.«

Evan zieht mich mit einer geschmeidigen Bewegung auf seinen Schoß. Sein Atem trifft auf meine Lippen und ich begrüße das Gefühl meines wild pochenden Herzens.
»Du bist meine einzige Definition von schön, Maggs.«

Die Zeit verschwimmt wie die Farben eines Aquarells. Es ist der sanfte Ausdruck, der um Evans Mundwinkel spielt, die leuchtenden Sonnenstrahlen, die durch mein Zimmerfenster fallen und das Braun von Evans Haar einen atemberaubenden goldenen Schimmer verleihen. Es ist alles und noch so vieles mehr, was mir die Gewissheit verschafft, dass ich ihn aus tiefstem Herzen liebe.

»Du bedeutest mir mehr, als gut für dich ist«, flüstert er, seine Lippen küssen die empfindliche Haut meines Halses und ich schließe genussvoll die Augen. »Sag, dass ich aus deinem Leben verschwinden soll.«
»Ich kann nicht, Evan.«

»Du weißt nicht, was du tust. Ich könnte dein Untergang sein, Maggie. Du kannst nicht jeden retten. Auch das gütigste Herz bricht irgendwann.«
»Ich will nicht jeden retten. Nur dich.«

Evan berührt zärtlich meine Wange.
»Du hast einen Fehler gemacht, Maggs«, sagt er. In seinen Augen sprühen Funken, die mir ein nervöses und doch freudiges Bauchkribbeln bereiten. »Denn jetzt werde ich dich sicherlich niemals mehr gehen lassen.«
»Dann tu es nicht«, erwidere ich atemlos. Im Nu dreht uns Evan so, dass ich unter ihm auf der Matratze liege. Seine Lippen schweben nur Millimeter über meinen.

»Ich liebe dich, Maggs«, wispert er und ich hege keinen Zweifel an seiner Aussage. Mein Gesicht muss vor Glück und Liebe strahlen.
»Ich liebe dich, Evan.«

Der Zeitpunkt ist bestimmt alles andere als perfekt und bei weitem nicht so romantisch, wie die ganzen Hollywoodfilme zeigen. Wer gesteht sich schon seine Liebe kurz nach dem Aufstehen, während man sich eigentlich für den Tag fertig machen sollte und eine entzürnte Mutter brüllend gegen die verschlossene Tür klopft?

»Maggie Frey, mach das du aufstehst!«

Evan und ich lösen und voneinander.
»Wir sehen uns in der Schule, Maggs«, sagt er mit einem breiten Lächeln und Grübchen auf den Wangen.
»Was wirst du jetzt tun?«, frage ich irritiert und ignoriere meine Mutter, die unentwegt klopft. Sicher denkt sie, ich sei wieder eingeschlafen.

Evan zieht sich seine Jeans und anschließend sein Shirt an.
»Du machst dich brav fertig und beruhigst deine Mutter.« Er gibt mir einen keuschen Kuss auf den Mund und durchquert anschließend mein Zimmer. »Und ich nehme in der Zwischenzeit das Fenster, damit sie nicht beschließt dich meinetwegen in ein Mädcheninternat zu stecken.«

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