⊱Kapitel 66⊰

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Wir fahren erst spät zurück nach Hause. Obwohl Evan die ganze Zeit über ruhig und distanziert war, habe ich gesehen wie sehr William und auch Kate seine Anwesenheit genossen haben. Der Abend hat ihnen viel bedeutet und ich bin froh darüber, dass er so entspannt verlaufen ist.

»Hat dir der Abend gefallen?«
In Evans Stimme schwingt Unsicherheit mit.
»Ja, ich habe schon lange kein Essen mehr im Familienkreis gehabt. Es war wirklich schön und die kleine Juliette ist einfach bezaubernd.«
Das bringt Evan zum Lächeln.
»Das ist sie«, meint er, während er den Wagen geschickt durch den wenigen Verkehr lenkt.

Augenblicklich denke ich an meine eigene Familie, die durch Dads Affäre zerstört wurde. Mein Vater Kilometer weit weg in einer anderen Stadt, meine Tante und mein Onkel, die wegen dem angespannten Verhältnis nur noch selten vorbeikommen und meine zu tiefst verletzte Mutter, die sich ganz in ihre Arbeit stürzt. Ob sich das jemals wieder ändern wird?

»Wirst du deinem Vater jemals verzeihen können?«, frage ich, um nicht mehr an meine eigene kaputte Familie denken zu müssen.
Evan umklammert das Lenkrad ein wenig fester.
»Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich war ich nur hier um das Baby zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich schon dazu bereit bin.«

»Ich weiß. Aber man kann nicht ewig wütend sein, Evan. Wir alle machen Fehler, ständig. Meinst du nicht, es ist an der Zeit die Vergangenheit ruhen zu lassen und zu vergeben? Ich glaube, William tut es wirklich leid, was er getan hat. Er hat den ganzen Abend versucht eine ungezwungene Unterhaltung mit dir zu führen.«

Evan nickt langsam, ohne mich jedoch dabei anzusehen. Stattdessen behält er den Blick angestrengt auf die Straße gerichtet. Es ist nicht weit bis zu mir. Ich weiß, dass unsere Unterhaltung jeden Moment beendet sein wird.
»Vielleicht hast du recht. Das hat er mir gestern auch gesagt.«

»Willst du mir von der Unterhaltung erzählen?«

»Bist du sicher, dass du hören willst, was ich alles zu ihm gesagt habe? Das meiste war nicht wirklich ... nett.«
Das treibt ein Lächeln auf meine Lippen. Früher hätte er sich keine Gedanken darüber gemacht, ob manche Wörter nett sind oder nicht. Er hätte sie mir einfach gegen den Kopf geschleudert.

»Und doch bist du schlussendlich seiner Einladung gefolgt«, bemerke ich freudig.

»Dein Verhalten muss auf mich abfärben«, grinst er und nun sieht er mich doch an. Das atemberaubende Grün seiner Augen strahlt pure Lebensfreude und Glück aus. Er sieht mich an, als wäre ich das Einzige, was er in seinem Leben braucht und ich fühle mich besonders und aus tiefstem Herzen geliebt.

»Ich nehme das mal als Kompliment.«
Er hält den Wagen am Straßenrand, direkt gegenüber von meinem Elternhaus. Das Auto meiner Mutter steht in der Einfahrt, was bedeutet, dass ich ihn nicht mit ins Haus bitten kann.
»Das sollte es auch sein.«

Ich löse den Sicherheitsgurt um mich im Sitz besser drehen zu können. Mit den Fingerspitzen meiner linken Hand berühre ich Evans Wange, erst dann küsse ich ihn. Obwohl ich einen kurzen Kuss geplant habe, scheint etwas anderes in Evans Interesse zu liegen, der den Kuss augenblicklich vertieft.

Noch will ich Evan nicht verlassen und aus dem Auto steigen. Stattdessen würde ich gerne noch länger seine Lippen auf meinen spüren und seine Hände, die zärtlich durch mein braunes Haar streichen. Aber wir wissen beide, dass das nicht möglich ist und ich gehen muss.

Ich ziehe mich langsam zurück und gebe ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Dann steige ich aus und überquere die Straße. Erst als die roten Rücklichter in der Dunkelheit verschwunden sind, schließe ich die Tür auf und betrete das Haus.

Irgendetwas stimmt nicht. Ich bemerke es sofort. Die Lichter sind gedimmt und von der Küche dringt hastiges Flüstern an mein Ohr.
»Mom?«, rufe ich verunsichert. »Jules?«
Augenblicklich wird es still. Plötzlich schwere Schritte auf dem Parkett.

»Maggie, du bist ja schon wieder da! Wie war dein Abend, mein Schatz? Haben Zara und du euch amüsiert?«
Mom kommt um die Ecke, gekleidet in ein teuer aussehendes schwarzes Kleid, was ich zum letzten Mal vor etwa drei Jahren zu Gesicht bekommen habe. Mein Vater hat es ihr damals zum Hochzeitstag geschenkt.

Dazu hat sie schwarze Pumps kombiniert und ein elegantes Make-up aufgetragen. Ihr frisch gefärbtes braunes Haar trägt sie zu seidigen Locken gedreht und offen.
Mir fallen bei ihrem Anblick beinahe die Augen aus dem Kopf.

»Ja, ähm ... das haben wir. War toll. Sag mal, hast du etwa Besuch?«
Ich versuche einen Blick um die Ecke und in die Küche zu werfen, aber Mom versperrt mir geschickt die Sicht. »Und wo ist Jules?«

»Jules übernachtet heute bei Justin und sie hat Dusty mitgenommen.« Langsam wird mir ihr breites Lächeln unheimlich. Obwohl ich weiß, dass sie mir offen ins Gesicht lügt, kann ich nichts sagen. Ich habe nicht das Recht dazu, schließlich belüge ich sie im Gegenzug ebenfalls. Immer wenn ich Zeit mit Evan verbringe, sage ich ihr, ich wäre bei Zara.

Dennoch ist es nicht richtig, dass wir uns gegenseitig etwas verschweigen.

»Ach übrigens, dieser Brief ist heute Nachmittag mit der Post gekommen«, fährt Mom fort, ehe ich nachhaken kann, warum sie sich so aufgebrezelt hat. Sie geht zurück in die Küche, kommt aber sogleich zurück, um mir einen weißen Umschlag in die Hand zu drücken.

Ich weiß, wann ich bei meiner Mutter nicht weiterkomme und genau das ist so ein Moment. Wir Lächeln uns beide an und tun so, als ob alles in Ordnung sei. In Wirklichkeit ist es nicht mehr als eine schlechte Maskerade. Sie will mir nicht sagen, wer sich in unserer Küche befindet und ob sie wie Dad vielleicht jemand neues gefunden hat.

»Danke. Ich glaube ich gehe dann mal nach oben und schau mir noch einen Film an. Vielleicht schlafe ich auch. Der Tag war lang und morgen ist Schule.«
Meine Mutter nickt sichtlich zufrieden.
»Möchtest du noch etwas essen?«, fragt sie höflich, obwohl sie mich eindeutig loswerden will.

»Zara und ich waren schon Pizza essen«, erwidere ich, um mich anschließend schnell nach oben zu verziehen. Ich öffne meine Zimmertür und schleudere meine Tasche zusammen mit dem Brief auf mein Bett. Dann verlasse ich es wieder und schlage die Tür zu, sodass ich mir sicher sein kann, dass meine Mutter es bis nach unten gehört haben muss.

Lautlos schleiche ich zurück zur Treppe und setzte mich auf die oberste Stufe.
Ich sollte akzeptieren, dass sie Geheimnisse vor mir hat.

Sollte.
Aber ich kann es nicht.

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