Kapitel 07

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„Ich bin paranoid. Er macht mich wahnsinnig", schimpfte Mercedes, stand von Boden auf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Jedesmal wenn sie ein Fenster passierte, warf sie einen prüfenden Blick nach draußen und ging sicher, dass Hayden nicht wieder vor ihrem Haus parkte und auf den richtigen Moment wartete, um sie abzufangen.
Wahnsinn. Sie würde wahnsinnig werden, wenn er weiterhin einen Großteil ihrer Gedanken ausmachte. Hoffentlich hatten Phoebes Worte Früchte getragen und er würde sich endlich von ihr fern halten. Sie musste daran denken, was sie sich im Leben für Ziele gesetzt hatte. Beruflicher Erfolg. In erster Linie wollte Mercedes in die Fußstapfen ihres Vaters treten und das Familienunternehmen übernehmen, was die Übernahme von Unternehmen auf allen Kontinenten sowie die Verantwortung für über 2 Millionen Arbeitsplätze bedeutete. Mercedes war sich sicher, dass sie für die Position geeignet war und das sie mit etwas Fingerspitzengefühl und Taktik ihr Unternehmen noch weiter expandieren konnte.
„Denk an deine Ziele", ermahnte sie sich erneut selbst, schnappte sich ihren Rucksack und verließ eilig das Haus, nachdem sie sich eine Wasserflasche und etwas Verpflegung eingepackt hatte. Sobald sie ihre Kopfhörer im Ohr hatte, beschleunigte sie ihre Schritte und begann ihre wöchentliche Joggingrunde. Sie atmete den frischen Duft des Waldes ein und genoss das Gefühl in der Früh, wenn die Luft noch angenehm kühl war und die meisten Kommilitonen noch schliefen, zu laufen. Sie stellte sich vor, dass sie auf dem Weg von ihrem Wohnheim zum Strand all ihre Sorgen verlor und fühlte sich nach ihrer Sporteinheit meist befreit und frisch für die neuen Probleme des Alltags. Erneut beschleunigte sie ihre Schritte, um den Park sowie die kurze Stadtpassage hinter sich zu lassen.
Sie blieb erst stehen, als sie den Sand des Strandes unter ihren Turnschuhen spürte. Erleichtert glitt sie aus den Schuhen, zog ihr Jäckchen aus und genoss das Gefühl des Sandes zwischen ihren Zehen, während sie zu ihrem Lieblingsplatz auf einer Düne zwischen dem hohen Gras ging. Nachdem die Decken ausgebreitet war, setzte sie sich, zog ein Buch aus der Tasche und aß ein Butterbrot. Es war kurz nach halb Acht am Morgen und sie fühlte sich fit für den Tag.
Lächelnd legte sie sich auf die Decke, schloss die Augen und atmete tief durch.

„Wohin gehen wir, Hayden?" Neugierig sah sie sich um. Es war dunkel und sie liefen über einen Trampelpfad. Das Geräusch von brechenden Wellen wurde immer lauter und durchbrach die sonstige Stille der Nacht.
„Wir gehen an meinen Lieblingsort", teilte er ihr mit, während er ihr einen Ast aus dem Weg hielt. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie das sich ihr bietende Bild.
„Hayden, das ist .." Zwei starke Hände legten sich auf ihre Schultern und ein fester Körper stand dicht an ihrem Rücken.
„Wunderschön? Magisch? Atemberaubend?"
„Ja."
Hayden nahm plötzlich ihre Hand und zog sie hinter sich her über die weitläufige Lichtung zur Klippe. „Komm mit. Von hier ist es noch viel schöner."
„Hayden, ich ..." Mercedes stemmte die Füße in den Boden und machte sich schwer. Abrupt hielt er inne, drehte sich zu ihr um und sah sie verwirrt an. „Höhenangst."
Sofort wurden seine Gesichtszüge weicher. Er machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr eine lose Locke aus dem Gesicht. „Vertraust du mir?"
„Ich .. Ich bin ehrlich gesagt nicht gut im Vertrauen." Vertrauen? Welchem Menschen vertraute sie? Ihren Eltern und ihrer Schwester definitiv nicht und da endete auch schon die Liste ihrer Freunde, Bekannte und Verwandte. Sie schluckte und wand beschämt ihr Gesicht ab.
Sanft legte er ein Finger unter ihr Kinn und zwang sie ihn anzusehen. „Ich werde mir dein Vertrauen verdienen. Auf mich kann man sich immer verlassen."
Überrascht sah sie ihn an, als er ihre Hand los ließ und einige Schritte zurück näher zur Kante machte. Was tat er da?
„Hayden, was ..?"
Er setzte sich auf den staubigen Boden und bedeutete ihr sich zu ihm zu setzen.
Nervös trat sie von einem aufs andere Beine und dachte angestrengt nach. Hayden hatte abwartend die Arme ausgebreitet und beobachtete aufmerksam die verschiedenen Emotionen, die sie in diesem Moment überkamen und sich deutlich auf ihrem Gesicht abzeichneten.
Entschlossen machte sie einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Hand in die seine. Vorsichtig ging sie neben ihm in die Knie.
„Nein, komm her." Mit einem beruhigenden Lächeln bedeutete er ihr sich vor ihn zu setzen, sodass er sie in seine Arme einschließen konnte. Ihr Herz schlug ganz schnell und ihre Hand kribbelte dort, wo sie einander berührten.
Langsam kam sie seiner Aufforderung nach und atmete tief durch, als sie sich mit dem Rücken an seine Brust lehnte und er seine Arme um ihren Bauch legte. Hätte ihr jemand vor knapp einem Monat gesagt, dass sie heute mit Hayden Carmichael an der Klippe sitzen und die Sterne beobachten würde, dann hätte sie demjenigen einen Vogel gezeigt und gelacht.
„Die Chancen heute eine Sternschnuppe zu sehen, stehen gut." Sie drehte sich leicht in seinen Armen, sodass sie ihm besser in seine faszinierenden, kristallblauen Augen sehen konnte.
„Hast du etwas, dass du dir wünschst?" Er lächelte und ihr Herz setzte einen Moment zu schlagen aus.
„Ja und du?" Nachdenklich sah sie wieder auf das Meer hinaus und kuschelte sich unbewusst dichter an ihn.
„Ich wünsche mir viel."
„So ein Wunsch muss gut überlegt sein. Denk darüber nach, was von all den Dingen, die du dir wünschst, dich am Glücklichsten macht. Die Liebe? Gute Noten? Beruflicher Erfolg für die Zukunft? Der sichere Halt einer liebevollen Familie?" Ihr war ganz flau im Bauch geworden.
„Hast du das aus einem Buch?", fragte sie ihn leicht belustigt sowie verwundert, da sie mit so viel Philosophie nicht gerechnet.
„Nein. Ich bin nicht belesen. Ich bin Sportler. Wir lesen nicht."
„Wenn du nicht so muskulös wärst, würde man dir das nicht abnehmen."
Er lachte. „War das gerade ein Kompliment?"
„Möglicherweise." Sie spürte wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und wand ihren Blick von ihm ab. „Ich bin froh dich vor vier Wochen angesprochen zu haben. Du bist wirklich etwas besonderes, weil du so ganz anders als die anderen Mädchen bist."
„Wieso sollte ich anders als die Anderen sein?" Sanft strich er ihr die Haare von der Schulter.
„Du gibst dich nicht mit dem zufrieden was du siehst. Du hinterfragst Dinge und bist auch nicht so naiv nur das zu glauben, was du siehst. Du siehst mehr in mir als das hübsche Gesicht und den strategischen, talentierten Sportler - und das hebt dich deutlich aus der Masse von Mädchen hervor, außerdem hast du andere Prioritäten. Die anderen Mädchen legen Wert auf Optik, Freunde und Spaß, während du dich auf deine Ziele für die Zukunft konzentrierst und nun endlich mal deine Bücher aus der Hand legst. Du bist etwas verdammt besonderes, Mercedes Richards."

UnverhofftWhere stories live. Discover now