Kapitel 13

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Ihr brummte der Schädel und sie drehte sich im Bett um. Jetzt wusste Mercedes wieder, wieso sie eigentlich kein Alkohol trank und selten Collegepartys besuchte. Der Morgen danach war immer die Hölle. Gottseidank fand heute keine Vorlesung statt, sodass sie hatte ausschlafen und in Ruhe wieder in die Welt der Lebenden zurückkehren können. Wie schafften Ruby und Quinn das nur immer?
Ächzend stützte sie sich auf einem Ellenbogen auf, holte ein paar Kopfschmerztabletten und eine Wasserflasche aus einer Schublade, schluckte die Tablette herunter und ließ sich seufzend wieder ins Bett fallen. Es war die Hölle.
Mit geschlossenen Augen versuchte sie sich an die vergangene Nacht, die Party und ihren Weg zurück in ihr Bett zu erinnern. Vergeblich. Einen solchen Filmriss hatte sie noch nie - und wenn sich das immer so anfühlte, dann war das auch ihr erstes und letztes Mal.
Es klopfte an die Tür. „Bist du schon wach, Mercedes?"
„Komm rein, Phoebe." Phoebe sah genauso schlecht aus wie Mercedes sich fühlte. Ihr Make-Up um die Augen rum war verlaufen, ihr Lippenstift war über ihre Wangen verschmiert und die Haare standen in alle Richtungen ab. Mit halbgeschlossenen Augen krabbelte sie über das Bett, hob die Decke an und legte sich neben sie.
„Ich fühle mich so schlecht."
„Ich weiß, was du meinst." Stumm blickte sie zusammen zur Tür und erinnerten sich wie der Abend begonnen hatte. Ab dem Zeitpunkt, wo sie eine Schnapsflasche nach der Anderen geleert haben, ist alles verschwommen oder gänzlich weg.
„Wie sind wir nachhause gekommen?"
Phoebe räusperte sich. „Hayden kam etwas eher zur Party zurück, hat uns beide Betrunkenen eingesammelt und uns hier abgesetzt."
„Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern." Phoebe sah sie traurig von der Seite an.
„Er mag dich wirklich, obwohl du echt dein Bestes gibst ihn abzuweisen."
„Was möchtest du damit sagen?"
„Zu der Erkenntnis sind wir vor etlichen Tagen schon gekommen. Du solltest auf Haydens Kennenlernversuche eingehen, ihn dich kennenlernen lassen und dann ist Zeit für die Wahrheit. Dieser Hin und Her, dass geht nicht länger." Mercedes seufzte.
„Es verwirrt mich selbst."
„Also jetzt kein zurück mehr, sondern nur noch vor?", fragte Phoebe mit belegter Stimme.
„Ja. Kein Zurück mehr." Klock. Klock. Irritiert wand Mercedes ihren Blick von Phoebe ab, setzte sich auf und blickte sich so aufmerksam wie möglich in ihrem Zimmer um. Was war das?
„Was ist das für ein Geräusch?", murmelte Phoebe, die ebenfalls aufstand und dem Geräusch langsam folgte. Klock. Klock. Klock. Sie warfen einander einen kurzen Blick zu, bevor sie an das Fenster traten und hinaus in den Vorgarten blickten. Hayden stand auf der Wiese und nahm etwas aus der Hand, das er kurz darauf an ihre Fensterscheibe warf und den Vorgang dann erneut wiederholte. Klock. Klock. Klock.
„Was macht er denn da?" Phoebe grinste.
„Das ist schon irgendwie romantisch", stellte sie fest, öffnete das Fenster und streckte den Kopf raus. „Guten Morgen, großer Bruder. Was machst du da?"
„Ist Mary da?", erklang seine tiefe, melodische Stimme und ein Schauer jagte ihr über den Rücken.
„Einen Moment, bitte."
Phoebe rückte vom Fenster weg, sodass Mercedes an ihrer Stelle hinausschauen konnte. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe. Hayden hatte seine Hände lässig in die Hosentaschen gesteckt und trug wie immer die schwarze Sonnenbrille zu seiner blauen Shorts und einem weißen T-Shirt, dass über der Brust spannte.
„Hey."
„Hey. Du schuldest mir nach gestern einen Gefallen und den fordere ich jetzt ein", grinste er.
„Wieso sollte ich dir etwas schulden?"
„Weil ich so freundlich war, dich nachhause und in dein Bett gebracht habe." In ihr Bett? Abrupt zog sie sich zurück und sah Phoebe an, die anteilslos mit den Schultern zuckte.
„Wie meint er das ‚Er hat mich ins Bett verbracht?'."
„Du bist eingeschlafen und wir haben es nicht geschafft dich zu wecken. Also hat er dich in dein Bett getragen und zugedeckt, bevor er selbst nachhause gefahren ist." Bevor sie etwas sagen konnte, redete Phoebe weiter. „Ich konnte dich schlecht die Treppe hoch bis in dein Zimmer tragen."
Na gut. Mercedes atmete tief durch, bevor sie wieder den Kopf zum Fenster herausstreckte und Hayden ansah, der nun triumphierend grinste. „Was willst du?"
„Ich wollte in die Mall fahren, weil dort ein neuer Waffelladen eröffnet hat."
„Denk dran, Vor und kein Zurück", flüsterte Phoebe, bevor sie ihr Zimmer verließ und Mercedes seufzte innerlich.
„Ich muss mich duschen und anziehen. Ich brauche 30 Minuten."
„Du hast dich widerstandslos geschlagen gegeben, dass werte ich als gutes Zeichen." Kopfschüttelnd schloss sie das Fenster, nahm sich frische Kleider aus dem Kleiderschrank und verschwand im angrenzenden Badezimmer, um eine heiße Dusche zu nehmen. Sie schlüpfte in einen schwarzen, lockeren Rock, ein geblümtes Top und Ballerinas, bevor sie sich eine kleine Handtasche von ihrer Kommode schnappte, ihr Portemonnaie sowie Handy reinwarf und schließlich knapp 25 Minuten später das Wohnheim zu verlassen. Hayden wartete in seinem Auto auf sie und ließ den Motor an, als sie die Tür öffnete und einstieg. Schweigend fuhr er los, wobei er sie aus dem Augenwinkel musterte.
„Hattest du nach gestern einen ordentlichen Kater?"
„Ja."
„Aber sonst geht es dir gut?" Mercedes nickte, wobei sie angestrengt aus dem Auto sah und die vorbeiziehenden Wohnheime betrachtete, bevor er auf die Hauptstraße abbog. Sie wollte ihm auf gar keinen Fall mitteilen, dass sie sich an fast nichts mehr erinnern konnte. Hoffentlich hatte sie nicht zu dumme Dinge angestellt.
„Kannst du den Kerl?", fragte er in diesem Augenblick und sie biss sich auf die Unterlippe. Was hatte sie getan?
„Welchen Kerl?"
„Den Kerl, den du zu küssen meintest, um zu demonstrieren, dass du nichts von mir willst." Ihr wurde schlecht. Sie konnte sich gar nicht daran erinnern mit jemanden geknutscht zu haben und das auch noch während Hayden anwesend war.
„Ich habe ihn bestimmt nicht geküsst, um zu demonstrieren, dass ich nichts von dir will." Er warf ihr einen flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel zu.
„Ach wirklich? Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du auf Männer in weißen Kordhosen, karierten Hemden, einfarbigen Pullundern und Fliege stehst. Männer, die zudem noch fettige, viel zu lange Haare, ein pickliges Gesicht und eine übergroße Nase haben."
Es fühlte sich an als käme ihr die Galle hoch. Hatte sie wirklich mit Herbert Bäcker geknutscht. Dem ekeligen Nerd, der sie seit ihrer ersten, gemeinsamen Vorlesung anstarrte, bei Partnerarbeiten immer mit ihr arbeiten wollte und sie mindestens einmal im Monat zum Essen einlud. Und den hatte sie geküsst? Bah. „Du kannst dich nicht mehr erinnern."
Hayden musste lachen, woraufhin sie ihm einen vernichtenden Blick zu warf. „Gut, dann habe ich ihn wohl geküsst, um dich nicht zu küssen. Was sagt das wohl über dich aus, wenn man lieber einen kleinen, widerlichen Nerd küsst als dich?"
Sofort erstarb sein Lachen. „Das funktioniert nicht, Mary. Wenn du mit mir geknutscht hättest und ein fremder Typ dazugekommen wäre, dann hättest du nicht innegehalten."
„Wie dem auch sei", seufzte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und sah wieder auf die Straße hinaus. Hayden versuchte sie noch ein paar Mal in ein Gespräch zu verwickeln, aber sie ignorierte ihn bis er das Radio anschaltete. Kurz darauf erreichten sie auch schon den Parkplatz vor der Mall. Mercedes wartete nicht auf Hayden bis er den Motor abgestellt, ausgestiegen und das Fahrzeug abgeschlossen hatte, sondern verschwand durch die großen Türen im Einkaufszentrum und blickte zu dem Juwelier, bei dem Phoebe und sie vor einigen Wochen angehalten hatten. Zielstrebig betrat sie das Geschäft, steuerte einen Verkäufer an und nannte ihren Namen. Wenn sie schon einmal hier war, dann konnte sie wenigstens Phoebes Geburtstagsgeschenk mitnehmen.
Der Verkäufer kam wieder, öffnete die Schatulle und zeigte ihr die Halskette, die sie für Phoebe hatte anfertigen lassen.
„Vielen Dank." Nickend verstaute der Verkäufer die Schachtel in einer Tüte, tippte den Preis in die Kasse ein und Mercedes reichte ihm ihre EC-Karte.
„Hier bist du. Du hättest wenigstens einen Moment warten können", sagte Hayden, trat hinter sie und warf einen Blick auf die Theke. „Das ist ein teures Vergnügen."
„Es ist das Geburtstagsgeschenk für Phoebe."
„Was schenkst du ihr?"
„Eine Halskette."
Hayden lächelte. „Sie liebt Schmuck."
„Ich weiß." Der Verkäufer reichte ihr ihre EC-Karte zurück, gab ihr die Tüte und wünschte ihr zum Abschied noch einen schönen Tag. „Was hast du für Phoebe?"
„Ich schenke ihr zum Geburtstag zwei Flugtickets für London. Sie hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass sie gerne mal für zwei Wochen nach London verreisen möchte, um zu entspannen und die Welt etwas zu sehen." Aufmerksam. Er merkte sich Dinge, die man ihm erzählte wirklich gut - zu Beginn zumindest.
„Das ist wirklich nett. Aber warum zwei?"
„Damit sie mit ihrem Freund dorthin fliegen kann. Alleine verreisen ist doch langweilig."
„Kann sein", murmelte Mercedes, sah sich in der Mall um und entdeckte dann das neue Café. Vor dem Café hatte man Luftballons und Girlanden aufgehängt und kleine, verschnörkelte Stühle und Tische standen davor wie man sie sich früher in Pariser Restaurants vorgestellt hat. Ansprechend, romantisch, vertraut.
„Wo würdest du gerne mal hin verreisen?", fragte er neugierig und öffnete für sie die Tür des Restaurants.
„Paris." Sie antwortete noch bevor sie über die Frage groß nachgedacht hatte.
„Wieso Paris?"
„Es ist die Stadt der Liebe, außerdem möchte ich mir den Eifel Turm und den Louvre ansehen und die Vorstellung in einem kleinen, edeln Restaurant Essen zu gehen, finde ich besonders romantisch." Mercedes steuerte einen Platz am Fenster an, sodass sie einen exzellenten Ausblick auf den Strand hatten und lächelte ihn an, als er ihr den Stuhl zurecht rückte.
„Ok, das merke ich mir für die Zukunft", lächelte er spitzbübisch, bevor er sich setzte und ihr eine Speisekarte reichte.
„Wohin würdest du gerne mal reisen?"
„Ich hab mir als Teenager vorgenommen jedes Jahr einen anderen Kontinent zu besuchen. Ich habe angefangen mit Japan, dann war ich in London, dann in Nigeria, jetzt lebe ich in der USA und beabsichtige dieses Jahr nach Mexiko zu reisen." Mercedes musste lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie er ihr zum ersten Mal von seinem Plan die Welt zu bereisen erzählt hatte. Sie hatten auf seinem Bett gelegen und die Decke angestarrt. Ihr Kopf hatte auf seinem Bauch geruht und ihre Finger waren in einander verschlungen. Es freute sie, dass er seinen Plan verfolgt und umgesetzt hatte.
„Was hat dir bisher am Besten gefallen?"
„Nigeria", antwortete er prompt. „Die Einwohner waren sehr freundlich. Ich habe eine Tour durch die Steppe gemacht, die Wildtiere gesehen und bin sogar auf einem Elefanten geritten."
Bevor sie ihn noch etwas fragen konnte, trat eine Kellnerin an ihren Tisch, begrüßte sie und nahm ihre Bestellung auf. Hayden blätterte noch immer die Karte durch, weswegen Mercedes begann.
„Ich hätte gerne die 23 und der Herr die 25 mit extra Erdbeeren und machen sie ruhig das Doppelte an Nutella drauf. Und dazu hätten wir gerne zwei große, heiße Schokoladen mit ..."
„.. Mit extra viel Sahne. Ich verstehe schon", grinste die Kellnerin, nickte und verschwand dann auch direkt. Lächelnd klappte Mercedes die Karte zusammen, stützte den Kopf auf die Hände und sah aus dem Fenster.
„Extra Erdbeeren und doppelte Portion Nutella?", fragte Hayden und sah sie mit schräggelegtem Kopf an. Sie errötete, als ihr bewusst wurde, was sie getan hatte.
„Ich dachte, dass könnte dir schmecken. Ich kann auch zur Kellnerin gehen und .." Er hob abwehrend die Hand, wobei er breit grinste.
„Nicht nötig. Ich wollte genau das bestellen und habe es so schnell nicht auf der Karte gefunden."
„Tut mir leid." Verlegen blickte sie aus dem Fenster. Ein Stich durchzog ihr Herz. Hayden und sie waren in ihrer Beziehung sehr oft Waffeln essen gewesen und sie wusste, wie er seine Waffeln am Liebsten hatte. Diese Situation war ihr so vertraut und rief Gefühle in ihr hoch, die sie lange verdrängt hatte.
Eine raue Hand legte sich auf die ihre und ihr Puls beschleunigte sich. Hayden blickte sie aus seinen blauen Augen eindringlich an und ihr wurde ganz warm.
„Danke, dass du mich hierher begleitet hast." Er lächelte und sie konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Sie sahen sich noch eine Weile an, bevor er ihr Fragen über ihre Hobbys, ihre Lieblingsmusiker und Zukunftspläne. Die Zeit verging wie im Flug und allmählich breiteten sich die altbekannten Schmetterlinge in ihrem Bauch aus. Die Situation war ihr viel zu vertraut.

UnverhofftWhere stories live. Discover now