Kapitel 09

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Missmutig stach Mercedes mit der Gabel in die Putenbrust und führte ein weiteres, kleines Stück zum Mund. Wenn sie so drüber nachdachte, war der Freitag ihr unliebsamster Tag der Woche. An einem Freitag lernte sie Hayden kennen. An einem Freitag trennten sie sich. An einem Freitag traf sie ihn nach Jahren wieder. An Freitagen wurde sie mit ihrer grauenhaften, hochnäsigen Familie konfrontiert und gezwungen der Außenwelt eine glückliche, liebevolle Familie zu zeigen. Eine Familie, die sie in keinsterweise waren.
„Mom. Dad. Ich habe jemanden kennengelernt", verkündete ihre ältere, blonde Schwester Paris in diesem Augenblick und warf ihren Eltern einen stolzen Blick zu. „Er arbeitet an der Wal Street und ist Finanzmogul. Er würde sich auch gerne mal dir treffen, Dad."
„Wie heißt er und wie alt ist er?" Mercedes hörte nur mit einem Ohr zu und schüttelte innerlich den Kopf. Sie konnte nicht nachvollziehen wie ihre Eltern auf Paris stolz sein konnten. Als Model reiste Paris um die Welt und hatte Zugang zu exklusiven Partys mit vielen namenhaften Menschen, aber sie sorgte auch für die ein oder andere negative Schlagzeile mit ihrem Hang dazu in so ziemlich jedem Mann ihren künftigen Ehemann bis zum Ende ihres Lebens zu sehen. Voraussetzung war lediglich eine gewisse Bekanntheit, ein Penis und eine dickes, bis zum Rand gefülltes Portemonnaie. Mercedes verstand unter finanzielle Absicherung etwas anderes als Paris, die es als, desto öfter ich heirate und mich scheiden lasse, umso mehr Unterhalt bekomme ich und bin für die Zeiten, wenn ich alt bin abgesichert, deutete. Mittlerweile war Paris mit ihren gerade einmal 27 Jahren schon fünf Mal verheiratet und hatte offensichtlich Ehemann Nummer sechs in Visier, während die Scheidung von Nummer fünf lieg. Nach ihrer dritten Hochzeit vor zwei Jahren hatte Mercedes kein Interesse mehr daran dem romantischen, normalerweise lebenslänglichen Akt beizuwohnen und zuzusehen wie ihre Schwester diese Tradition in den Dreck zog.
„Mercedes!" Erschrocken zuckte sie zusammen, als ihr Vater am anderen Kopfende des Tisches energisch auf das Holz schlug, sodass das Geschirr klirrte.
„Entschuldige, Vater."
„Wozu bist du eigentlich zu gebrauchen?", ertönte die höhnische Stimme ihrer Schwester. „Weder hübsch noch klug. Manchmal glaube ich, du bist nicht meine Schwester."
„Ich vermute auch manchmal, dass man sie im Krankenhaus vertauscht hat und dies ein Kuckuckskind ist."
Ihr Vater sah sie finster an und Mercedes versank in ihrem Stuhl, während ihre Mutter und Paris sich weiterhin über sie lustig machten. Ihr Herz schmerzte und sie musste die Tränen unterdrücken. Lieber wurde sie nicht beachtete, als von ihrer Familie derartig verspottet zu werden.
„Was macht dein Studium?"
„Es verläuft sehr gut. Ich bereite mich intensiv auf die erste Prüfung vor." Ihr Vater sah sie mit ausdrucksloser Miene an.
„Wenn du genauso studierst wie du deine Mitmenschen am Tisch beachtest, kann das Studium nicht gut verlaufen."
„Es tut mir leid, Vater."
„Von deinen Entschuldigungen kannst du dir später auch nichts kaufen." Die anderen Frauen waren verstummt und sahen sie mit ebenso kalter Miene an. Sie fühlte sich wie eine Versagerin, obwohl sie das gar nicht war. Sie war gut. Sie war besser als der Durchschnitt und dennoch war es nicht genug. Sie musste sich zusammenreißen nicht zu weinen. Zu weinen war für ihrem Vater noch schlimmer als Schwäche. Denn wenn man weinte, tat man seiner Meinung nach seine Schwäche kund und war nicht ausreichend belastbar, was so viel bedeutete wie man war ein Versager, der mit einem Menschen wie ihm nicht zu vergleichen war. „Streng dich an, Kind und zieh unseren Familiennamen nicht in den Dreck."
Sie nickte und versuchte sich dann ausschließlich auf ihr Essen zu konzentrieren. Der Hauptgang wich einem süßen, delikaten Nachtisch. Selbst das kleine Törtchen half nicht ihren Gemütszustand zu verbessern. Halbherzig lauschte sie den detaillierten Ausführungen ihrer Schwester was beruflich bei ihr anstand und wie sie weiter mit dem Finanzmogul vorzugehen beabsichtigte, während Mercedes innerlich die Sekunden zum Gehen zählte.

Der schwere Stuhl ihres Vaters würde über das Holz des Salons geschoben und riss sie aus ihren Gedanken. Aus dem Augenwinkel registrierte sie, dass ihr Vater aufgestanden war und ohne ein weiteres Wort in seinem Arbeitszimmer verschwand. Paris und ihr Mutter warteten bis ihr Vater verschwunden war, bevor sie sich über die neuste Mode unterhielten und sich über den Klatsch und Tratsch der ortsansässigen High Society austauschten.
Unauffällig stand sie auf, lief in den Flur und schlüpfte in ihre Pumps. Schnell tippte sie eine SMS an Phoebe, die sie abholen wollte und sah dann in den großen Spiegel im Foyer. Mercedes hatte ihre braunblonden Haare zu einem ordentlichen Dutt gebunden, ihre Augen dezent mit einem Brauntönen betont und die weißen Perlen an ihren Ohren betonten die Farbe ihre Augen. Sorgsam strich sie sich die weiße Bluse glatt, öffnete die ersten Knöpfe und atmete erleichtert aus, als sie endlich wieder richtig Luft bekam.
Ihr Handy vibrierte und sie nickte dem Bediensteten ihrer Eltern zu Abschied zu. Hastig durchquerte sie den Vorgarten ihrer Eltern, stieg in Phoebes schwarzen Wagen und fühlte sich freier, als sie endlich das Grundstück des Schreckens verlassen hatte. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie früher jeden Tag in diesem weitläufigen und doch beengten Gebäude hatte leben können.
„War es wieder so schlimm?" Phoebe sah sie mitleidig aus ihren braunen Augen an.
„Anders geht es doch gar nicht."
„Die Familie kann man sich leider nicht aussuchen. Apropos Familie, wollen wir mal wieder zurück in die High School?" Mercedes runzelte die Stirn. „Dorthin zurück, wo wir noch Frei von Kummer und Sorgen waren."
„Wie willst du das denn anstellen?" Phoebe grinste verschwörerisch, während ihr Herz in freudiger Erwartung auf etwas Ablenkung einen Satz machte.
„Das wirst du gleich sehen." Grinsend lenkte Phoebe den Wagen auf die Straße, trat das Gaspedal durch und fuhr hastig zurück zur Stadt. Nachdenklich beobachtete Mercedes die vorbeiziehende Landschaft und überlegte, was Phoebe Vorhaben könnte bis sie auf dem Parkplatz der Sporthalle fuhren. Geschickt parkte Phoebe ein und stieg dann aus.
„Ist das nicht Haydens Auto?" Was machte ..? „Phoebe, sind wir hier um uns mit deinem Bruder zu treffen?"
Sie hakte sich bei ihr ein, schüttelte den Kopf und zog sie mit sich zur Sporthalle. „Nein, wir sind hier um dich auf andere Gedanken zu bringen und wie hast du dich früher auf andere Gedanken gebracht?"
Mercedes schluckte, als sie die Erkenntnis traf, weswegen sie hier sind. „Ich werde deinem Bruder nicht dabei zusehen wie er über das Basketballfeld jagt und einen Korb nach dem
Anderen wirft."
Phoebe stöhnte und zog sie weiter. „Nur einmal. Komm schon. Du als seine neue Freundin solltest ihn unterstützten. Das machen Freunde so."
„Wieso sagst du das so als wäre es das Dümmste, was du seit langem gehört hast." Jetzt blieb Phoebe stehen, drehte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf.
„Tylor hat mir davon erzählt und die Idee ist dumm. Du weist selbst, dass Hayden und du keine Freunde sein könnt. Ich habe euch beide damals gesehen und ich weiß, wie du guckst, wenn es um ihn geht und wie er guckt, wenn es um dich geht. Je stärker ihr euch voneinander fernzuhalten versucht, umso dichter kommt die Kollision. Und wenn es so weit ist, hoffe ich, dass ich dann nicht in der Nähe bin."
„Phoebe." Ihre Freundin legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen. Ich möchte einfach nur, dass du weist, was du tust. Und jetzt lass uns bitte reingehen und einfach Spaß haben." Nickend stiegen sie die Treppe zu der Tribune hinauf, suchten sich einen Sitzplatz und verfolgten dann das Spiel. Hayden wurde gerade der Ball von einem großen Schwarzhaarigen zu gespielt. Ein Gegenspieler versuchte ihm in diesem Augenblick den Ball abzunehmen, doch Hayden wäre nicht Hayden, wenn er den Ball wandern lassen würde, ein Wurf zur Seite vortäuscht und schließlich in die entgegengesetzte Richtung wirft, den Gegenspieler umrundet und erneut den Ball abfängt, um mit schnellen Schritten über den Platz zu jagen und den Ball in den Korb zu werden. Jubelnd klopfen ihm seine Teamkameraden auf die Schulter und auch Phoebe springt johlend von ihrem Platz auf, um Hayden zu beklatschen.
„Sehr gut, Bruder!", schrie sie durch die zu einem trichtergeformten Hände und weckte somit Haydens Aufmerksamkeit. Er sah hinauf und wirkte für den Bruchteil einer Sekunde überrascht, bevor er sein typisches, siegessicheres Grinsen wiederfand und sich wieder auf das Spiel konzentrierte .
„Mein Gott ist Hayden süß."
„Er hat uns eben angesehen. Wollen wir nach dem Spiel warten, ihn anfangen und gucken, ob er mit uns zur Feier des Tages einen trinken geht?" Phoebe setzte sich wieder und warf ihr einen vielsagenden Blick in Richtung der Mädchen vor ihnen zu. Sie wirkten noch ein paar Jahre jünger und wickelten die Haare um den Finger.
„Oh ja."
„Du musst mal auf sein Six Pack achten, wenn er das T-Shirt anhebt, um sich das Gesicht abzuwischen."
Die Mädchen kicherten. Phoebe tippte sie mit dem Ellenbogen an und verdrehte genervt die Augen verdreht. Zwei Hände legten sich auf ihre Schultern und sie schlugen beinahe vor Schreck mit den Köpfen zusammen.
„Hey Mädels." Ruby setzte sich neben sie und als Mercedes sich umdrehte, entdeckte sie noch einige andere Mädchen aus ihrem Wohnheim.
„Was macht ihr denn hier?", fragte Phoebe und schnappte sich ein paar Popcorn von Ruby.
„Wir wollen uns deinen Bruder ansehen - in Hoffnung, dass er uns am Ende des Spiels seinen Waschbrettbauch präsentiert." Grinsend warf sie sich einen Popcorn in den Mund und zwinkerte.
„Also wie die Beiden da unten." Ruby legte den Kopf schräg, drückte Mercedes ihre Tüte in die Hand und tippte einem der Mädchen auf die Schulter.
„Wir haben mitbekommen wie ihr von Hayden geschwärmt habt und wir Frauen müssen schließlich zusammenhalten, also sage ich es euch sofort. Hayden ist bisexuell und sucht nach einer passenden Alibifrau. In Wahrheit führt er eine heiße Liebelei mit der 13. Meine Freundin dort oben .." Ohne sich umzudrehen deutete Ruby auf sie. „.. hatte mal was mit ihm. Sehr unbefriedigend. Mikropenis - ihr wisst schon."
Die beiden Mädchen blickten äußert schockiert zwischen Ruby und Mercedes hin und her.
„So ein Teil. Er ist nackt durch die Wohnung gelaufen. Wir haben es alle gesehen, aber solltet ihr wirklich auf Basketballer stehen, dann nehmt die 26. Das ist ein Mann", warf Alba ein. Nickend erhoben die beiden Mädchen sich von ihren Plätzen und konnten gar nicht schnell genug die Tribüne verlassen.
„Mikropenis?", fragte Phoebe, woraufhin Ruby die Schultern zuckte.
„Der Junge gehört zu Mary. Wir können doch nicht zulassen, dass so zwei Gören ihn ihr ausspannen." Mercedes seufzte.
„Ruby, das war echt nicht nötig." Ruby zuckte erneut mit den Schultern und konzentrierte sich dann wieder auf das Spiel.
Mit schwerem Herzen verfolgte Mercedes Hayden mit den Blicken und seufzte innerlich, weil diese Situation ihr schmerzlich vertraut war. Sie hatte viel zu oft auf der Tribüne gesessen, ihn bejubelt und seinen Sieg danach mit ihm gefeiert.

UnverhofftOù les histoires vivent. Découvrez maintenant